# taz.de -- Flüchtlingsdramen in Nordafrika: Europa ignoriert den Rest der Welt
       
       > Die Bekämpfung von Fluchtursachen spielt für die EU keine Rolle. Das Ziel
       > ist nun, schutzsuchende Menschen um jeden Preis fernzuhalten.
       
 (IMG) Bild: Flüchtende, die das Mittelmeer überqueren wollten, abgefangen an der Küste der südtunesischen Stadt Sfax im Juni 2023
       
       Über die Hälfte der Bevölkerung von Sudan, 17,7 Millionen Menschen, haben
       nach UN-Daten zu wenig zu essen. Ein Zehntel, über 4 Millionen, sind akut
       unterernährt. Knapp 9 Millionen sind inner- und außerhalb des Landes auf
       der Flucht. Jenseits der Grenzen, etwa in Tschad, mangelt es an allem. Es
       gibt humanitäre Hilfswerke, aber sie haben kein Geld. Während die Welt zu
       Recht auf den Horror in Gaza starrt, gerät der [1][Horror in Sudan] knapp
       ein Jahr nach Kriegsbeginn zwischen den mächtigsten Generälen des Landes in
       Vergessenheit. Wer kann, flieht. Wer nicht kann, stirbt.
       
       Das ist Afrikas unsichtbare Realität, deren sichtbares Ende sich in
       Elendslagern „illegaler“ Flüchtlinge in Nordafrika und kenternden
       überfüllten Booten im Mittelmeer manifestiert. Nicht nur in Sudan, in
       vielen Ländern von Mali bis Kongo kollabieren ganze Gesellschaften unter
       der Wucht der mutwilligen oder schleichenden Zerstörung ihrer
       Lebensverhältnisse.
       
       Europa begegnet dieser Realität mit einer Mischung aus Härte und Blindheit.
       Die Härte besteht in der Entschlossenheit, „illegale“ Migration zu stoppen,
       den Zugang zu Asylverfahren zu erschweren und die Deportation von
       Schutzsuchenden zu erleichtern. Dafür schließt die EU [2][Abkommen mit
       autoritär regierten Transitstaaten] wie Tunesien, Ägypten oder Mauretanien,
       wo Grundrechte nicht gelten. Die Blindheit besteht darin, die Gründe zu
       ignorieren, aus denen sich Menschen in Bewegung setzen und für die Aussicht
       auf ein besseres Leben ihr Leben aufs Spiel setzen.
       
       „Fluchtursachen bekämpfen“ hieß jahrelang das zentrale Mantra der deutschen
       Flüchtlingspolitik: Bessere Lebensbedingungen in den Herkunftsländern
       verringern Emigration. Es war schon immer ein Trugschluss: Bessere
       Lebensbedingungen ermöglichen vielen Menschen überhaupt erst die
       Erweiterung ihres Horizontes. Aber immerhin wurde anerkannt, dass es
       Ursachen für Flucht gibt.
       
       Heute ist von „Fluchtursachen bekämpfen“ keine Rede mehr. Europa will
       einfach keine Flüchtlinge mehr, zumindest keine außereuropäischen. Man
       bezahlt andere Länder nicht mehr für das Verringern von Fluchtursachen,
       sondern für das Unterbinden der Flucht. Sollen die Leute doch einfach
       hinter dem Mittelmeer unter sich klarkommen – Hauptsache, sie bleiben
       drüben. Notfalls gibt man dafür Unsummen von Geld aus und geht gleichzeitig
       weltweit auf [3][Einkaufstour für Fachkräfte] und grüne Energiequellen.
       
       Europa will vom Reichtum im Rest der Welt profitieren und zugleich vom
       Elend im Rest der Welt nichts wissen. Wen wundert es da, wenn der Rest der
       Welt von Europa nichts wissen will? Wenn Europa seine Politik ohne den Rest
       der Welt macht, macht der Rest der Welt seine Politik ohne Europa. Bald
       wird der vergreisende Kontinent auf sich allein gestellt sein und die Welt
       nicht mehr verstehen. Und der Welt wird es egal sein.
       
       4 Apr 2024
       
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