# taz.de -- Blockade von EU-Regierungen: Doch nicht zurück zur Natur
       
       > Mehr Bäume, mehr Moore, weniger überlastete Ackerböden: Ein europäisches
       > Naturschutzgesetz soll für stabile Lebensgrundlagen sorgen – aber
       > kippelt.
       
 (IMG) Bild: Gesunde Lebensräume sind rar. Für Silberreiher – und für Menschen
       
       BERLIN taz | Es soll fruchtbare Böden und sauberes Trinkwasser sichern, den
       natürlichen Schutz vor Hochwassern ermöglichen und mehr klimaschädliches
       Treibhausgas unschädlich machen durch die Bindung von Kohlenstoff in Bäumen
       und Böden. Doch jetzt steht das Naturwiederherstellungsgesetz der EU schon
       wieder auf der Kippe. Dabei gäbe es viel zu tun. Gesunde Natur gibt es
       hierzulande kaum noch. Laut EU-Parlament sind mehr als 80 Prozent des
       Lebensraums in schlechtem Zustand.
       
       Am Montag sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten in ihrem Ministerrat
       ihr finales Jawort zu der „Verordnung über die Wiederherstellung der Natur“
       geben. Das EU-Parlament [1][hat das schon getan]. Vorausgegangen waren
       jahrelange Verhandlungen zwischen den beiden Gremien, deren gemeinsame
       Zustimmung bei den meisten europäischen Gesetzen nötig ist.
       
       [2][Das Ergebnis des Hickhacks]: abgeschwächte Regelungen, [3][aber eine
       Einigung]. Die abschließende Bestätigung galt als Formalität. Doch auf der
       Tagesordnung des Ministerrats für Montag fehlte das Thema am Freitag
       plötzlich und tauchte bis Redaktionsschluss nicht mehr wieder auf. Die
       Ratspräsidentschaft, derzeit Belgien, hatte den Punkt wegen des Widerstands
       unter anderem von Polen, Italien und Schweden gestrichen. Dem Vernehmen
       nach fehlt eine Stimme.
       
       Mit der Verordnung würden die Regierungen sich verpflichten, bis zum Jahr
       2030 auf 20 Prozent der Flächen Maßnahmen zur Wiederherstellung zerstörter
       oder geschädigter Ökosysteme einzuleiten. Bis 2050 soll die Genesung aller
       geschädigten Ökosysteme in Angriff genommen werden.
       
       ## Bauernverband gegen Gesetz
       
       Das Gesetz hat einen großen wirtschaftlichen Gegenspieler: die Agrarlobby.
       Dabei würde die Landwirtschaft langfristig profitieren. Zum Beispiel
       sterben aktuell zu viele bestäubende Insekten wie Bienen und
       Schmetterlinge. Nicht nur die natürliche Pflanzenwelt braucht die Tiere zur
       Fortpflanzung, sondern auch viele Äcker – die teils schon heute unter
       Mangelerscheinungen leiden. Außerdem gefährdet der Klimawandel Ernten durch
       Folgen wie Hitze, Dürre oder Starkregen. Mehr gesunde Moore und Wälder, die
       Kohlenstoff speichern können, wären also förderlich.
       
       Viele Flächen, um die es im Naturwiederherstellungsgesetz geht, liegen aber
       in den Händen von Landwirt*innen, die sie industriell bewirtschaften. Die
       Branche müsste also auch selbst etwas tun. Zum Beispiel könnte sie weniger
       Gifte zur Schädlingsbekämpfung einsetzen, denn die treffen auch die
       wichtigen Insekten. Und sie könnte Moore wiedervernässen, die sie zur
       Ausweitung der Ackerflächen trockengelegt hat.
       
       Solche Umstellungen, die vorerst Kosten verursachen, sind aber bei vielen
       Betrieben unbeliebt. Auch der Deutsche Bauernverband ist deshalb gegen das
       Gesetz. Noch im Februar, als das EU-Parlament abstimmte, sprach
       Generalsekretär Bernhard Krüsken vom „völlig falschen Weg“ für den Schutz
       der Biodiversität.
       
       Die europäischen Gesetzgeber*innen sind schon auf Forderungen der
       Branche eingegangen. Sie haben zum Beispiel das ursprünglich geplante Ziel
       gestrichen, ein Zehntel der gesamten EU-Agrarfläche „mit
       Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt zu gestalten“.
       Außerdem sollen Auflagen für die Landwirtschaft temporär gelockert werden,
       wenn die Lebensmittelpreise wegen einer unvorhersehbaren Krise stark
       steigen.
       
       Naturschützer*innen kritisieren die neuerliche Blockade des Vorhabens.
       „Die Ablehnung des ausgehandelten Kompromisses durch einige Staaten erweckt
       den Eindruck, dass sie die Dimension der ökologischen Krise nicht ernst
       nehmen“, sagte Jörg-Andreas Krüger, Chef des Naturschutzbunds.
       
       Auch in der Bundesregierung hatte es in der vergangenen Woche laut
       Medienberichten noch einmal rumort. Demnach wollte die FDP, dass auch
       Deutschland dem Gesetz doch nicht zustimmt. Ein Sprecher des zuständigen
       Bundesumweltministeriums von Steffi Lemke (Grüne) sagte der taz
       schließlich, Deutschland werde zustimmen – aber zu Protokoll geben, dass
       bei der Umsetzung keine zusätzlichen Belastungen für Landwirt*innen
       entstehen sollen.
       
       24 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20240223IPR18078/parlament-ja-zur-renaturierung-von-20-der-land-und-meeresflachen-der-eu
 (DIR) [2] /EU-Einigung-bei-Land--und-Meeresschutz/!5972166
 (DIR) [3] /Schwaches-EU-Renaturierungsgesetz/!5972203
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Schwarz
       
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