# taz.de -- Wirtschaftssanktionen gegen Russland: Die Regale sind immer noch voll
       
       > Der Westen hat es mit Sanktionen bislang nicht geschafft, Russland in die
       > Knie zu zwingen. Dennoch droht dem Land eine lange Phase von
       > Instabilität.
       
 (IMG) Bild: Der Handel boomt: Neufahrzeuge aus China im russischen Hafen Wladiwostok im August 2023
       
       Auch zwei Jahre nach dem Beginn von Russlands Invasion in die Ukraine und
       [1][den harten westlichen Sanktionen] sind die Regale in Moskauer
       Geschäften voll. In vielen Provinzstädten, insbesondere in den Regionen,
       die traditionell auf Militärproduktion spezialisiert sind, aber auch in den
       Regionen, die an China grenzen, herrscht Boomstimmung. Die russische
       Wirtschaft ist sehr weit entfernt von desaströsen Szenarien, die viele
       Anfang 2022 erwartet hatten.
       
       Es gibt vier Gründe für diese Entwicklung. Erstens haben russische
       Unternehmen jahrzehntelange Erfahrung mit Arbeit im Krisenmodus. Sie waren
       in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder mit gravierender Krisen
       konfrontiert und sind darin geübt, sich schnell, flexibel und effizient
       anzupassen.
       
       Zweitens wird die russische Wirtschaft von hochprofessionellen
       Beamt*innen aus der russischen Zentralbank und dem
       Wirtschaftsministerium gesteuert, die es geschafft haben, eine große
       Bankenkrise im Frühling 2022 zu vermeiden. Drittens profitiert die
       russische Wirtschaft von dem Anstieg der Militärausgaben. Steigende
       Nachfrage nach Arbeitskräften in der Militärproduktion führt zu einem
       Anstieg der Löhne. Die Arbeitslosigkeit in Russland ist auf einem
       historischen Tiefpunkt.
       
       Viertens hat der Globale Süden die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland
       nicht gekappt. China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die
       Türkei oder die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion profitieren massiv
       von den für sie jetzt viel günstigeren Handelsbedingungen mit Russland und
       bauen ihre Verflechtungen mit Russland aus, gleichzeitig versuchen sie, die
       Auswirkungen westlicher Sanktionen auf ihre Volkswirtschaften zu vermeiden.
       
       ## Vereint hinter dem Autokraten
       
       Bereits nach den ersten Sanktionswellen gab es Zweifel an ihrer politischen
       Effektivität. Diese bezogen sich jedoch primär auf den sogenannten
       Rally-Round-the-Flag-Effekt: In vielen autoritären Ländern führen
       Sanktionen dazu, dass sich die Bevölkerung und die Eliten konsolidieren und
       hinter den Autokraten stellen.
       
       Dadurch stärken Sanktionen ein Regime eher. Insbesondere liegt es daran,
       dass die Menschen keine Exitstrategie sehen. Sie gehen vielmehr davon aus,
       dass Sanktionen dauerhaft bestehen bleiben, egal was innenpolitisch
       passiert. Deswegen sehen sie keinen Grund, sich gegen das Regime zu
       stellen.
       
       Zudem führen Sanktionsmaßnahmen oft dazu, dass gerade diejenigen Gruppen,
       die auf Kontakte zum Westen angewiesen sind, besonders darunter leiden.
       Arbeiter*innen einer Fabrik, die Waffen herstellt, spüren die
       Sanktionen deutlich weniger als Programmierer*innen, die für westliche
       Unternehmen tätig sind. Dabei sind doch die Programmierer*innen genau
       diejenigen, die eher regimekritisch eingestellt sind. Ergo, Sanktionen
       schaden den potenziellen Verbündeten des Westens viel stärker.
       
       Beide Effekte sind in Russland zu beobachten. Doch auch [2][die
       wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen sind äußerst gering]. Das
       liegt einerseits daran, dass der Westen offensichtlich seine
       wirtschaftliche Kraft im Verhältnis zu der des Globalen Südens und Chinas
       überschätzt hat. Zwar scheinen die Spitzentechnologien (noch) im
       Monopolbesitz des Westens zu sein, doch in vielen anderen Bereichen ist die
       Welt aus wirtschaftlicher Sicht viel diverser und polyzentrischer geworden.
       
       ## Chance genutzt
       
       So haben die Sanktionen beispielsweise die russische Autobranche
       lahmgelegt, die größtenteils unter Kontrolle der westlichen Konzerne stand
       oder mit diesen Konzernen intensiv zusammengearbeitet hat. Dennoch gibt es
       in Russland nach wie vor einen Automarkt.
       
