# taz.de -- Zum Tag der Pressefreiheit 2024: Krieg gegen Medienfreiheit
       
       > Kriegführenden Staaten geht es nicht um freien Journalismus, sondern um
       > Propaganda. In Kriegszeiten blüht auch in Demokratien die Doppelmoral.
       
 (IMG) Bild: Der TV-Journalist Jaber Abu Hadrus kam bei einem Israelischen Luftangriff in Gaza ums Leben
       
       Im April beschloss Israels Parlament mit 70 gegen 10 Stimmen ein Gesetz,
       mit dem sich der [1][katarische Sender Al Jazeera verbieten] lässt. Der
       Kommunikationsminister kann nun mit Genehmigung von Premierminister
       Benjamin Netanjahu ausländischen Sendern, die „die nationale Sicherheit
       gefährden“, die Verbreitung blockieren lassen. „Der terroristische Sender
       Al Jazeera wird nicht länger aus Israel senden“, sagte Netanjahu.
       
       Die Hamas ist ihrerseits dafür berüchtigt, dass sie Journalisten, die der
       palästinensischen Autonomiebehörde nahestehen oder kritisch über die
       Islamisten berichten, unter Druck setzt und verfolgt. Um die
       [2][Medienfreiheit] in den illegal besetzten palästinensischen Gebieten ist
       es noch schlechter bestellt als in Israel.
       
       Ende Januar 2024 entdeckte die ukrainische Journalistin Iryna Hryb an ihrem
       Auto in Odessa ein Gerät zum Orten und Abhören ihres Wagens. Sie hatte über
       Korruption beim Getreideexport recherchiert. [3][Auch andere
       Investigativjournalisten], die über Korruption bei Waffengeschäften
       berichteten, wurden in der Ukraine bedroht, gern von Mitarbeitern des
       Inlandsgeheimdienstes.
       
       In Russland sind derzeit 35 Medienschaffende in Haft, der Journalist
       Iwan Safronow wurde zu 22 Jahren Straflager, sein Kollege Wladimir
       Kara-Mursa zu 25 Jahren Haft verurteilt. Oppositionelle Medien wie
       [4][Meduza] oder [5][Novaya Gazeta] können nur mehr im Exil operieren.
       
       ## Rangliste der Pressefreiheit: Deutschland auf Platz 10
       
       Nach der aktuellen [6][Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne
       Grenzen], die von Norwegen angeführt wird und in der Deutschland Platz 10
       belegt, findet sich die Ukraine auf Platz 61, Israel auf 101, die
       Palästinensergebiete sind auf Platz 156 und Russland ist auf Platz 162, von
       insgesamt 180 Plätzen.
       
       Krieg ist offensichtlich gar nicht gut für die Medienfreiheit.
       Kriegführenden Staaten geht es nicht um freien Journalismus, sondern um
       gelenkte Propaganda. Die eigenen Verluste werden heruntergerechnet, die des
       Feindes übertrieben. Feindliche Führer, ja ganze Völker werden als Monster
       dämonisiert. Generäle halten gewöhnlich nichts von Informationsfreiheit,
       sie sind Freunde der Geheimhaltung. „Vietnam war der erste Krieg ohne
       Zensur“, sagte der US-Oberbefehlshaber in Vietnam, General William
       Westmoreland. „Ohne Zensur können Dinge furchtbar verwirrt werden im
       öffentlichen Bewusstsein.“
       
       Natürlich haben wir hierzulande keine staatliche Lenkung und Zensur der
       Medien, aber viele Medienschaffende liefern auch ohne sie gerne das
       politisch Gewünschte; unlängst zum Beispiel Berichte, in denen die
       militärischen Möglichkeiten der Ukraine unrealistisch übertrieben wurden
       oder die mehr als 30.000 palästinensischen Opfer des israelischen
       Massenmords in Gaza weitgehend ignoriert wurden.
       
