# taz.de -- AfD auf TikTok: 18 Millionen Likes
       
       > Alle großen deutschen Parteien sind auf Tiktok aktiv, die AfD ist dort
       > stärkste Kraft. Populismus, Manpower und Vernetzung machen es möglich.
       
 (IMG) Bild: Na, schauen diese Mitglieder der Jungen Alternative vielleicht auch gerade Tiktok? Wahltag in Brandenburg, 2019
       
       Alice Weidel steht im Bundestag und zerredet energisch das Bürgergeld. „Wer
       arbeitet, ist der Dumme“, behauptet sie und kritisiert die Grundsicherung
       als „Einwanderungsmagnet“. Fast 5 Millionen mal wurde das knapp
       30-sekündige Video angeschaut, 150.000-mal gelikt. Es ist einer von vielen
       Ausschnitten aus AfD-Reden, die sich auf der Plattform Tiktok finden. Die
       Partei hat dort mit ihren rechten Inhalten ein Netz gewoben aus jungen
       Influencer:innen und einer äußerst lebhaften Community.
       
       Der Siegeszug der App selbst wurde in den letzten Jahren gut dokumentiert.
       Aktuell hat Tiktok über eine Milliarde monatliche aktive Nutzer:innen,
       die die kurzen Videos liken, kommentieren oder selbst hochladen, [1][21
       Millionen Nutzer*innen davon leben in Deutschland]. Besonders bei
       Minderjährigen ist die App mit ihren schnellen Inhalten populär: Hier
       werden Trends gesetzt, Kontakte geknüpft, Meinungen ausgetauscht.
       
       Doch die chinesische App gilt als Sicherheitsrisiko, wegen der
       Dokumentation des Nutzer:innenverhalten und weil die Kommunistische
       Partei der Volksrepublik China jederzeit Daten vom Unternehmen einfordern
       kann. In den USA und mehreren Institutionen der Europäischen Union ist die
       App auf Regierungshandys verboten.
       
       Und: Tiktok ist zu einem Werkzeug moderner politischer Kommunikation
       geworden – besonders bei den Jungen. Das Napoleon-Zitat „Wer die Jugend
       hat, hat die Zukunft“, ein Grundsatz, den auch die Nationalsozialisten
       befolgten, ist weiterhin aktuell. Gerade führt in dieser Hinsicht auf
       Tiktok die AfD und das, obwohl sie sich gegen die Trends der Plattform
       stellt.
       
       ## Schlusslicht SPD
       
       Der [2][Politikberater Martin Fuchs] hat einen Fokus auf Social Media. Er
       beobachtet seit Langem den Tiktok-Auftritt der AfD. Seine Analysen sind
       alarmierend: Sechs der zehn erfolgreichsten Tiktok-Accounts deutscher
       Politiker:innen gehören – gemessen an den Followern – laut Fuchs zur
       AfD; bei den Likes herrscht eine ähnliche Dominanz.
       
       Die AfD hat knapp 18 Millionen Likes, auf dem weit abgeschlagenen zweiten
       Platz liegt die ehemals Linke mit 6 Millionen, das Schlusslicht mit nicht
       einmal 300.000 Likes bildet die SPD. Ähnlich gelagerte Statistiken
       untermauern die Erhebungen von Fuchs.
       
       Der Erfolg der AfD hängt anscheinend mit einem als authentisch empfundenen
       Auftritt zusammen, der sich durch einen inhärenten Rassismus und
       Nationalismus auszeichnet. Die AfD-Politiker:innen machen keine Tänze
       vor laufender Kamera, biedern sich nicht aktuellen Trends an oder versuchen
       eine Kunstfigur im Internet zu sein. Während andere Parteien sich noch
       immer fragen, wie politische Kommunikation auf der Plattform auszusehen
       hat, hat die AfD ihre Antwort gefunden: radikale, nüchtern präsentierte
       Botschaften, die ihrem Publikum sagen, was es hören will. Auf dem Account
       der Bundestagsfraktion wird dann auch mal ganz simpel „Chrupalla disst
       grüne Studienabbrecher“ oder „Alice Weidel auf 180!“ getitelt – mit
       Ausrufezeichen! Auch Talkshow-Auftritte werden verbreitet, oft mit wenig
       Kontext. Die Videos aus Landtags- und Bundestagsreden setzen auf
       Polarisierung.
       
