# taz.de -- Festnahme von Daniela Klette: Untergrund mit Selfies
       
       > Das relativ offene Leben der gefassten Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette
       > wirft Fragen auf. Die Suche nach den Weggefährten geht weiter.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt eines RAF-Fahndungsplakats: Sabine Elke Callsen, Daniela Klette, Andrea Martina Klump, Barbara Meyer
       
       BERLIN taz | Corinna Melcher (Name geändert) ist auch am Mittwoch noch
       perplex. „Ich kann das immer noch nicht glauben.“ Jahrelang habe sie mit
       Claudia Capoeira praktiziert, in einem kleinen Kreuzberger Verein. Ihre
       Mitstreiterin habe Kurse für Kinder gegeben, man sei sogar zu Auftritten
       nach Frankreich oder Brasilien geflogen. Bei den Gesprächen mit Claudia sei
       nie etwas Extremistisches gefallen, berichtet Melcher. Der Verein setze
       sich für kulturellen Austausch und gegen Rassismus ein. „Man denkt, man
       kennt jemanden, und dann das.“
       
       [1][Denn seit Montagabend ist klar]: „Claudia“ war Daniela Klette, die
       frühere RAF-Terroristin. Seit 30 Jahren wurde sie von Ermittlungsbehörden
       gesucht, zusammen mit ihren Weggefährten Ernst-Volker Staub und Burkhard
       Garweg. Bis heute ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen das Trio,
       [2][zuletzt jagte es die Staatsanwaltschaft Verden], weil die
       Untergetauchten von 1999 bis 2016 noch sechs Raubüberfälle in Niedersachsen
       und Nordrhein-Westfalen verübt haben sollen. Maximal 150.000 Euro Belohnung
       sind für Hinweise ausgelobt. Doch bis Montagabend half das alles nichts.
       
       Dann erfolgte Klettes Festnahme mitten in der Hauptstadt, ausgerechnet in
       Kreuzberg, dem traditionell linksalternativen Stadtteil. Im November hatte
       das LKA Niedersachsen nach eigener Auskunft einen Hinweis aus der
       Bevölkerung auf die Wohnung bekommen, diese danach observiert. Zielfahnder
       klopften am Montagabend dann an die Tür. Und Klette ließ sich
       widerstandslos festnehmen. Über Fingerabdrücke wurde die 65-Jährige laut
       Polizei zweifelsfrei identifiziert.
       
       Es war das Ende einer beispiellosen Jagd. Klette, Garweg und Staub sollen
       zur dritten und letzten Generation der RAF gehören – über welche die
       Ermittler bis heute nicht wissen, wer genau alles dazugehörte. Die Gruppe
       verübte etwa die Morde an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen und
       Treuhand-Chef Detlev Rohwedder. Klette selbst werden drei Anschläge
       vorgeworfen: 1990 auf die Deutsche Bank in Eschborn, ein Jahr später auf
       die US-Botschaft in Bad Godesberg und 1993 auf die im Bau befindliche JVA
       Weiterstadt.
       
       ## In ihrem Capoeira-Verein trat Klette öffentlich auf
       
       Klettes Festnahme wurde von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
       bejubelt. Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sprach
       von einem „Meisterstück“. Aber kann man das wirklich so sagen? Denn
       offenbar wohnte Klette seit vielen Jahren in Kreuzberg – und kaum
       versteckt.
       
       Noch am Mittwoch sperrten Polizeibeamte das graue, siebenstöckige Mietshaus
       in Kreuzberg ab, in dem Klette zuletzt wohnte. Kolleg*innen sicherten in
       ihrer Wohnung jede Spur. Tags zuvor hatten auch Nachbarn
       Journalist*innen berichtet, dass die Festgenomme sich „Claudia“ genannt
       habe. Dass sie schon viele Jahre im Haus lebte, unauffällig freundlich,
       Nachhilfe habe sie gegeben.
       
