# taz.de -- Eine Nacht im New Yorker TWA Hotel: Zu Gast im Kopf einer Libelle
       
       > Das TWA-Terminal am New Yorker Flughafen gilt als Ikone der modernen
       > Architektur. Heute ist es ein Hotel voller Retrocharme und liebevoller
       > Details.
       
 (IMG) Bild: Ein Sixties-Traum in Weiß und Chili Pepper Red: Blick in die „Sunken Lounge“ des TWA Hotel
       
       Zu den zynischen Methoden, die eingesetzt werden, damit Obdachlose nicht
       stundenlang an einem Ort bleiben, gehört der Einsatz von Musik. Daran muss
       ich nach einiger Zeit im Foyer des TWA Hotel denken. Allerdings ist es hier
       nicht Vivaldi, wie einst im Hamburger Hauptbahnhof, und auch nicht atonale
       Musik, mit der [1][es die Berliner BVG versucht hat], sondern es sind
       Golden Oldies der 1950er und 60er: Elvis, die Beach Boys, Mas Que Nada und
       vor allem ganz viel Beatles. Love, love me do. You know, I love you.
       
       Das erzeugt in mir gegensätzliche Fliehkräfte, denn alles andere an diesem
       Ort lädt zum Verweilen ein, zum Flanieren, zum Loungen und Herumlümmeln:
       die freistehende Bar, die jetzt am späten Nachmittag bereits geöffnet hat.
       Die etwas tiefergelegte „Sunken Lounge“, die über die verschiedenen Ebenen
       verstreuten Sitzgelegenheiten. Und vor allem das Gebäude selbst, das TWA
       Building. Es ist eine Sensation!
       
       Eröffnet wurde es 1962 als Terminal des New Yorker Flughafens, der kurze
       Zeit später den Beinamen JFK bekam, exklusiv für die Fluggesellschaft Trans
       World Airlines – TWA. Es ist ein verschwenderischer Bau aus einer Zeit, als
       Flugreisen noch etwas Luxuriöses und Verheißungsvolles waren und keine
       Massenabfertigung mit latent schlechtem Umweltgewissen. Der
       finnisch-US-amerikanische Architekt Eero Saarinen durfte ihn nach rein
       optischen Gesichtspunkten und nicht im Sinne einer möglichst
       materialsparenden Lösung entwerfen.
       
       ## Schneeweiß, lichtdurchflutet und ohne rechten Winkel
       
       Er schuf eine längliche Schalendachkonstruktion ohne einen rechten Winkel,
       die von außen wie ein Mantarochen oder wie der Kopf einer Libelle anmutet,
       und die innen einer schneeweißen, lichtdurchfluteten Kathedrale gleicht.
       Ein Stück Zukunft in der Gegenwart, das man sich auch in der im Jahr der
       Eröffnung gestarteten [2][Zeichentrickserie „The Jetsons“] vorstellen
       könnte.
       
       Das Gebäude war schnell zu klein für das wachsende Passagieraufkommen. Sein
       Zustand verschlechterte sich, und nachdem TWA 2001 von American Airlines
       übernommen wurde, stand es beinahe zwei Jahrzehnte lang leer – wobei es der
       New Yorker Denkmalschutzbehörde zu verdanken war, dass es überhaupt noch
       stand. 2019 eröffnete schließlich das TWA Hotel, als erstes Hotel überhaupt
       auf dem JFK-Flughafengelände.
       
       Nun sind Flughäfen in der heutigen Zeit funktionale Transitflächen,
       gigantische Nicht-Orte, die man möglichst schnell wieder verlassen möchte.
       Flughafenhotels potenzieren dieses Nicht-Ort-hafte noch mal, denn wer
       würde freiwillig fernab vom Stadtzentrum am Flughafen wohnen wollen? Da
       muss es schon was ganz Besonderes sein.
       
       ## Überall gibt es etwas zu entdecken
       
       Die Betreibergruppe MCR hat daher die Ästhetik des TWA Building als
       formschöne Zeitkapsel aufgenommen und ein Retro-Themenhotel geschaffen, in
       dem wirklich alles mit dem gestaltet ist, was man Liebe zum Detail nennt.
       Überall gibt es etwas zu entdecken, hier eine Reihe alter
       Münztelefonautomaten, dort der nachgebaute Arbeitsplatz von Eero Saarinen.
       Stolz erzählt der Hotelmarketingmensch, der mich herumführt, dass die
       früheren TWA-Mitarbeiter eingebunden wurden in das Einrichtungskonzept und
       zahlreiche Memorabilia beigesteuert haben, die jetzt als Dekoration dienen,
       zusammen mit frühen Werbeplakaten und einer Ausstellung alter
       Flugbegleiteruniformen.
       