       „Die öffentlichen Reden der AfD sind zum großen Teil für Tiktok geschrieben
       worden“, sagt Martin Fuchs. „Wie diese Reden aufgebaut sind, wie sie
       zuspitzen, wie auf andere draufgehauen wird, solche Inhalte können andere
       Parteien nicht machen.“ Der Fokus auf polemische Inhalte sei einer der
       Erfolgsfaktoren dafür, dass sich junge Leute ernst genommen fühlen.
       „Natürlich ist Populismus Gold für die Algorithmen auf Tiktok.“
       
       Er erlaube der AfD, Komplexität zu reduzieren. „Die anderen Parteien
       versuchen, ihre Punkte differenziert und sachlich zu kommunizieren. Das
       kann und wird auf Tiktok aber nicht funktionieren.“ Demnach sind es die
       populistischen Grundprinzipien, die die AfD auf Tiktok erfolgreich machen.
       Sie verleumdet Geflüchtete als Auslöser für Gewalt, erklärt „linksgrün“ zum
       Feindbild und Ethnopluralismus zur Antwort.
       
       ## Zuspitzung, Überzeichnung, Dramatisierung
       
       Jan-Hinrik Schmidt ist Professor und Experte für politische Kommunikation
       am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Er sagt, es brauche
       Zuspitzung, Überzeichnung, Dramatisierung, um auf Tiktok Aufmerksamkeit zu
       gewinnen. „Das fällt populistischen Parteien und Politiker:innen
       leichter beziehungsweise deckt sich mit ihrem Kommunikationsstil auch auf
       anderen Kanälen.“
       
       Ihren Populismus kann die AfD auch wegen ihrer personellen Aufstellung so
       gut verbreiten. „Die AfD hat die viel größere Manpower, weil sie viel mehr
       Leute in den Fraktionen angestellt hat, die digitale Kommunikation machen
       und sie dadurch viel aktiver sind“, so Fuchs. Seine Analyse hat ergeben,
       dass allein die Bundestagsfraktion der AfD auf 50 Tiktok-Accounts kommt.
       Keine andere Fraktion hat so viele. Auch in der Anzahl der Follower
       dominiert der offizielle Account der AfD-Fraktion und steht inzwischen bei
       über 360.000. Diese aus Sicht der AfD starke Bilanz liegt nicht nur an der
       Partei selbst, sondern auch an der Reproduktion durch Dritt-Accounts.
       
       Diese Accounts, die nicht von der AfD oder ihren Mitgliedern betrieben
       werden, reposten die AfD-Videos tausendfach, zum Teil mit größerem Erfolg
       als die jeweiligen Originalvideos. Bei manchen AfD-Accounts findet sich
       sogar der deutliche Aufruf, alle Videos herunterzuladen und zu teilen. Die
       Wiederverwertung führt zu einer deutlichen Reichweitensteigerung und blaue
       Herzen und Sprüche wie „Sei schlau, wähl blau“ sind bei den Dritt-Accounts
       allgegenwärtig. Die Flut an Accounts mit AfD im Namen oder im Profilbild
       macht es schwer, zwischen offiziellen Parteiauftritten und
       Sympathisant:innen zu differenzieren. Auch der Schritt zur
       Radikalisierung wird durch das omnipräsente Angebot der AfD leichter
       gemacht.
       
       Das zeigen unter anderem die Videos von Maximilian Krah,
       AfD-Spitzenkandidat für die kommende Europawahl, in denen er zuerst die
       klassischen Positionen seiner Partei wiedergibt: „Die Politiker haben Angst
       vor dem Volk“, „Keine Angst vor dem linken Lehrer“ und „ARD und ZDF sind
       linke Propaganda“. Das Paradoxe an Krah ist, dass er trotz des Erfolgs auf
       Tiktok oft von dort wegführt, hin zu anderen Plattformen.
       