       Wie sicher sich Klette offenbar fühlte, zeigen ihre Aktivitäten im
       örtlichen Capoeira-Verein. Deren Chef und „Mestre“ will sich nicht äußern.
       Aber Mitstreiterin Corinna Melcher berichtet, dass „Claudia“ schon dabei
       gewesen sei, als sich die Gruppe vor gut zehn Jahren zusammenfand. Was
       „Claudia“ sonst noch so mache, da habe sie nie so genau nachgefragt. Ihr
       Geld bekomme sie vom Jobcenter, soll sie erzählt haben. „Das ist ja noch
       nichts Besonderes.“ Am Ende, vor rund vier Jahren, habe „Claudia“ dann aber
       den Verein verlassen. Es habe zwischenmenschlich nicht mehr gepasst, sagt
       Melcher. „Nichts Dramatisches.“
       
       Zumindest hier in Kreuzberg hatte sich Klette also nicht versteckt. Für
       ihren Capoeiraverein trat sie auch nach außen hin öffentlich auf. Im Sommer
       2018 veranstaltete sie im Namen des Vereins ein Infotreffen für
       Interessierte in einem Neuköllner Kulturzentrum mit. Auf einem Foto von
       diesem Tag ist sie zu sehen, untergehakt mit anderen Frauen. Ihre langen,
       grauen Haare sind zum Zopf gebunden, fast schüchtern schaut sie in die
       Kamera. Alle Anwesenden würde die „herzliche und schöne Atmosphäre in
       Erinnerung“ bleiben, steht über dem Bild.
       
       ## Wenige Likes auf ihrem Facebook-Account
       
       [3][Laut Welt] tanzte Klette im Jahr 2011 auch auf dem jährlichen „Karneval
       der Kulturen“. Fotos zeigen sie in einem weiß-gelben Kleid und mit
       Stirnband, inmitten einer großen Menge. Sie muss sich sehr sicher gefühlt
       haben in Berlin.
       
       Und auch sonst war Klette nicht übermäßig vorsichtig. Auch heute noch, zwei
       Tage nach der Festnahme, finden sich von Klette zahlreiche Spuren im
       Internet. Seit 2011 betrieb sie ein Profil auf Facebook, [4][unter ihrem
       Pseudonym „Claudia Ivone]“. Dort postete sie vor allem Werbung für ihren
       Capoeiraverein und Fotos von Pflanzen, Wäldern, Seen. Man sieht sie in
       bunter Pluderhose in einem Kreis sitzen und mit anderen musizieren. Ein
       anderes Bild zeigt sie untergehakt mit jungen Leuten auf einer
       Capoeira-Veranstaltung. Der letzte Beitrag stammt von Anfang 2023: Blumen
       in den Berliner Prinzessinnengärten – nur wenige hundert Meter von ihrer
       Wohnung entfernt.
       
       Viel Resonanz erfuhr sie nicht auf ihrem Profil, nur hin und wieder ein
       Daumen Hoch für eines ihrer Fotos. Politisch hat sie sich bei Facebook nie
       geäußert. Einen Hinweis darauf, wo sie politisch steht, gibt nur die Liste
       der Vereine und Gruppen, die Klette likt: brasilianische Künstler*innen,
       aber auch Bündnisse und Vereine, die sich gegen Rassismus engagieren, und
       die taz.
       
       Am Ende war ihr auch ein Podcast-Team auf den Fersen. Im Dezember 2023
       erschien bei der ARD [5][der zweiteilige Podcast „Legion“] der
       Podcast-Firma Undone. In zwei Teilen spürt das Team dem Gerücht hinterher,
       Daniela Klette lebe unbemerkt in einer deutschen Großstadt. Die
       Macher*innen kommen Klette tatsächlich auf die Spur – mit Hilfe von
       Bilderkennungssoftware im Internet. Sie stoßen auf die Bilder Klettes bei
       dem Berliner Capoeira-Verein. Dort erfahren die Journalist*innen dann
       ebenfalls, dass Klette seit Jahren nicht mehr aktiv sei. Finden können sie
       Klette schließlich nicht. „Aber heute wissen wir, dass wir ziemlich nah an
       ihr dran waren“, sagt Patrick Stegemann, der den Podcast mitproduziert hat.
       
       ## Klette droht eine mehrjährige Haft
       
       Wie kann es sein, dass Journalist*innen eine untergetauchte Terroristin
       fast finden, die Polizei in mehreren Jahrzehnten Ermittlungsarbeit aber
       nicht? Und war es womöglich die Podcast-Recherche, die im November den
       entscheidenden Anstoß bei der Polizei gab und jetzt zur Ergreifung von
       Klette führte? Stegemann, der Podcast-Produzent, kann dazu nichts sagen,
       auch die Staatsanwaltschaft Verden wollte sich am Mittwoch nicht äußern.
       
