# taz.de -- Jugendzentrum in Anklam in Gefahr: „Amtlich versiegelt“
       
       > Das Jugendzentrum „Demokratiebahnhof “ wurde vom Landkreis geschlossen.
       > Was bedeutet das für die Stadt, in der viele Rechtsextreme leben?
       
 (IMG) Bild: Die amtliche Versiegelung kam unerwartet
       
       ANKLAM taz | „Amtlich versiegelt“. So stand es auf einem fast schon
       lächerlich winzigen, rotleuchtenden Blättchen Papier, das über dem
       Schlüsselloch klebte. Absender: Landkreis Vorpommern-Greifswald. Betroffen:
       „[1][Demokratiebahnhof Anklam]“. Die Grundstücks-GmbH hatte dem
       Jugendzentrum die Räume gekündigt. Der Zustand des Gebäudes sei zu
       schlecht.
       
       Für den Verein kam die Schließung überraschend. Zwar soll es vorab
       konstruktive Gespräche mit der Stadt und der Gebäudeeigentümerin gegeben
       haben, um über andere Standorte und Sanierungsmaßnahmen zu reden. Von einer
       Versiegelung allerdings habe niemand gesprochen. Die Tür ist seit Mitte
       März zu. Dieses Jahr würde der Demokratiebahnhof sein zehnjähriges Bestehen
       feiern. Sein Grundsatz ist, Jugendliche zum Selbstmachen anzuregen und
       Demokratie inmitten rechtsextremer Strukturen hochzuhalten.
       
       Der Verein befand sich in Anklam immer schon in den Räumen des alten
       Backsteingebäudes am Bahnhof. Geleistet wird der Großteil der Arbeit vor
       Ort von einem Bundesfreiwilligen und einem Jugendsozialarbeiter. Im
       Vordergrund steht das Mitbestimmungsrecht von Jugendlichen.
       
       Es gibt Fotokurse, Fahrradwerkstätten, Siebdruck, im Aufenthaltsraum steht
       eine Tischtennisplatte – wie in jedem Jugendtreff. Das Besondere am
       Demokratiebahnhof ist der Standort Anklam. In der 12.870-Einwohner-Stadt
       blieb bis vor wenigen Jahren kaum jemand, man fuhr eher durch.
       
       Die Stadt galt nach der Wiedervereinigung als strukturschwach, mit vielen
       alten und freudig abwandernden jungen Menschen. Das hat sich geändert.
       Unternehmen sind gekommen, mit ihnen Arbeitsplätze, Museen sollen Leute
       anlocken, auf dem Marktplatz stehen Reisebüros neben Eiscafés. Es gibt
       Gründe, zu bleiben oder zurückzukehren. Doch es gibt auch etwas, das sich
       in Anklam seit langem manifestiert: [2][Rechtsextremismus].
       
       ## Stigma „Nazihochburg“
       
       Kürzlich war Anklam in den Medien, weil bei einer Polizeirazzia ein
       Vereinsheim des verbotenen rechtsextremen Vereins [3][„Hammerskins
       Deutschland“] hochgenommen wurde. Im neuesten Verfassungsschutzbericht
       taucht der Name der Stadt mehrfach auf. Es werden ausgeprägte
       kameradschaftliche Strukturen beschrieben, das „Haus Jugendstil“ als
       Treffpunkt der rechtsextremistischen Szene und des NPD-Landesverbandes und
       ein rechtsextremistischer Szeneladen.
       
       Wer der NPD MV beitreten will, meldet sich beim Landesverband mit Sitz in
       Anklam. Die AfD gewann bei der letzten Bundestagswahl im umliegenden
       Wahlkreis 23 Prozent der Stimmen.
       
       Den Begriff „Nazihochburg“ zu verwenden, hält der Sozialwissenschaftler
       Dierk Borstel für unpassend, weil er stigmatisiere und vor Ort zur Abwehr
       führe. Er betont aber, dass das rechtsextreme Netzwerk mittlerweile tief in
       der regionalen Wirtschaft verankert ist – und damit in der Mitte der
       Stadtgesellschaft.
       
