# taz.de -- Grüne im Osten: Im grünen Bereich
       
       > Wie den Schwung der Demos gegen rechts mitnehmen vor den Wahlen im Osten?
       > Zu Besuch in der Kreisgeschäftsstelle der Grünen in Senftenberg.
       
 (IMG) Bild: In Senftenberg wird immer wieder protestiert: auf dem Marktplatz gegen eine Wahlversammlung der AfD, 2021
       
       Dieser Text ist Teil unserer [1][Berichterstattung zu den Kommunal- und
       Landtagswahlen 2024] in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. [2][Die taz
       zeigt, was hier auf dem Spiel steht:] Wer steht für die Demokratie ein?
       Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um
       ihre Existenz? 
       
       SENFTENBERG taz | Der Mann ist Mitte 50, Pächter einer Tankstelle und so
       frisch in der Partei, dass er noch nicht mal einen Mitgliedsausweis hat.
       Nach der Wende hat er erst CDU gewählt, später die FDP und zwischendurch
       auch mal die SPD. Aber vor zehn Jahren dann, sagt er, habe er zu Hause in
       seinem Gemüsegarten gemerkt: „Tomaten kannst du keine mehr anbauen.“ Zu
       viel Hitze, zu selten Regen. Seitdem wählt er die Grünen.
       
       Für die Mitgliedschaft hat es aber erst [3][die Demos gegen rechts]
       gebraucht, die seit einigen Wochen bundesweit immer wieder Zehntausende auf
       die Straße mobilisieren. Vor zwei Jahren wollte er schon mal beitreten –
       das scheiterte daran, dass seine Mails ins Leere liefen. Vor drei Wochen
       dann fand auch in Senftenberg eine Kundgebung gegen [4][die AfD und deren
       Deportationspläne] statt. „Die erste Demo meines Lebens“, sagt der
       Hobbygärtner, der seinen Namen nicht prominent in der Zeitung lesen will.
       Eine Gruppe mit Grünen-Fahne war da, die sprach er an, und jetzt sitzt er
       an einem Dienstagabend im Februar auch gleich bei seiner ersten
       Parteiveranstaltung – als Mitglied Nummer 34 des Kreisverbands
       Oberspreewald-Lausitz.
       
       Der Landkreis liegt im Süden Brandenburgs, nahe der Grenze zu Sachsen.
       Berlin, mit der Regionalbahn in weniger als zwei Stunden zu erreichen, ist
       gefühlt weit entfernt. Die Bevölkerung ist in den letzten 30 Jahren um ein
       knappes Drittel geschrumpft. Die Region befindet sich im Strukturwandel,
       weg von der Braunkohle und hin zu neuen Arbeitsplätzen in Industrie und
       Forschung. Die AfD wäre schon bei der letzten Kreistagswahl vor fünf Jahren
       beinahe stärkste Kraft geworden. Die NPD-Nachfolgepartei „Die Heimat“ ist
       auch noch aktiv. Für die Grünen war die Region dagegen schon immer ein
       hartes Pflaster. Im Jahr 2024, mitten im Rechtsruck, ist der kleine
       Kreisverband mit Kommunal-, Landtags- und Europawahl gleich dreifach
       gefordert.
       
       In der Senftenberger Bahnhofstraße befindet sich die Kreisgeschäftsstelle
       der Grünen. Acht von ihnen sitzen an diesem Dienstag hier zusammen. Sechs
       Männer und zwei Frauen zwischen Mitte dreißig und Anfang siebzig. Alle paar
       Wochen laden sie zu einer offenen Gesprächsrunde. Thema heute: Wie weiter
       nach den Demos gegen rechts?
       
       ## Aufbruchstimmung in der Lausitz
       
       In der Region hatten sie in den letzten Wochen mehrere davon, wie an so
       vielen Orten im ganzen Land. Rund 400 kamen zur Kundgebung in Senftenberg,
       eine Woche später 300 zu der in Lauchhammer. Nebenan in Elsterwerda waren
       es genauso viele. Aufbruchstimmung also auch in der Lausitz, wie in den
       Großstädten, wo Hunderttausende auf den Straßen waren?
       
