# taz.de -- Auf dem Weg zum Holi-Fest: Gefangen im Fahrstuhl
       
       > Noch niemals bin ich in einem Fahrstuhl stecken geblieben. Nun ist es mir
       > auf einer Reise durch Indien doch passiert.
       
 (IMG) Bild: Ein Schock, wenn der Fahrstuhl doch mal stecken bleibt
       
       Jahrelang habe ich in einem Haus mit Fahrstuhl gewohnt. Regelmäßig wurde er
       gewartet, einmal wurde er ganz erneuert. Dieser Fahrstuhl ist nie stecken
       geblieben. Selbstverständlich hat er mich mehrmals täglich über die
       Stockwerke getragen. Doch manche Gäste nahmen lieber den langen Weg über
       die Treppen, weil sie Angst vor dem Fahrstuhlfahren hatten. „Seltsam“,
       dachte ich noch vor Kurzem, in all den Jahren bin ich nie stecken
       geblieben. Noch nie in irgendeinem Fahrstuhl. Bis Ende März.
       
       Kürzlich habe ich Indien bereist. An einem Tag habe ich mich mit Freunden
       in der Hotel-Lobby getroffen. Wir wollten gerade zu einem Holi-Fest, dem
       [1][traditionsreichen indischen Frühlingsfest] fahren, bei dem sich die
       Menschen mit Farben bewerfen. Holi ist das Fest zum Vollmond, mit dem der
       Anfang und das Leben gefeiert wird, der Sieg des Guten über das Böse.
       
       Mit einer Freundin wollte ich noch einmal kurz hoch ins Zimmer, um etwas zu
       holen. Zusammen stellten wir uns wieder in den Fahrstuhl: Rumms! Auf einmal
       ruckelte es.
       
       Der Lift machte einen Satz nach unten. Dann hing er. Das Licht ging aus.
       Dunkelheit. Augenblicklich ertönte ein lauter Alarm. Ein schrilles Ringen.
       Eine blecherne Stimme sprach: „Don’t be afraid, you will be rescued soon.“
       Der Satz wiederholte sich: „Habt keine Angst, ihr werdet bald gerettet
       werden.“
       
       ## „Don't be afraid“
       
       Angst? Gerettet? Die Sätze bewirkten eher das Gegenteil. Die Freundin neben
       mir ging in eine Art Schockzustand. Eng presste sie sich mit dem Rücken an
       die Wand: „Ich habe Angst“, sagte sie. Nur diesen Satz. Dann sprach sie
       nichts mehr.
       
       Es gab keinen Notrufknopf, keine Gegensprechanlage. Zum Glück hatte ich
       mein Handy dabei. Gerade am Vorabend hatte ich die Telefonnummer des Hotels
       abfotografiert. Ich tippte die Nummer der Rezeption ein. Doch ich hatte
       keinen Empfang. Ich wählte die Nummer einer anderen Freundin, die in der
       Lobby wartete – wieder keine Verbindung. „Don’t be afraid, you will be
       rescued soon.“
       
       Auf einmal ging das Licht wieder an. Dazu eine laute Lüftung. Wir jubelten
       beide vor Glück. Der Fahrstuhl machte einen kurzen Satz nach unten. Doch
       dann blieb er wieder stecken. Das Licht ging erneut aus und auch die
       Lüftung. Nun begann ich mir Sorgen zu machen.
       
       Was hatte die Lüftung mit der Sauerstoffzufuhr zu tun? Was, wenn uns beiden
       hier in diesem Fahrstuhl die Luft knapp werden würde? Ich versuche mir
       meine Sorge nicht anmerken zu lassen. „Ich schreibe in die Gruppe“, sagte
       ich zu der Freundin, die weiter an der Wand stand. Während ich unsere
       Messenger-Gruppe aufrief, merkte ich, dass meine Hände leicht zitterten.
       „SOS, wir sind im Aufzug stecken geblieben“, schrieb ich. „Könnt ihr der
       Rezeption Bescheid geben?“ Anders als das Telefonnetz funktionierte die
       Internetverbindung.
       
       Meine Freundin unten erzählte mir später, dass die Personen an der
       Rezeption zuerst nicht reagierten. Erst als ein Mann dazukam, der auf Hindi
       übersetzen konnte. „In welchem Stockwerk steckt ihr denn?“, schrieb sie.
       „Ich weiß es nicht“, antwortete ich. „Vielleicht der dritte?“
       
       ## Der Sieg des Guten
       
       Im Fahrstuhl war es dunkel. Der Alarm und die blecherne Stimme tönten
       weiter. Wie lange standen wir hier schon? Die Sekunden und Minuten zogen
       sich in die Länge, als würde die Zeit im Fahrstuhl anderen Gesetzen
       unterliegen. Dann hörte ich auf einmal von schräg unten wie aus einem Traum
       die Stimme unserer Freundin. „My friends are stucked in the lift“, hörte
       ich sie sagen. „Hallo!“ Ich rief ihren Namen und klopfte gegen die Tür.
       Doch die Stimmen entfernten sich. Sie hörten uns nicht.
       
       Es dauerte. Dann plötzlich ruckelte es wieder. Das Licht ging an. Die
       Lüftung ertönte. Der Alarm stoppte. Und dann fuhren wir langsam nach unten.
       
       Die Türen gingen auf. Vor uns standen unsere Freundin und zwei
       Hotel-Mitarbeitende. „Happy Holi“, riefen sie lächelnd, während wir den
       ersten Schritt aus dem Lift machten. Dann kamen mir Blüten entgegen. Sie
       bewarfen uns mit Blüten. Holi ist das Fest des Anfangs, bei dem der Sieg
       des Guten gefeiert wird.
       
       6 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Holi-Zeremonie-in-Deutschland/!5068513
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christa Pfafferott
       
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