       Auch die originale Abflugtafel ist noch da, klickernd und klappernd werden
       auf ihrer Fallblattanzeige Pseudo-Departures in alle Welt gelistet. Und
       hinter dem Gebäude steht „Connie“, eine alte
       Lockheed-Constellation-Propellermaschine aus TWA-Beständen, in der eine
       weitere Cocktailbar eingerichtet wurde.
       
       Mitunter übertreiben sie es dabei, wird der real existierende Retrocharme
       mit einer Extraportion Retrosauce überformt, die dann eher too much ist –
       als wäre das Gebäude nicht schon so schön genug. Wie beim dekorativen
       „Sweet’N Glow“-Friseursalon oder dem knallbunt gefleckten Raum, in dem
       Twister – linke Hand auf Rot, rechter Fuß auf Blau – gespielt werden kann.
       Und eben auch mit der penetranten Musik. Sie soll natürlich für Flair, für
       Atmosphäre sorgen, doch lebt so ein Terminal ja eigentlich von einer ganz
       eigenen Geräuschkulisse, einem allgemeinen Geklapper, Geraschel, Gemurmel.
       
       ## Es herrscht keine Konsumpflicht
       
       Diese Art von Transit-Geschäftigkeit stellt sich derweil durch die
       Tagesbesucher ein, die auf dem Weg zum oder vom Flug samt Reisegepäck
       vorbeischauen. Denn das TWA Flight Building ist öffentlich zugänglich, man
       muss nicht einmal etwas konsumieren, um hier zu verweilen. Obdachlose wird
       man natürlich trotzdem nicht finden.
       
       Den meisten Menschen reicht dieser kurze Eindruck. Sie stromern ein wenig
       umher, trinken vielleicht einen Kaffee und machen ein paar schöne Fotos für
       ihren Instagram-Account (unpraktisch ist allenfalls, dass Eero Saarinen
       seine geschwungen-verschachtelte Sitzlandschaft im extremen Breitwandformat
       angelegt hat). Wer aber – wie ich – die Atmosphäre des TWA Building
       wirklich einsaugen will, ohne Zeitdruck, ohne Rollkoffer, ohne dicke Jacke,
       oder wer – wie ich – tatsächlich erst am folgenden Morgen einen Weiterflug
       hat, der nimmt sich ein Zimmer. Die Preise ab 300 Dollar klingen dabei
       happig, entsprechen aber leider dem New Yorker Standard.
       
       Insgesamt 512 Räume und Suiten gibt es, für sie wurden zwei Neubauriegel
       überraschend dezent neben das alte Gebäude gesetzt, der Saarinen-Bau selbst
       ist nur die gigantische Lobby. Natürlich sind auch die Zimmer im Stil der
       1960er Jahre eingerichtet, aber nicht im knalligen Weiß und Chili Pepper
       Red der Hotellobby, sondern im dezenten Midcentury-Stil. Der von Eero
       Saarinen entworfene „Womb Chair“ steht dabei in jedem Raum, Unterschiede
       gibt es hingegen beim Ausblick: Nur in rund 200 der Zimmer sieht man das
       Gebäude, dessentwegen man ja eigentlich hier ist.
       
       Eine andere Perspektive bieten die 50 Zimmer mit Rollfeldblick in den
       höheren Preiskategorien – für manch einen sind die im Minutentakt
       startenden Flieger ein besonderes Erlebnis. Damit man die Flugzeuge vom
       Bett aus sehen, aber trotzdem schlafen kann, wurde 11,5 Zentimeter dickes
       Glas verbaut; nur die US-amerikanische Botschaft in London hat dickere
       Fenster. Ein wenig vom Flugverkehr dringt trotzdem noch durch und sorgt
       beim Einschlafen für ein beruhigendes Grundrauschen. Aber die Beatles aus
       der Lobby, die sind hier weit weg.
       
       Transparenzhinweis: Die Übernachtung wurde vom TWA Hotel übernommen.
       
       10 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Musikberieselung-am-Bahnsteig/!5846128
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=tTq6Tofmo7E
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Brake
       
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