# taz.de -- Kunst-Triennale in Ruanda: Der Wirklichkeit voraus
       
       > Der Erinnerung an den Genozid kann man in Ruanda nicht entkommen. Doch
       > auf der ersten Kigali Triennale feiert eine junge Künstlergeneration das
       > Leben.
       
 (IMG) Bild: Skulpturprojekte zwischen Bäumen auf der Kigali Triennale
       
       KIGALI taz | Kunst und Kultur befreien sich aus dem Korsett des
       ritualisierten Erinnerns. Wenige Wochen, bevor am 7. April das Gedenken an
       den 30 Jahre zurückliegenden Genozid ganz Ruanda in den Trauer- und
       Erschütterungsmodus versetzen wird, findet die erste Ausgabe der Kigali
       Triennale statt. Bildende Kunst, Musik, Design, Film, darstellende Künste,
       auch Kulinarik bringt dieses Kulturfestival in Ruandas Hauptstadt zusammen.
       Angetrieben wird es von einer jungen Künstlergeneration, die vor allem das
       Leben feiert – jedoch ohne dabei Fragen nach Herkunft, Geschichte und
       Trauma auszusparen.
       
       Hauptveranstaltungsort ist das Kigali Conference und Education Village. Es
       wurde im Zuge des staatlichen Masterplans, die Hauptstadt zu einem
       internationalen Konferenzstandort zu entwickeln, von namentlich nirgendwo
       erwähnten Architekten in einer Mischung aus modernen und traditionellen
       Elementen erbaut. An Bambuskonstruktionen befestigte Stoffbahnen überdecken
       die Gänge zwischen den Hallen und schützen vor dem Tropenregen.
       
       Die Erinnerung an den Genozid vor 30 Jahren, bei dem während nur 100 Tagen
       mehr als eine Million Menschen getötet wurden und mindestens noch einmal so
       viele flohen, ist auch hier präsent. Gleich neben dem Gebäudekomplex
       befindet sich das Mahnmal für die zehn zu Beginn des Genozids getöteten
       belgischen Blauhelmsoldaten. Sie waren Teil einer erschreckend schlecht
       ausgestatteten Friedensmission.
       
       Teil der ruandischen DNA 
       
       Der [1][Erinnerung an den Genozid] wird man in Ruanda kaum entkommen. „Das
       ist Teil unserer DNA“, betont Mucyo, ein bildender Künstler und Co-Kurator
       der Triennale-Ausstellung gegenüber taz. Von Mucyo sind sehr große
       Textilarbeiten zu sehen. Mittels Chemikalien – die genauen Rezepturen
       behält er für sich – ätzt er Strukturen, menschliche Porträts und
       Landschaften in die Stoffe.
       
       „Three Brothers“ und „She Dances with the Wind“ heißen etwa Werke von ihm,
       und sie zeigen starke, fast mythisch wirkende Männer- und Frauengestalten,
       die sich mal schemenhaft, mal stärker konturiert aus dem dunklen Textil
       herausschälen. Seine Arbeiten entstehen oft in Workshops mit
       marginalisierten Gemeinschaften, teils hier in Ruanda, teils aber auch bei
       indigenen Communitys in [2][Kolumbien, die unter Armee und Narcos zu leiden
       haben].
       
       Das Leid vieler Orte der Welt findet sich also auch auf dieser ersten
       Triennale in Ruanda wieder, dem Land, das dem Label „Land des Genozids von
       1994“ kaum entrinnen kann.
       