       Einige Rechtsextreme haben sich in den vergangenen Jahren
       zusammengeschlossen, bieten handwerkliche Dienste an, kaufen Immobilien und
       organisieren sich, vor allem in der Baubranche. „[Das Netzwerk] wurde über
       Jahrzehnte aufgebaut, wird nur noch selten thematisiert und ist aus der
       Stadt selbst heraus kaum noch zu bekämpfen. Dafür bräuchte es externe Hilfe
       und guten Willen vor Ort.“
       
       Ein solcher Ort wollte der Demokratiebahnhof sein, gegründet 2014 von
       Jugendlichen aus Anklam und der Region Vorpommern und seitdem größtenteils
       ehrenamtlich organisiert. Das beschreibt Clara Engel, die in Anklam
       aufgewachsen ist und sich seit knapp zehn Jahren im Demokratiebahnhof
       engagiert. 2015 kam sie als Schülerin in den Verein, später hat sie ihren
       Bundesfreiwilligendienst dort absolviert, ein Festival mitorganisiert und
       saß bis Ende 2023 im Vorstand.
       
       Der 24-Jährigen zufolge geht es für die Jugendlichen darum, einen
       Treffpunkt zu haben, an dem man mit anderen abhängen kann. Die Jugendlichen
       können an Angeboten teilnehmen oder sich selbst ausprobieren und werden
       dabei vom Verein unterstützt. Rund 10 bis 15 Jugendliche nutzen das Angebot
       täglich.
       
       ## Konkurrenz um dasselbe Publikum
       
       Die Besonderheit? Engel sagt: „Unser Raum ist nicht exklusiv. Einmal sei
       ein Junge mit Thor-Steinar-Hose gekommen. Sie hätten das Gespräch gesucht,
       gefragt, woher er die Hose habe, ob er wisse, was es für eine Marke ist.
       Wusste er nicht. Hatte er von seinen Eltern geschenkt bekommen.“ Sie hätten
       ihm dann erklärt, die Marke sei ein Erkennungsmerkmal der rechtsextremen
       Szene, und ihn deswegen gebeten, das Logo abzukleben.
       
       „Wir können Gespräche anstoßen und Informationen geben, aber unsere
       Möglichkeiten sind begrenzt. Es geht dann im Elternhaus und Freundeskreis
       weiter“, sagt Engel.
       
       Der Demokratiebahnhof leistet also auch Bildungsarbeit. Wissenschaftler
       Borstel zufolge konkurrieren Projekte wie der Demokratiebahnhof mit solchen
       aus der rechtsextremen Szene um dasselbe Publikum. Er verstehe den
       Demokratiebahnhof vor allem als Präventionsprojekt und Schutzraum für nicht
       rechtsextreme Menschen.
       
       „Dieser Anlaufpunkt fehlt jetzt, während die rechtsextremen Szenen ihre
       Jugendangebote weiter anbieten und es verstehen, solche Lücken zu füllen.“
       Kein Wunder, dass das Engagement nicht immer gern gesehen war – weder
       innerhalb der Stadtbevölkerung noch bei den Rechten.
       
       „Schmierereien an den Wänden gab es immer mal wieder“, sagt Engel. An einem
       Junitag 2017, als Molotowcocktails und Farbbomben gegen das Gebäude flogen,
       war sie selbst dabei. Verletzt wurde dabei niemand, Angriffe gibt es aber
       häufiger – sei es in Form von Stickern mit Symbolen aus der rechten Szene
       oder Parolen mit homophoben und transfeindlichen Aussagen an den Wänden.
       
       „Kein Ort für Schwule und Transen“, stand im März 2021 an der Scheibe, mit
       Edding geschrieben. Jemand vom Demokratiebahnhof überklebte das „K“ und
       machte daraus einen Ort für Schwule und Transen.
       
       Ist es bei so viel Tumult nicht leichter, aufzugeben, wegzugehen, den Nazis
       den Rücken zu kehren, statt Kämpfe gegen die Stadt und gegen rechtsextreme
       Strukturen und Angriffe führen zu müssen, jetzt, wo auch noch die
       Mietbelastung und die Unsicherheit dazukommt? Engel zufolge sei die Arbeit
       manchmal demotivierend, weil das Team stetig kleiner werde und viele
       Aufgaben bei denselben Leuten liegen blieben.
       