       Chinesische Firmen haben die Chance genutzt und so ist Russland zum größten
       Importeur chinesischer Autos weltweit geworden. Man kann zwar darüber
       streiten, ob diese Modelle so leistungsstark sind wie VW oder Opel. Doch
       ein Mindestmaß an Qualitätsstandards erfüllen auch sie.
       
       Andererseits hat sich das Design der Sanktionen aus politischer und
       wirtschaftlicher Sicht alles andere als durchdacht erwiesen. Und das,
       obwohl bereits vor dem Krieg mehrmals über Sanktionspläne gesprochen wurde,
       die die Regierungen der EU-Staaten und der USA vorbereiteten.
       
       Zum Teil sollten mit den Sanktionen widersprüchliche Ziele erreicht werden.
       So hat der Westen zum Beispiel den russischen Finanzsektor massiv
       sanktioniert und viele russische Banken von globalen Zahlungssystemen
       abgekoppelt mit dem Ziel, Lieferungen militärisch wichtiger Güter nach
       Russland zu stoppen. Ohne eine Teilnahme an internationalen
       Zahlungssystemen ist der internationale Handel massiv erschwert.
       
       ## Die Kluft wächst
       
       Aber gleichzeitig verhinderten diesen Sanktionen auch, dass russische
       Unternehmer*innen und Bürger*innen Kapital aus Russland schafften.
       Und [3][heftige Sanktionen gegen Oligarchen] haben dazu geführt, dass sie
       ihr Geld, soweit möglich, in Russland investierten, was die russische
       Wirtschaft stärkte.
       
       Ist die russische Wirtschaftsentwicklung seit dem Jahr 2022 also eine
       Erfolgsgeschichte? Daran kann man zweifeln, aus nachvollziehbaren Gründen.
       Auch wenn es zu keinem unmittelbaren wirtschaftlichen Kollaps gekommen ist,
       kann unter den aktuellen Bedingungen von einem stabilen Wachstum keine Rede
       sein.
       
       Russland braucht, wie alle Schwellenländer, nicht nur positive, sondern
       deutlich höhere Wachstumsraten als die westlichen Nationen, um
       wirtschaftlich aufzuholen. Langfristig wird die Kluft zwischen Russland und
       den führenden Wirtschaftsnationen der Welt immer größer werden.
       
       Dabei darf man nicht vergessen, dass wir in den kommenden Jahren auch auf
       der globalen Ebene auf eine Schwächung des Wirtschaftswachstums zusteuern.
       Außerdem gibt es eine andere Quelle potenzieller wirtschaftlicher
       Instabilität, die viel gefährlicher für Russland sein kann als alle
       westlichen Sanktionen – das ist das russische Regime selbst.
       
       ## Neue Mobilmachung
       
       [4][Umverteilungskämpfe unter Wladimir Putins Eliten] oder eine neue
       Mobilmachung können die russische Wirtschaft dermaßen negativ beeinflussen,
       wie keine Maßnahme des Westens es je vermag. Und die Wahrscheinlichkeit,
       dass Putin ökonomisch gesehen selbst den Ast absägt, auf dem er sitzt,
       bleibt groß.
       
       So könnte Wladimir Putin etwa zu massiven Enteignungsmaßnahmen bei
       russischen Unternehmen greifen, um auf diese Weise die ihm gegenüber
       loyalen Oligarchen zu unterstützen. Das würde die Arbeit dieser Unternehmen
       extrem erschweren.
       
       Und bereits heute gibt es Beispiele für politisch motivierte Enteignungen,
       auch in Fällen, wo diese Unternehmen seit den frühen neunziger Jahren in
       privater Hand waren. Ein derartiges Vorgehen verunsichert Geschäftsleute
       stark und lässt kein effizientes Wirtschaften mehr zu.
       
       Protektionistische Maßnahmen der russischen Regierung zugunsten
       befreundeter Wirtschaftsgruppen könnten Investoren und Handelspartner aus
       dem Globalen Süden abschrecken. Und Versuche, die Wirtschaft „manuell“ zu
       steuern, etwa Produktionsziele zu setzen oder Preise zu manipulieren,
       würden die Anpassungsfähigkeit der russischen Unternehmen weiter
       reduzieren.
       
       Alexander Libman ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt
       Osteuropa und Russland an der Freien Universität Berlin
       
       23 Feb 2024
       
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