       Laut ihm sind Youtube-Kanäle und Seiten wie „politikvonrechts.de“ gute
       Quellen. Auf dieser findet man dann sein „Manifest für die AfD“ und Werbung
       für das gleichnamige Buch – herausgegeben vom Verlag Antaios, gegründet und
       geleitet von dem Rechtsextremisten Götz Kubitschek.
       
       Die Radikalisierung auf externen Seiten ist kein Zufall, das bestätigt auch
       Jan-Hinrik Schmidt. Es sei eine gängige Taktik extremistischer
       Akteur:innen, „in öffentlichen Räumen vergleichsweise gemäßigt zu
       kommunizieren und Menschen quasi ‚anzulocken‘, um sie dann in eher
       geschlossene und kleinere Umgebungen zu lotsen, wo dann die radikaleren
       Ansichten kommuniziert werden.“
       
       Auch den Deutschland-Kurier findet man schnell auf Tiktok, ein AfD-nahes
       Portal, das den Eindruck eines seriösen Magazins vermitteln möchte. Ein
       Blick auf die Liste der Gastkolumnist:innen zeigt aber, dass ein
       großer Teil aus der AfD selbst stammt oder ihr nahesteht. Unter den
       Gastkolumnist:innen findet sich auch die rechte Influencerin Carolin
       Matthie. Sie ist nur eine von vielen rechten Influencer:innen, die wiederum
       Teil des reichweitenstarken AfD-Netzes sind, das inzwischen alle
       Social-Media-Plattformen umfasst.
       
       Dabei ist Tiktok – zumindest in der Theorie – darauf bedacht, Populismus
       und politische Inhalte zu unterbinden. Die Plattform bietet primär simple
       Unterhaltung und löscht – neben Kritik gegenüber China – manchmal auch
       explizit politische Videos. „Wenn die AfD etwas sagt, dass nicht auf dem
       Boden des Grundgesetzes steht, dann löscht Tiktok das relativ schnell. Das
       Unternehmen weiß, dass so etwas ihr Geschäftsmodell massiv beschädigen
       könnte, wenn herauskommt, dass Tiktok ein radikales Netzwerk ist“, so
       Fuchs.
       
       So löschte Tiktok im Mai 2022 auch den damaligen offiziellen
       AfD-Partei-Account. So eine Löschung eines prominenten Accounts mag auf den
       ersten Blick wie ein großer Schlag gegen die AfD wirken, doch sie zeigt
       inzwischen nur noch wenig Wirkung, weil so viele Abgeordnete und
       Dritt-Accounts rasant Inhalte vervielfältigen.
       
       „Einen einzigen zentralen Account braucht die AfD auch gar nicht“, erklärt
       Fuchs, „denn Tiktok funktioniert über Personenmarken und Gesichter.“ Und
       mit dieser Strategie spinnt die Partei ein äußerst erfolgreiches radikales
       Netz über alle Social-Media-Plattformen hinweg, größtenteils unberührt von
       Zensur und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.
       
       Trotz einer rückwärtsgewandten Gesinnung weiß die Partei, die in Teilen vom
       Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextremistisch eingestuft wird,
       moderne Plattformen bestens zu bespielen. Indem die demokratischen Parteien
       Tiktok und damit auch eine junge Zielgruppe vernachlässigen, überlassen sie
       bislang einen entscheidenden Teil der politischen Zukunft der AfD.
       
       23 Dec 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://newsroom.tiktok.com/de-de/mau-announcement
 (DIR) [2] https://martin-fuchs.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Seng
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Sachsen
 (DIR) GNS
 (DIR) TikTok
 (DIR) Schwerpunkt Facebook
 (DIR) IG
 (DIR) Podcast „Vorgelesen“
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Medienpolitik
 (DIR) TikTok
 (DIR) TikTok
 (DIR) AfD Niedersachsen
 (DIR) TikTok
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Wahlen in Ostdeutschland 2024
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Kolumne Der rechte Rand
 (DIR) Kolumne Einfach gesagt
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Journalistischer Umgang mit AfD: „Man muss perfekt vorbereitet sein“
       
       Das Institut für Rechtsextremismus der Uni Tübingen analysiert rechte
       Ideologien. Direktor Rolf Frankenberger über die AfD und den Umgang der
       Medien.
       
