# taz.de -- Frankreich und sein Einbürgerungsrecht: Gilt bald „Blut statt Boden“?
       
       > Auf Mayotte soll das Einbürgerungsrecht geändert werden. Statt des
       > Geburtsorts soll die Abstammung zählen – um so Migration zu verhindern.
       
 (IMG) Bild: Protest in Nantes gegen die geplante Änderung des Einbürgerungsrechts auf der französischen Insel Mayotte
       
       PARIS taz | Was auch manche Franzosen nicht auf Anhieb wissen: Die Insel
       Mayotte, nördlich von Madagaskar im Indischen Ozean gelegen, ist ein Teil
       des französischen Territoriums, in dem dieselbe Verfassung gilt. Die Bürger
       und Bürgerinnen haben somit dieselben Rechte wie ihre Landsleute im fernen
       Europa. Zumindest bisher. Der französische Innenminister Gérald Darmanin
       will das nun ändern.
       
       Bei seinem Besuch in der ostafrikanischen [1][Ex-Kolonie] – die seit 2011
       als 101. Departement in die französische Republik integriert ist – hat er
       am Sonntag eine Verfassungsänderung gewünscht, mit der das geltende
       französische [2][Einbürgerungsrecht] für Mayotte außer Kraft gesetzt werden
       solle. Damit möchte er die illegale Einwanderung aus den benachbarten
       Komoren stoppen. Frauen von der Inselgruppe versuchen, ihre Kinder auf
       Mayotte zu gebären – die so das Recht auf einen französischen Pass
       erhalten.
       
       Der Innenminister spricht selber von einer „radikalen Maßnahme“, die er auf
       dem Inseldepartement aber für angebracht hält: Wer nicht das Kind
       französischer Eltern sei, soll nicht mehr qua Geburt Franzose werden
       können. So wolle man die Attraktivität von Mayotte für Einwanderer in der
       Region beenden. „Es soll künftig nicht mehr möglich sein, auf legale oder
       illegale Weise nach Mayotte zu kommen und ein Kind auf die Welt zu bringen,
       in der Hoffnung, so Franzose zu werden“, erklärte er.
       
       Anders als in Deutschland gilt in Frankreich das Jus soli, seit
       Jahrhunderten. Auf französischem Boden geborene Kinder zugewanderter
       Familien sollen – so die Tradition – als Staatsbürger integriert werden.
       Diese Besonderheit wurde in den Verfassungen des 19. Jahrhunderts
       verankert, als Frankreich im Vergleich zu Deutschland weniger Geburten
       verzeichnete. Einbürgerungen wurde damals begrüßt, um Frankreich
       zusätzliche Soldaten zu verschaffen, und später dann, um benötigte
       Arbeitskräfte sicherzustellen. Die Einbürgerung aufgrund der Geburt – und
       nicht der Familienherkunft – wurde bisher kaum ernsthaft infrage gestellt.
       
       ## Vorschlag gibt Rechten Aufwind
       
       Wie Darmanin selber erklärte, wäre dazu heute eine Verfassungsänderung
       erforderlich. Die beiden Parlamentskammern müssten einem Text mit dem
       Wortlaut zustimmen, und die Verfassungsrevision müsste anschließend vom
       Kongress mit einer Dreifünftelmehrheit verabschiedet werden – keine leichte
       Angelegenheit. In die Proteste gegen Darmanins Ansinnen mischt sich darum
       die Hoffnung, dass ein solcher Einschnitt in die Grundrechte – mit kaum
       verhehlten ausländerfeindlichen Hintergedanken – keine Mehrheit der
       Abgeordneten und Senatoren erhalten dürfte. Sie könnte daher mehr Rhetorik
       als Realpolitik sein.
       
       Dennoch hat der Innenminister mit seinem Vorstoß den Rechten Aufwind
       gegeben. Das Anrecht auf die Staatsbürgerschaft qua Geburt sei „für Afrika
       eine Waffe der massiven Einwanderung“, argumentiert etwa der rechtsextreme
       ehemalige Präsidentschaftskandidat Eric Zemmour. Er will noch weiter gehen
       als Darmanin und das Jus soli überall in Frankreich durch das Jus sanguinis
       – das Abstammungsprinzip – ersetzen. Damit wäre „Blut“ statt „Boden“ das
       Kriterium für einen französischen Pass. Das möchte auch Jordan Bardella,
       Parteichef des [3][Rassemblement national (RN)]: „Warum soll das in Mayotte
       möglich sein, nicht aber in ganz Frankreich?“, fragt er, höchst erfreut
       über die Debatte, die der Innenminister eröffnet hat.
       
       Dass die extreme Rechte so reagieren würde, war erwartbar. Auch der Chef
       der konservativen Partei Les Républicains (LR), Eric Ciotti, der sich in
       der Rolle des Hardliners in der Immigrationspolitik gefällt, fordert ohne
       zu zögern: „Das Recht aufgrund der Geburt auf unserem Boden muss auf dem
       ganzen Territorium abgeschafft werden.“ Was derzeit auf Mayotte das
       Zusammenleben gefährde, drohe morgen das europäische Frankreich einzuholen,
       befürchtet er.
       
       Bisher hatte Staatspräsident Emmanuel Macron ausgeschlossen, an verbrieften
       Grundrechten wie dem Jus soli zu kratzen. Da er aber im Parlament keine
       Mehrheit hat, braucht seine Regierung die Stimmen von rechts und notfalls
       auch von ganz rechts. Die Verabschiedung des von den rechten Fraktionen
       verschärften Immigrationsgesetzes zeigt: Macron ist bereit, sich ziemlich
       weit nach rechts zu lehnen, so es ihm dient.
       
       14 Feb 2024
       
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 (DIR) Rudolf Balmer
       
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