       „Es ist kein Zufall, dass unsere erste Triennale erst jetzt, 30 Jahre nach
       dem Genozid, stattfinden kann. Vorher gab es andere Prioritäten“, erzählt
       Dorcy Rugamba, Spiritus Rector der Triennale, der taz. „Natürlich sind
       Kunst und Kultur immer wichtig. Aber wir mussten zuerst das Land
       wiederaufbauen, Schulen schaffen, eine ganze Infrastruktur bauen. Kunst
       braucht ein Ökosystem. Und jetzt haben wir eine Generation von Künstlern,
       die nach dem Genozid geboren ist, mit ihren Fragen und Vorstellungen. Ihr
       wollen wir vor allem Raum geben“, sagt Rugamba, selbst ein Künstler der
       ersten Stunde nach dem Genozid. Er inszenierte unter anderem Peter Weiss’
       Dokumentartheaterstück „Die Ermittlung“ und reflektierte damit die
       juristische Aufarbeitung des Genozids in Ruanda.
       
       Mode und gastronomische Experimente 
       
       Bei der Triennale favorisiert er einen erweiterten Kunstbegriff. Neben
       Leinwänden, Fotografien, Theaterproduktionen und Performances gab es ein
       Filmprogramm mit Arbeiten jüngerer Regisseure, zwei Modenschauen – eine für
       Alltagskleidung und eine für Haute Couture – und ein Galadiner für
       gastronomische Experimente.
       
       „Unser Thema sind die Verbindungen zwischen Kunst, Wissen und Ökonomie.
       Kunstwerke können auch den Blick darauf öffnen, was jenseits der
       Universitäten existiert. Wir wollten auch traditionelles Wissen
       integrieren. Dazu gehört das Wissen um alte Kulturpflanzen, von denen die
       Menschen, die hier im urbanen Raum leben, schon nicht mehr wissen, wie sie
       sie zubereiten sollen“, erklärt er und verweist auf klassische
       Gemüsepflanzen wie Spinnenblume, Pfeilwurz oder Hirse. [3][Dieser Rückgriff
       auf rurale Traditionen] wird von der Ernährungs- und
       Landwirtschaftsorganisation FAO begleitet.
       
       Die Kunstausstellung wurde in der benachbarten Schule für Architektur
       eingerichtet. Auch hier sind die Räumlichkeiten speziell. Der Boden steigt
       steil an und ist dabei in unterschiedliche Winkel gebrochen. Das wirkt wie
       ein Miniaturabbild der Topografie Ruandas, dem, wie es in jedem
       Tourismusführer und jeder Werbebroschüre heißt: Land der tausend Hügel.
       
       Auskünfte auf die ausführenden Architekten vermochte auch hier niemand zu
       geben. Das Land scheint von einer Scheu geprägt, Persönlichkeiten
       hervorzuheben, ganz so, als habe man Angst, dass dann weniger Licht auf den
       seit 24 Jahren regierenden und standesgemäß mit mehr als 90 Prozent
       Wählerstimmen dreimal im Amt bestätigten Präsidenten fallen würde.
       
       Extraterrestrische Wunderwelt 
       
       Die ausgestellte Kunst selbst ist auffällig optimistisch. Manzi Jackson
       etwa schickt mit der [4][zwischen Surrealismus] und Technikfaszination
       changierenden Bildserie „Take Me to Space“ afrikanische Astronautinnen in
       eine extraterrestrische Wunderwelt mit üppiger Fauna. Ein großformatiges
       Foto von Gilles Dusabe fängt eine Frau im roten Kleid ein, die waagerecht
       über der Erde zu schweben scheint. Und auch die Fotoarbeit „Kigali on the
       Horizon“ von Abdul Mujyambere enthält eine der Zukunft zugewandte Note.
       Männer und Frauen stehen in einer Reihe hintereinander, sind durch ein Seil
       verbunden und bewegen sich vom Ufer eines Sees zu dessen Mitte hin. Alle
       drei Künstler kommen aus Kigali, Gilles Dusabe lebt zeitweise auch in Genf.
       
       „Wir wollten vor allem jungen Künstler*innen aus Ruanda die Gelegenheit
       geben, sich zu zeigen. Es gibt so viel Talent hier. Aber es mangelt noch
       immer an Gelegenheiten, die Arbeiten zu präsentieren“, erläutert Co-Kurator
       Mucyo die Einladungskriterien.
       