       Engels Bahnhofsarbeit war neben dem Bufdi stets ehrenamtlich. Tatsächlich
       ist sie im Dezember aus dem Vereinsvorstand ausgetreten und nach Leipzig
       gezogen: „Das liegt nicht an den Schwierigkeiten, mit denen wir gerade im
       Bahnhof zu tun haben, oder den rechten Strukturen und dem Vandalismus,
       daran habe ich mich gewöhnt. Ich wollte mal etwas anderes sehen als
       Vorpommern.“ Engel mag Anklam, hat viel Energie reingesteckt und will die
       Menschen nicht mit der Arbeit und der Belastung alleine lassen. Deswegen
       kommt sie gern zurück.
       
       ## Demokratische Strukturen nicht ganz kaputt
       
       Dieses Jahr will sie für den Demokratiebahnhof noch einen Schweiß-Workshop
       organisieren. Ob und wie das klappt, ist momentan unsicher. Engel weiß: „Es
       ist wichtig, dass der Ort bleibt, damit Kinder und Jugendliche weiterhin
       einen Anlaufpunkt haben – zum Rumhängen, um mit Leuten reden zu können und
       Hilfe zu bekommen, wenn sie welche brauchen.“
       
       Nicht alle demokratischen Strukturen in Anklam sind kaputt. Im Februar
       gingen rund 200 Menschen auf die Straße, um nach den Correctiv-Recherchen
       gegen rechte Strukturen zu protestieren. Gesicht zu zeigen, bedeutet in
       Anklam viel. Campino von den Toten Hosen, Marteria und Feine Sahne
       Fischfilet spielten 2016 ein Konzert vor dem Bahnhof, 2.000 Menschen kamen.
       Zumindest zu dieser einen Veranstaltung. Auch zivilgesellschaftlich
       passiert etwas.
       
       Engel kennt weitere Vereine, die sich vor Ort engagieren und weitere
       Anlaufstellen für Jugendliche in Anklam bieten, Jugendzentren aber eher
       nicht. Auch Wissenschaftler Borstel beobachtet, dass es vermehrt geförderte
       Trägerstrukturen gibt, die sich für demokratische Prozesse und Netzwerke
       engagieren. Das habe es früher nicht gegeben. Er erwähnt
       zivilgesellschaftliches Engagement vereinzelter Menschen in der Stadt,
       stellt aber klar, dass dieser Hoffnungsträger kein Selbstläufer ist.
       
       ## Jugendliche wirklich erreichen
       
       Für Anklam als Ort verschwindet mit dem Demokratiebahnhof also nicht nur
       ein Kultur- und Veranstaltungszentrum, es verschwindet ein Signal: Es gibt
       auch etwas anderes als rechte Räume, einen Ort, an dem man sich begegnet,
       statt andere auszugrenzen. Doch offensichtlich fehlen dem Demokratiebahnhof
       Geld, Unterstützung und Strukturen. „In den vergangenen Jahren hat der
       Verein auch selbst schon immer saniert“, sagt Engel.
       
       Nur alles alleine stemmen geht eben nicht. Sie wäre schon mit einer
       Teilnutzung des Bahnhofes zufrieden oder wenn der Verein nach
       Sanierungsmaßnahmen wieder ins Bahnhofsgebäude könnte. Für den Verein
       wünsche sie sich, dass er einfach weiter Jugendarbeit machen könne,
       jemanden für die Stelle als Jugend- oder Sozialarbeiterin, eine Handvoll
       ehrenamtlicher Leute – und dann noch Jugendliche, die den Laden irgendwann
       übernehmen.
       
       Ob der Demokratiebahnhof erhalten bleiben kann, ist in der Schwebe. Weder
       die Eigentümerin noch die Stadt haben auf Presseanfragen reagiert, ob und
       inwiefern sich diese Situation am besten lösen ließe und ob Interesse am
       Bestehen des Demokratiebahnhofs besteht.
       
       Zuletzt wollte der Verein für seine Bildungsarbeit den zum Bahnhof
       gehörenden und öffentlich zugänglichen Garten nutzen. Tags darauf schickte
       die Eigentümerin die Polizei vorbei. Engel zufolge gibt es momentan
       Gespräche über neue Räumlichkeiten, die nutzbar, aber wiederum von
       Interessen Dritter abhängig seien. Doch um Jugendliche zu erreichen, sei
       ein zentraler Standort extrem wichtig, damit alle Zugang bekommen.
       
       25 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Juli Katz
       
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