       Der Kreisvorsitzende sagt: „Es waren auch Gesichter da, die ich noch nie
       gesehen hatte.“ Seine Beisitzerin sagt: „Bei der Demo in Senftenberg hatte
       ich schon auch das Gefühl: Wir sind mehr.“ Die Mitarbeiterin der
       Geschäftsstelle sagt: „Immerhin hat auch der Betriebsrat von BASF
       aufgerufen.“ Im benachbarten Schwarzheide betreibt der Chemiekonzern ein
       großes Werk, nach eigenen Angaben produziert er dort schon heute
       CO2-neutral. Das ist die Positivseite.
       
       Und trotzdem ist die Stimmung im Senftenberger Grünen-Büro gedämpft. Ein
       wenig abgekämpft wirken sie hier an ihrem Konferenztisch. Von einer
       Massenbewegung, da sind sich die Anwesenden einig, sind sie trotz der
       Demos weit entfernt. Der Kreis der Teilnehmenden: am Ende doch
       überschaubar. Die Aktiven aus Lauchhammer und Elsterwerda seien auch zur
       Kundgebung in Senftenberg gefahren, die aus Senftenberg und Elsterwerda zu
       der in Lauchhammer, kurz: Man hat sich gegenseitig einen Besuch
       abgestattet. Sonst sähen die Teilnehmerzahlen nicht so gut aus.
       
       Ende Januar, bei einer Kundgebung in Herzberg, waren die Demokrat*innen
       vielleicht sogar in der Unterzahl. Dort hätten sich Rechte unter die Menge
       gemischt, mit Traktoren und Lastwagen seien sie angereist. Paul-Philipp
       Neumann, der Direktkandidat der Grünen für die Landtagswahl im Herbst,
       sollte eigentlich eine Rede halten. Im Gehupe, berichtet er, habe er sie
       aber abbrechen müssen. Später erzählt der IT-Manager beiläufig auch noch
       von den Rechtsextremen auf der Demo in Elsterwerda. Einer sei gezielt auf
       ihn zugekommen, habe ihn geschubst und ihm sein Handy aus der Hand
       geschlagen. Zwei Tage ist das her.
       
       „Beunruhigt dich das?“, fragt jemand. Kurze Pause von Neumann vor der
       Antwort: „Wenn ich darüber nachdenken würde, könnte ich den Job nicht mehr
       machen.“ Der Rechtsruck ist spürbar. „Das rechte Spektrum hatten wir hier
       von Anfang an. Dass wir Grüne kein Bein auf den Boden bekommen, ist nicht
       neu“, sagt einer, der schon lange für die Partei in der
       Stadtverordnetenversammlung sitzt. „Zugenommen hat aber die Aggression.“
       
       Das sei auch im Alltag und sogar im persönlichen Umfeld so. „Es ist total
       salonfähig geworden, rechte Sachen zu äußern“, berichtet die Beisitzerin
       des Kreisvorstands. „Ich frage mich dann immer, wie ich reagieren soll.“
       Auf jeden Fall widersprechen, meint die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle,
       damit habe sie gute Erfahrungen gemacht. „Das könnt ihr euch vielleicht
       leisten“, antwortet die Beisitzerin. Die ist aber Single, wie sie sagt,
       lebt alleine und ist damit auf soziale Kontakte auch außerhalb der Partei
       angewiesen. „Wenn auf dem Hundeplatz einer anfängt, sich über Kanaken
       auszulassen – oute ich mich dann als Grüne?“
       
       Kurz vor acht soll der Kreisvorsitzende ein Fazit des Abends ziehen. „Ich
       finde, wir sollten weiter mit aufrufen zu den Demos“, sagt er. Da sind sich
       wieder alle einig, nur über den nächsten Termin in Senftenberg gibt es noch
       Gesprächsbedarf. Der Initiator der Kundgebungen in der Stadt, ein
       Ex-Mitglied der Grünen, will die nächste Aktion als Tanzdemo anmelden.
       
       Und wie fand Neumitglied Nummer 34 nun seinen ersten Abend mit der Partei?
       „War schick“, erwidert der Neuling, bevor er sich auf den Heimweg macht.
       „Haben uns mal gut ausgetauscht. Ist ja auch wichtig.“
       
       28 Feb 2024
       
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