       Ganz so eingeschränkt, wie er es darstellt, sind die
       Präsentationsmöglichkeiten allerdings nicht. Die Hauptstadt Kigali verfügt
       über ein Netz unabhängiger Ausstellungsorte. Das Niyo Arts Center etwa wird
       kollektiv von 17 Künstler*innen betrieben, die teils auf dem Gelände
       arbeiten, die aber vor allem ihre Werke über das Center an die in den
       letzten Jahren wachsende Mittelschicht verkaufen. Parallel zur Triennale
       präsentierte hier Kuratorin Kakizi Jemima die Gruppenausstellung „Side by
       Side“ mit Arbeiten von acht Künstlerinnen aus Ruanda, Kenia, Burundi,
       Tansania, Äthiopien und Uganda.
       
       Gentrifizierung in Kigali 
       
       Im Künstlerviertel Kimihurura wiederum betreibt Yacubu in einer ehemaligen
       Industrieanlage das Kigali Center for Photography. Miete und
       Ausstellungsbetrieb finanziert er durch Fotoaufträge für die New York Times
       und andere westliche Medien, erzählt er der taz. „Mich und auch viele
       meiner Fotografenkollegen treibt aber der Impuls an, das Land zu zeigen,
       wie es ist, den Alltag einzufangen.“ Yacubu fotografierte etwa in den
       ländlich anmutenden Vierteln von Kigali, die der Modernisierungswelle
       weichen müssen. „Gentrifizierung gibt es auch bei uns“, bestätigt der
       Fotograf bitter.
       
       Die Familien, die ihre simplen, aus Lehm und Wellblech gebauten Häuser
       verlieren, werden in staatliche Neubauprojekte umgesiedelt. „Je nach Wert
       ihres alten Hauses bekommen sie dann Mietrecht in den neuen Häusern. Sie
       wollen aber oft nicht dorthin und verlieren den kollektiven Zusammenhalt,
       den sie am alten Ort hatten“, erläutert Yacubu. Größere Proteste dagegen
       gebe es allerdings nicht. „Viele nehmen das hin, auch, weil sie denken,
       dass es der jungen Generation besser gehen soll, für die die neuen Häuser
       an dieser Stelle gebaut werden“, erzählt er. Das ist ein besonderer, nicht
       ausgesprochener, aber dennoch wirkmächtiger Generationenvertrag in Ruanda.
       
       Auf der anteilig vom Ministerium für Jugend und Kultur sowie der Stadt
       Kigali finanzierten Triennale ist Yacubu auch vertreten, mit dem Porträt
       eines Mannes, der mit einer mobilen Personenwaage seinen Lebensunterhalt
       verdient. Auch das ist Teil von Ruanda, allerdings nicht Teil des
       glitzernden Zentrums mit seinen hauptstädtischen Glaspalästen, sondern eher
       der traditionellen Viertel auf den anderen Hügeln Kigalis.
       
       Die Rwanda Arts Initiative (RAI) ist in der Hauptstadt die Keimzelle der
       Kunst. Sie wurde 2012 gegründet und ist auch Veranstalter und Motor der
       Kigali Triennale. „Es ist eine Triennale von unten, eine
       Grass-Roots-Initiative“, bestätigt Dorcy Rugamba, der auch RAI
       mitinitiierte.
       
       Er sieht die ruandische Gesellschaft an der Schwelle eines neuen Aufbruchs.
       Sie vergisst den Genozid nicht. Aber sie stellt sich neue Fragen, Fragen
       zur eigenen Identität, Fragen auch danach, welch brodelndes kulturelles
       Leben die Hauptstadt Kigali etwa in den Jahren vor dem Genozid bot – und
       was sich daraus auch für die Zukunft ableiten lässt.
       
       5 Mar 2024
       
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