# taz.de -- Buch über Rassismus im Sport: Wie weiß ist der Ball?
       
       > In seinem Buch „Spielfeld der Herrenmenschen“ schaut der Sportjournalist
       > Ronny Blaschke, wo sich heute Rassismus und Kolonialismus im Fußball
       > zeigen.
       
 (IMG) Bild: Raheem Sterling und Kalvin Phillip machen den Kniefall gegen Rassismus
       
       Der Befund ist so augenfällig, dass er kaum mehr ins Auge fällt: Dass auf
       der ganzen Welt in der Form Fußball gespielt wird, wie wir ihn kennen, ist
       dem Kolonialismus geschuldet. Elf gegen elf, beinah ausschließlich Männer
       in einer Dauer von 90 Minuten. Das waren die Regeln, die meist durch
       britische Kolonialherren in asiatische und afrikanische Gesellschaften
       getragen wurden.
       
       Der Berliner Sportjournalist Ronny Blaschke hat sich dieses „Spielfelds der
       Herrenmenschen“ nun angenommen. Er bereiste viele Länder, suchte die Spuren
       der Kolonialgeschichte und fand dabei viel heraus. Was etwa die
       Einwanderung aus der Karibik nach Großbritannien auch für viele neue
       Fußballtalente sorgte – und wie zugleich Anfeindungen gegen einen Star wie
       Raheem Sterling – geboren in Kingston, Jamaika – mit [1][Rassismus] zu
       erklären sind.
       
       Oder er schaut, wie im US-Fußball mit mexikanischstämmigen Spielern
       umgegangen wird. Oder auch, welche Bedeutung der Fußball im algerischen
       Unabhängigkeitskampf hatte – und wie sich in Frankreich der Rassismus gegen
       Spieler aus dem Maghreb bis zum heutigen Tag [2][durchzieht].
       
       Ein weites Spielfeld sozusagen, das Blaschke mit den Methoden der Reportage
       abschreitet. Er trifft Spielerinnen, Fans und Funktionäre, spricht mit
       Wissenschaftlerinnen und Journalisten. Am Beispiel Portugals geht Blaschke
       dem „Mythos der harmonischen Unterdrückung“ nach, einer bis heute sehr
       verbreiteten Erzählung, wonach es gute Seiten des Kolonialismus gegeben
       habe – nicht zuletzt sei der Sport, konkret: [3][das Fußballspiel, doch so
       eine Art westlich-weißes Geschenk an unterdrückte Gesellschaften].
       
       Der Mythos hält sich bis heute, und zugleich hält er den Fußballsport auf
       diese Weise bis in die Gegenwart für eine Art unbefleckte Sportart: Mag
       sein, dass es böse Kolonialherren und gar Massaker und Genozide gab, aber
       schließlich wurde doch auch recht heiter gespielt. Dass die Wirklichkeit
       anders war, dass sich rassistische Unterdrückung überall zeigte, auch im
       Sport, das könnte man wissen – wenn man denn wollte.
       
       ## Wenige versuchen, rassistische Strukturen offenzulegen
       
       Am Beispiel Brasiliens geht Blaschke diesem Gedanken noch einmal nach und
       legt eine „Tradition der Verleugnung“ offen: wie wenige Kritiker, teils
       Ex-Profis und -nationalspieler, versuchen, rassistische Strukturen
       offenzulegen und wie die dramatische Abhängigkeit des brasilianischen
       Fußballs vom Export seiner kickenden Arbeitskräfte nach Europa eine
       Aufarbeitung erschwert.
       
       Blaschkes Buch zeigt vor allem auf, wo Rassismus und koloniales Handeln
       heute noch präsent sind. Das ist ein großes Verdienst und macht die Lektüre
       sehr spannend.
       
       Zwei Kritikpunkte will ich dennoch erwähnen. Zum einen fehlt trotz
       historischer Einsprengsel eine geschichtlich angelegte Herangehensweise,
       wie denn der Fußball genau in die jeweiligen Gesellschaften gelangte. Warum
       war dieses Spiel so anziehend, dass viele Menschen es spielen wollten? War
       das Kicken eigentlich nur für Jungen und Männer attraktiv?
       
       Zum anderen ist zwar mit Blick auf hiesiges Lesepublikum in gewisser Weise
       nachvollziehbar, dass sich das Buch nur (genau genommen: nicht ganz, aber
       fast ausschließlich) auf den Fußball und weniger auf [4][andere Sportarten]
       bezieht. Aber das verstellt den Blick auf die Kraft, die anderen Sportarten
       innewohnt. Welche Bedeutung Cricket auf den Westindischen Inseln hat, warum
       sich das indigene Spiel Lacrosse behaupten konnte, das wären interessante
       Fragen, die das stärker hätten ausleuchten können, worum es geht: dass
       Sport integraler Bestandteil des Kolonialismus ist.
       
       26 Mar 2024
       
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