       ## Im Krieg blüht die Doppelmoral
       
       Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg [7][verbot noch vor dem russischen
       Überfall auf die Ukraine Anfang Februar 2022 dem russischen TV-Sender
       Russia Today die Ausstrahlung] in Deutschland via Satellit. Als die
       Moskauer Regierung im Gegenzug dem BRD-Staatssender Deutsche Welle
       untersagte, in Russland zu arbeiten, zeterte deren Intendant: „Was wir hier
       erleben, ist ein unglaublicher Schlag gegen die Pressefreiheit.“ Fast
       überflüssig zu erwähnen, dass er damit nicht das Verbot russischer Sender
       im „freien“ Westen meinte. Krieg ist nicht nur meist eine amoralische
       Unternehmung, im Krieg blüht auch die Doppelmoral.
       
       Dass am Anfang von Kriegen oft eine Lüge steht, hat unter anderen der
       US-Außenminister Colin Powell vorexerziert, als er im Februar 2003 vor dem
       UN-Sicherheitsrat in New York wahrheitswidrig behauptete, dass Iraks
       Diktator Saddam Hussein die Welt mit Massenvernichtungswaffen bedrohe. Die
       Vereinigten Staaten begannen daraufhin ihren Krieg gegen den Irak, der über
       200.000 Zivilisten das Leben kostete.
       
       Der australische Journalist Julian Assange hat festgestellt: „Wenn Kriege
       durch Lügen begonnen werden können, kann Frieden durch Wahrheit begonnen
       werden.“ Nachdem Assange, gestützt auf US-Dokumente, Kriegsverbrechen von
       US-Soldaten im Irak und in Afghanistan enthüllte, ließ ihn US-Präsident
       Donald Trump wegen Spionage verfolgen, basierend auf einem Gesetz aus dem
       Ersten Weltkrieg. Das US-Justizministerium fabrizierte eine Anklage mit
       einer Höchststrafe von 175 Jahren Haft. Assange ist seit mehr als fünf
       Jahren im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert und
       [8][führt einen zähen juristischen Kampf, nicht in die USA ausgeliefert zu
       werden].
       
       Demokratien müssen sich daran messen lassen, ob sie die Medienfreiheit
       schützen. Das gilt auch oder gerade besonders für Kriegssituationen. Dass
       Demokratien sich dann in der Einschränkung der Pressefreiheit nicht
       zwangsläufig Diktaturen annähern müssen, haben die Briten im Zweiten
       Weltkrieg gezeigt. Sie führten eine öffentlichen Debatte über das „aerial
       bombing“, die Flächenbombardierung deutscher Städte durch die Royal Air
       Force, bei denen vorwiegend Zivilist:innen ermordet wurden.
       
       Bischof George Bell, ein Freund des deutschen Widerstandstheologen Dietrich
       Bonhoeffer, konnte im Februar 1943 im Londoner Oberhaus die
       Flächenbombardements als „unverhältnismäßig“ und damit als
       völkerrechtswidrig kritisieren. Zwar stieß der Kirchenmann auf empörten
       Widerspruch, nur zwei Labour-Abgeordnete unterstützten ihn im Unterhaus,
       und Premier Winston Churchill hielt bis zum Dresdner Feuersturm am „aerial
       bombing“ fest, doch Bell konnte seine Kritik unzensiert und ohne
       Repressalien äußern. Das ist schon eine ganze Menge.
       
       Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage
       der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der
       Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos [9][hier].
       
       2 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Israel-will-Al-Jazeera-verbieten/!6000047
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-Pressefreiheit/!t5007487
 (DIR) [3] https://rsf.org/en/ukraine-rsf-alarmed-series-attempts-intimidate-investigative-journalists
 (DIR) [4] /Unser-Fenster-nach-Russland/!t5916992
 (DIR) [5] /Novaya-Gazeta-Europe-in-der-taz/!t5909807
 (DIR) [6] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/weltkarte/
 (DIR) [7] /EU-Verbot-russischer-Staatssender/!5835571
 (DIR) [8] /programm/2023/tazlab2023/de/events/1288.html
 (DIR) [9] /Krieg-gegen-die-Medienfreiheit/!vn6008357/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Sontheimer
       
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