# taz.de -- Studie zum künftigen Küstenschutz: Flächen statt Deiche
       
       > Für Küstenschutz in Zeiten des Klimawandels werden Flächen benötigt –
       > Watt, Marsch, Salzwiesen. Mauern reichen einer Geesthachter Studie
       > zufolge nicht.
       
 (IMG) Bild: Wenn dem Deich das Wasser bis zum Hals steht: Ein Wohnhaus auf der Weserinsel Hagen-Grinden am 27. Dezember 2023
       
       OSNABRÜCK taz | Wer bei den Unwetterwarnungen nicht abschaltet, hört ein
       Wort immer öfter: „Sturmflut“. Von Pegelhöchstständen ist dann die Rede,
       orkanartigen Böen, Dünenabbrüchen, gefährdeten Deichen. Und dann kommen die
       Zahlen: Soundsoviele Meter über dem Mittleren Hochwasser oder
       Normalhöhennull.
       
       Sturmfluten hat es [1][schon immer gegeben]. Zehn Meter hohe Wellen am
       Borkum Riff, wie im Januar 1994, oder über 190 Stundenkilometer
       Windgeschwindigkeit auf Helgoland, wie im Oktober 2013, sind Realität. Aber
       durch die Klimakrise steigt der Meeresspiegel, und dadurch nehmen die
       Nordseesturmfluten an Häufigkeit und Höhe zu.
       
       Die [2][jüngsten Sturmfluten] hätten gezeigt, „wie sehr sich die
       Hochwassersituation in ganz Norddeutschland zuspitzen kann, besonders, wenn
       viel Niederschlag auf eine aktive Sturmflutsaison trifft“, sagt Insa
       Meinke, Leiterin des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros, Institut für
       Küstensysteme – Analyse und Modellierung, Helmholtz-Zentrum Hereon,
       Geesthacht. Ihre Prognose: „Solche ungünstigen Konstellationen können sich
       in Zukunft durch den Klimawandel häufen.“
       
       Seit rund 15 Jahren befasst sich das Institut mit diesem Thema. In seiner
       jüngst erschienenen Broschüre „Nordseesturmfluten im Klimawandel –
       Perspektiven der Küstenentwicklung“, deren Co-Autorin Meinke ist, fasst es
       den neuesten Forschungsstand zusammen. Er liest sich alarmierend. „Bei
       anhaltend starkem Treibhausgasausstoß“, lernen wir, „könnten schwere
       Nordseesturmfluten bis 2100 etwa bis 1,50 Meter höher auflaufen als heute.“
       
       „Wir arbeiten unausgesetzt an diesem Thema“, sagt Ralf Weisse, Leiter der
       Abteilung Küstenklima in Geesthacht, auch er Co-Autor der Broschüre. Und
       dann betont er, dass es, trotz allem, auch [3][Positives] gebe. „Nehmen wir
       die schwere Sturmflut von 1962, die so viele Opfer gefordert hat. Obwohl es
       danach vergleichbare Sturmfluten gab, schwerere sogar, extremere, hat es
       Auswirkungen wie damals nicht wieder gegeben. Das zeigt, dass wir richtige
       Lehren gezogen haben.“ Und das setze sich fort: „Es wird viel wahrgenommen,
       viel nachgedacht, viel getan.“
       
       Auch der Küstenschutz muss langfristig neu gedacht werden. Bauliche und
       technische Optimierungen, an den Deichen etwa, erreichen irgendwann ihre
       Machbarkeitsgrenzen. Meinke und Weisse betonen in ihrer Analyse daher die
       Bedeutung ökologischer Nachhaltigkeit. Hier gebe es Defizite: „Ihre
       Vernachlässigung führt dazu, dass bestimmte Ressourcen und wichtige
       Ökosystemleistungen unwiderruflich zerstört oder unbrauchbar gemacht
       werden, was die Chance für wünschenswerte Entwicklungen stark mindert.“
       
       Zukunftsgewandter Küstenschutz tut also gut daran, verstärkt auf die
       Effekte von Wattflächen, Marschland und [4][Salzwiesen] zu setzen, nicht
       primär auf die von Palisaden, Buhnen, Pflastergürteln und Mauern. „Wir
       müssen lernen“, heißt es in der Hereon-Broschüre, „natürliche Prozesse zu
       nutzen, um die Küstenregion langfristig als Siedlungs-, Wirtschafts- und
       Erholungsraum zu erhalten.“
       
       Für die nähere Zukunft sei man „gut aufgestellt“, beruhigt Weisse. Was
       danach komme, sei jedoch offen. Mut zu Entschlüssen großer Tragweite sei
       gefragt, Pioniergeist statt der illusionären Hoffnung, alles komme schon
       nicht so schlimm.
       
       Zur Zeit der Jäger und Sammler war das kein Problem: Wurde die Umgebung
       unbewohnbar, zog man fort. Die Welt war weit und leer und voller
       Möglichkeiten. Heute ist das anders. Städte lassen sich nicht verlagern.
       Wir sind Opfer unserer eigenen Unflexibilität geworden, unserer Sucht, uns
       ein Stück Erde als Besitztum zu sichern.
       
       Weisse sieht sich als Pragmatiker: „Ich will verstehen, was da draußen
       abgeht.“ Und er versteht sich als Kommunikator. Aber jedes Missionieren
       liegt ihm fern. „Ich bin kein Anhänger von Science speeks to Power“, sagt
       er. „Wir legen unsere Ergebnisse vor. Aber unsere Sichtweise muss nicht
       gewinnen, andere Akteure haben vielleicht eine andere Wahrnehmung. Am Ende
       ist das immer eine gesellschaftliche Abwägung.“
       
       ## Gefahr für die See
       
       Das reicht vom Deich- bis zum Entwässerungsverband, von der Politik bis zur
       Behörde, vom Naturschutz bis zur Wirtschaft, vom Touristen bis zum
       Anwohner, der sein Land nicht verlieren will. Schwer, da gemeinsame Nenner
       mit Weitblick zu finden.
       
       Eins ist allerdings klar: Dem Meer das Land einfach zu überlassen, ist
       keine gute Option. Nicht nur, weil der Mensch dann nicht wüsste, wohin. Der
       Mensch wäre durch seine Hinterlassenschaften, die vom Industrierückstand
       bis zur Mülldeponie reichen, auch eine Gefahr für die See.
       
       Weisse ist „total gerne am Meer“, ist fasziniert davon, „am Strand zu
       stehen, den Wellen zuzusehen“ und sich erklären zu können, wie das alles
       zusammenwirkt: „Das ist Teil meiner Motivation, hier zu arbeiten.“ Aber
       selbst, wenn sein Büro nicht in Geesthacht stünde, tief im Binnenland,
       hätte er meist nur digital mit dem Meer zu tun: Weisses Arbeit findet vor
       dem Rechner statt, lässt Modelle entstehen. Aber diese Modelle zeigen
       Wirkung. Dort, wo die See zeigt, welche Macht sie hat.
       
       18 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
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