# taz.de -- Disney-Serie „Shōgun“: Japan, ganz unromantisiert
       
       > Das historische und das moderne Japan wird in der Popkultur oft verklärt.
       > „Shōgun“ betrachtet die japanische Kultur bewusst durch westliche Augen.
       
 (IMG) Bild: Hiroyuki Sanada als Fürst Yoshii Toranaga
       
       Wenn sich westliche Medien dem asiatischen Raum nähern, insbesondere Japan,
       wird es schnell kritisch. Dann ist die Rede von den tödlichen Ninjas und
       edlen Samurais und einem Land voll exotischer Schönheit, das im Einklang
       mit sich selbst lebt. Das historische und selbst das moderne Japan wird in
       der Popkultur oft verklärt und romantisiert.
       
       Das Ergebnis ist ein Zerrbild des Inselstaats, das mit der Realität kaum
       etwas gemein hat. Die neue zehnteilige Serie „Shōgun“ umschifft diese
       Klippen, indem sie die japanische Kultur bewusst durch westliche Augen
       betrachtet. Selbst [1][vor der Serien-Größe „Game of Thrones“] muss sich
       die Serie nicht verstecken, im Gegenteil. In vielerlei Hinsicht ist
       „Shōgun“ schon jetzt die Serie des Jahres.
       
       Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman des Briten James Clavell, der
       im Zweiten Weltkrieg in japanische Kriegsgefangenschaft geriet. Serie wie
       Roman basieren lose auf dem Leben des Reisenden William Adams, der im 16.
       Jahrhundert nach Japan segelte. In Clavells Fiktion ist es der englische
       Seefahrer John Blackthorne (Cosmo Jarvis), der vor der japanischen Küste
       Schiffbruch erleidet. Er gerät in Gefangenschaft und wird dem Fürsten
       Toranaga (Hiroyuki Sanada) in der Stadt Osaka vorgeführt. Durch die
       Sprachbarriere werden beide nicht wirklich schlau übereinander. Ein
       portugiesischer Priester übersetzt zwar die Gespräche, doch als Protestant
       ist Blackthorne kein Freund des Katholizismus. Aber Toranaga nimmt den
       Schiffbrüchigen in Schutz, denn er braucht Unterstützung im Machtkampf mit
       anderen Fürsten. Denn sie alle kämpfen um die Position des Shōguns, des
       Staatsoberhaupts.
       
       Die Sprachbarriere trennt nicht nur die Charaktere, sie erhebt sich auch
       vor uns, dem Publikum. Sprechen die Figuren japanisch miteinander, sind
       Untertitel zwingend notwendig. Während Purist:innen sich über den
       eingebauten Originalton freuen, wird das manche abschrecken. Doch „Shōgun“
       macht deutlich, dass die Sprache Teil der Erfahrung ist. Nicht nur
       Blackthorne wird mit einer anderen Kultur konfrontiert, auch die
       Zuschauer:innen werden das.
       
       Und während das Verständnis der meisten westlichen Zuschauer:innen für
       die japanische Sprache begrenzt ist, fehlt den Japaner:innen die
       Kenntnis über das Christentum. So versteht Fürst Toranaga nicht, wieso man
       im Protestantismus und Katholizismus an denselben Gott glaubt und sich
       trotzdem streitet.
       
       ## Eine naive Identifikationsfigur
       
       Visuell macht die Serie nicht den Eindruck einer TV-Produktion, [2][sondern
       vielmehr den eines groß produzierten Kinofilms.] Und obwohl viele moderne
       Serien hohe Budgets haben, können doch nur wenige die Größe und Bandbreite
       ganzer Welten und Epochen fassen. Durch hervorragende Kostüme und
       Setdesigns greift „Shōgun“ das feudale Japan glaubhaft auf und erzählt wie
       schon die Romanvorlage eine multiperspektivische Geschichte.
       
       Blackthorne ist dabei [3][keineswegs eine White-Savior-Figur], wie sie in
       Filmen wie „Hidden Figures“, „Avatar“ oder im Oscar-Gewinner „Green Book“
       vorkommen. Den weißen, westlichen, heldenhaften Mann, der einer fremden
       Kultur die kultivierte Zivilisation näherbringt, suchen wir hier vergebens.
       Mit Blackthorne bekommen wir eine eher pragmatische, in Teilen auch naive
       Identifikationsfigur, die von den Fürsten als Instrument für ihre
       politischen Intrigen genutzt wird. Wir sehen Japan zwar durch seine Augen,
       doch ist es nicht der „Western Gaze“, der nicht selten rassistische
       Stereotype transportiert.
       
       Der Kritiker und Pionier des Postkolonialismus Edward Said formulierte 1978
       in seinem berühmten Buch „Orientalism“, wie der westliche Blick den
       arabischen Kulturraum exotisiert und verfälscht. Nichts anderes passiert in
       der Popkultur mit Japan. Solche Fehltritte leistet sich „Shōgun“ nicht. Ein
       großes Serien-Highlight.
       
       3 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kolumne-Die-Couchreporter/!5300498
 (DIR) [2] /Serien-auf-der-Berlinale/!5991829
 (DIR) [3] /Armuts-Tourismus-und-White-Saviors/!5640293
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Seng
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Serien-Guide
 (DIR) Japan
 (DIR) Stereotyp
 (DIR) Postkolonialismus
 (DIR) Frauenkampftag
 (DIR) Autoritarismus
 (DIR) Organisierte Kriminalität
 (DIR) Anime
 (DIR) Japan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) ARD-Serie „Sexuell verfügbar“: Frauenkampftag ist jeden Tag
       
       Die ARD-Serie „Sexuell verfügbar“ startete am Frauentag. Auf witzigste Art
       wirbelt sie Genderklischees und moderne Freiheitsbegriffe durcheinander.
       
 (DIR) Serie „The Regime“ auf Sky: Die Neurosen der Autokratin
       
       In der Serie „The Regime“ richtet die Kanzlerin Elena Vernham ihr Land
       zugrunde. Eine bitterböse Karikatur der Autokratien unserer Zeit.
       
 (DIR) Gangster-Serie „Tokyo Vice“: Verbrechen und Strafe
       
       Durch die Augen eines weißen Reporters sehen wir die Welt der organisierten
       Kriminalität in Japan. Die Geschichte hat realen Hintergrund.
       
 (DIR) Neue Anime-Serie auf Netflix: Rache, Blut, Schnee
       
       Die Netflix-Serie „Blue Eye Samurai“ ist ein ästhetisch beeindruckender,
       antikolonialer Splatter-Anime. Sie erinnert an Tarantinos „Kill Bill“.
       
 (DIR) Remake von „Takeshi's Castle“: Sturm auf die Burg
       
       Die Neuauflage der japanischen Fernsehshow „Takeshi’s Castle“ ist auf
       Amazon Prime gestartet. Die neuen Folgen wirken aus der Zeit gefallen.