       Ob Klette auch noch Kontakt in die linke Szene hielt, blieb vorerst offen.
       Die gebürtige Karlsruherin war in den 70ern Teil der Anti-Nato-Bewegung und
       Roten Hilfe. In den Untergrund soll sie 1989 gegangen sein – kurz nach dem
       Herrhausen-Attentat. Die Szenesolidarität bleibt vorerst überschaubar. In
       Hamburg hisste am Mittwoch die Rote Flora ein Solidaritätsbanner. „Viel
       Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“, schrieb der
       Solidaritätsverein Rote Hilfe schon 2016 in seiner Mitgliederzeitung.
       Bundesvorständin Anja Sommerfeld nennt die Festnahme Klettes das Ergebnis
       einer „jahrzehntelangen Verfolgungswut“ und eines „staatlichen
       Rachebedürfnis“. Es sei zu befürchten, dass in dem neuerlichen
       RAF-Verfahren „sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt
       werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen und Reuebekundungen
       zu erpressen“.
       
       Tatsächlich droht Klette, die nun in der JVA Vechta sitzen soll, eine
       mehrjährige Haft. Da bei den Raubüberfällen auch Schüsse fielen, laufen die
       Ermittlungen hier auch wegen versuchten Mordes. Als politisch motiviert sah
       die Staatsanwaltschaft diese Taten nicht mehr, dennoch wiegen die Delikte
       schwer. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist zwar
       verjährt, nicht aber die Vorwürfe zu den Anschlägen in Eschborn, Bad
       Godesberg und Weiterstadt, bei denen jeweils DNA von Klette gefunden wurde.
       Personen wurden damals nicht verletzt, dennoch prüft die
       Bundesanwaltschaft, ob auch sie noch einen Haftbefehl gegen Klette
       verhängt.
       
       Weiter auf der Flucht sind Garweg und Staub. Noch am Dienstag hatte das LKA
       die Hoffnung, einen der beiden erwischt zu haben, ein weiterer Mann wurde
       in Berlin festgenommen. [6][Vom LKA hieß es am Mittwochmorgen dazu], der
       Betroffene sei „zweifelsfrei“ nicht Garweg oder Staub und wieder
       freigelassen. Nachmittags vermeldeten Medien eine weitere Festnahme im
       RAF-Fall – die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu nicht äußern. Doch auch
       hier kein Treffer: „Es wird weiter nach den zwei Gesuchten gefahndet“,
       erklärte eine LKA-Sprecherin.
       
       Schon im Dezember hatte die Staatsanwaltschaft Verden nochmal
       Familienangehörige und vermeintliche frühere Bekannte des RAF-Trios zu
       Befragungen geladen. Zuletzt wurde der Fall auch über die ZDF-Sendung
       „Aktenzeichen XY … ungelöst“ ausgestrahlt, 250 Hinweise erfolgten im
       Anschluss.
       
       Die Ermittler hoffen jetzt aber vor allem auf Hinweise von der Festnahme
       und aus der Wohnung von Klette. Bisher wurden dort etwa zwei Magazine und
       Munition beschlagnahmt, aber keine Waffe. Eine könnte wohl sagen, wo Staub
       und Garweg sind: Aber Daniela Klette schweigt bisher.
       
       Aktualisiert und ergänzt am 29. 02. 2024 um 08:15 Uhr. d. R.
       
       28 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /RAF-Terroristin-Daniela-Klette-verhaftet/!5992157
 (DIR) [2] /Verschollene-Mitglieder-der-RAF/!5266543
 (DIR) [3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article250311820/Daniela-Klette-Ex-RAF-Terroristin-tanzte-auf-dem-Karneval-der-Kulturen.html
 (DIR) [4] https://www.facebook.com/claudia.ivone.31
 (DIR) [5] https://www.ardaudiothek.de/sendung/legion/12015417/
 (DIR) [6] /Nach-der-Festnahme-von-Daniela-Klette/!5995313
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
 (DIR) Anne Fromm
       
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