# taz.de -- Wannsee Contemporary: Die Party von früher
       
       > Bei Wannsee Contemporary erinnert sich Elinor Sahm an die
       > jüdisch-arabischen Familienfeiern. Durch Zeichnungen kommen alle nochmal
       > zusammen.
       
 (IMG) Bild: „Saba and Yehezkel“ von Elinor Sahm, Bleistift und Graphit auf Leinwand, 2024
       
       Heute. In vier Sprachen steht das Wort an der Wand der Galerie Wannsee
       Contemporary geschrieben, auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Hebräisch.
       Was in der gleichnamigen Ausstellung zu sehen ist, ist aber ein Stück
       Vergangenheit. Großformatige Zeichnungen hat die Künstlerin Elinor Sahm
       aufgehängt. Sie zeigen Gruppen von Figuren, Zweier- und
       Dreierkonstellationen, einzelne Personen, Kinder und Erwachsene, Gesichter,
       Körper, Hände, alles ein wenig verwischt und verwackelt, schemenhaft.
       
       In den Zeichnungen hat Sahm ein Videoarchiv ihrer Familie verarbeitet,
       private Aufnahmen von Feiern und Zusammenkünften sind es, von sogenannten
       „Haflas“, einem arabischen Wort, das so viel wie „Party“ oder
       „gesellschaftliches Ereignis“ bedeutet, Familientreffen, wie sie sich um
       Sahms jüdisch-arabischen Urgroßvater Avraham Abuganim, genannt Sabuli, zu
       dessen Lebzeiten versammelten und bei denen zusammengesessen, gegessen und
       musiziert wurde.
       
       Elinor Sahm ist 1986 in Jerusalem geboren, seit einem Jahr lebt sie in
       Berlin. In ihrer Familie vermischen sich jüdische, arabische und deutsche
       Einflüsse. Ihr Urgroßvater mütterlicherseits, jener Sabuli, ist 1909 in
       Hebron geboren, seine Eltern waren Einwander*innen aus Marokko und
       Mazedonien, die damals zum Osmanischen Reich gehörten.
       
       Sahms Urgroßvater väterlicherseits wiederum – mit ihm hatte sie sich in
       früheren Arbeiten intensiv auseinandergesetzt – Heinrich Sahm, war von 1931
       bis 1935 Oberbürgermeister von Berlin, dessen Enkel, ihr Vater Ulrich W.
       Sahm, der erst kürzlich verstorben ist, langjähriger Nahostkorrespondent
       für verschiedene Medien.
       
       ## Die Fotografin Varda Polak-Sahm
       
       Aufgenommen wurden die neueren der Videos aus dem Archiv, das bis in die
       1950er Jahre zurückreicht, von Sahms Mutter, der im vergangenen Jahr
       verstorbenen Fotografin und Journalistin Varda Polak-Sahm, oft, so erzählt
       es die Künstlerin beim Gespräch in ihrer Ausstellung, an Sahms
       Geburtstagen, in den 1980er, 90er und 00er Jahren.
       
       Einst hatten diese Haflas sogar wöchentlich stattgefunden, am Ende des
       Schabbat, als Abschluss der Woche. Das Miteinander der Kulturen spiegelt
       sich in den Zeichnungen wider, Sahms Urgroßvater spielte [1][die arabische
       Oud], eine deutsche Weihnachtspyramide lässt sich auf einer der Zeichnungen
       im Hintergrund erkennen.
       
       Auf einem 21-minütigen Klangstück zur Ausstellung kann man auch die Stimmen
       der Familienangehörigen hören, ihre Gespräche, ihr Lachen, ihre Lieder,
       eine Mischung aus Hebräisch, Arabisch und Ladino. In der Galerie ist dafür
       ein QR-Code platziert. Man kann, muss es sich aber nicht anhören. Nicht
       sicher war Sahm sich, ob es nach dem 7. Oktober nicht zu viele Fragen
       aufwerfen würde, weil es keine Übersetzungen für die Texte gibt. Die
       Zeichnungen, sie stehen ohnehin für sich selbst.
       
       ## Ausstellung von Elinor Sahm
       
       Galerist Avi Feldman hat als Reaktion auf die Massaker der Hamas das
       Programm von Wannsee Contemporary abgeändert und kurzfristig Sahms
       Ausstellung organisiert. Davor war in der Galerie noch eine Ausstellung des
       queeren palästinensischen Künstlers Muhammad Toukhy zu sehen gewesen.
       Eigentlich ging es um Männlichkeit, Macht und Identität, doch [2][die
       Ereignisse des 7. Oktobers und deren Folgen] veränderten die Wahrnehmung:
       „Jeder hat plötzlich Toukhys Werke zu den Massakern in Verbindung gesetzt“,
       erzählt Feldman.
       
       „Man kann es gar nicht nicht ansprechen“, sagt Sahm. In ihrer Ausstellung
       versucht sie dem Grauen eine utopische Idee entgegenzusetzen, jene nämlich,
       dass Feiern wie die abgebildeten auch heute stattfinden könnten. Können sie
       aber nicht. Viele der Familienmitglieder, die Sahm porträtiert hat, leben
       nicht mehr.
       
       Zu erkennen ist das am schwarz-grauen Graphitstift, mit dem sie diese im
       Gegensatz zu den bunten noch Lebenden gezeichnet hat. Nur auf den
       Leinwänden kommen sie alle noch mal zusammen. Solch unbeschwertes
       [3][jüdisch-arabisches Miteinander] erscheint aktuell in der Realität kaum
       mehr möglich. Das Private ist bei Sahm eindeutig politisch. „Wenn ich mir
       die Videos ansehe, schmerzt mich der Gedanke, dass ich die schönen Zeiten
       meines Urgroßvaters nicht mehr leben kann. Es bleibt nur, sie in Erinnerung
       zu bewahren und auf etwas Besseres zu hoffen“, sagt sie.
       
       ## Der Wunsch nach einem anderen Heute
       
       Nicht erst jetzt hat sich Sahm mit dem Videoarchiv beschäftigt. Schon für
       ihre Abschlussarbeit an der Bezalel Academy in Tel Aviv hatte sie
       Ausschnitte daraus an die Wand der Hochschule gezeichnet. Wie damals
       beziehen sich auch die neuen Zeichnungen nicht auf konkrete Szenen,
       vielmehr sind sie aus vielen zusammengefügt.
       
       Es sei ihr darum gegangen, die Personen zu erfassen. Um deren Bewegungen in
       Zeichnung zu übersetzen, hat Sahm Einzelbilder einer Sequenz
       übereinandergelegt. Nur ein Porträt ist ganz still: Es zeigt die Künstlerin
       selbst im Hier und Jetzt, blau gezeichnet neben zwei in Schwarz gehaltenen
       Figuren, zärtlich untergehakt hat sie sich bei ihrem Großvater. Der Wunsch,
       wieder Kind zu sein, drücke sich darin aus, erzählt Sahm – und der nach
       einem anderen Heute.
       
       15 Feb 2024
       
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