 (DIR) US-Pläne für Tiktok: Ein Problem, auch ohne China
       
       Hass und Hetze laufen auf TikTok besonders gut. Um die
       demokratiegefährdende Wirkung einzudämmen, muss man an die Algorithmen der
       Plattformen.
       
 (DIR) Social Media gegen rechts: Der Kampf um PoliTiktok
       
       Auf Tiktok dominiert die AfD und stellt Demokrat*innen vor ein Dilemma.
       Sollen sie ihnen entgegentreten oder sich vom Problem-Netzwerk fernhalten?
       
 (DIR) TikTok-Debatte in Deutschland: Rein oder aus
       
       Deutsche Politiker*innen fordern eine strengere Regulierung von
       TikTok. Dabei sollten sie besser anfangen, dort mitzumischen.
       
 (DIR) Rechtsextremismus in der AfD: Die Online-Rassisten
       
       Niedersachsens AfD grenzt sich theoretisch von der rechtextremen
       Identitären Bewegung ab. Social Media-Fotos zeigen, dass die Praxis anders
       aussieht.
       
 (DIR) Universal-Inhalte auf TikTok entfernt: Leise zirpen die Grillen
       
       Universal Music hat TikTok Millionen von Songs entzogen und fordert mehr
       Geld für Künstler*innen. Viele von ihnen sind auf die Plattform angewiesen.
       
 (DIR) AfD-Verbot: Auf nach Karlsruhe?
       
       Viele Demonstrant*innen und immer mehr Abgeordnete fordern ein
       Verbotsverfahren gegen die AfD. Auch unsere Autorin hat ihre Meinung
       geändert.
       
 (DIR) Eric Wrasse über „Weltoffenes Thüringen“: „Haltung zeigen, jetzt!“
       
       Die extrem rechte AfD steht in Thüringen vor Wahlerfolgen. Eric Wrasse
       stellt sich dagegen und initiierte das Bündnis „Weltoffenes Thüringen“.
       
 (DIR) Carsten Schneider zu rechter Partei: Ostbeauftragter gegen AfD-Verbot
       
       Der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider spricht sich gegen
       ein AfD-Verbot aus. Das würde der Partei massiven Aufwind verschaffen.
       
 (DIR) Wieso die AfD auf Höhenflug bleibt: Toxisches Gelaber
       
       Leitkultur-Gerede wie das von Friedrich Merz über Weihnachtsbäume stärkt
       die AfD. Das spiegelt sich in den Umfragewerten wider.
       
 (DIR) Rassismus im Lebensalltag: Eine beschissene Entscheidung
       
       Was bringt Leute dazu, Rassisten zu werden? Ein Klärungsversuch beim
       Vorweihnachtsessen unter Freunden.
       
 (DIR) Soziologe über Radikalismus der AfD: „Es hat sich etwas verschoben“
       
       Wilhelm Heitmeyer hat sich jahrzehntelang mit autoritären Einstellungen und
       Rechtsextremismus beschäftigt. Wie erklärt er Deutschlands Rechtsruck?
       
 (DIR) Rechter Podcast auf Spotify: „Ein Prozent“ bleibt abrufbar
       
       Der Streamingdienst Spotify behält die „Lagebesprechung“ des rechten
       Vereins auf der Plattform. Eine Petition hatte die Löschung gefordert.
       
 (DIR) Medien und die AfD: Beziehungsstatus: kompliziert
       
       Der Umgang der AfD mit Medien ist speziell. Sie schließt kritische
       JournalistInnen von Parteiveranstaltungen aus und setzt auf eigene
       Medienkanäle.