# taz.de -- Israel will Al Jazeera verbieten: Blinde Flecken
       
       > Israels Regierung will Al Jazeera als „Sprachrohr der Hamas“ verbieten.
       > Das ist ein Fehler, auch wenn der katarische TV-Sender nicht objektiv
       > berichtet.
       
 (IMG) Bild: Al-Jazeera Büro in Jerusalem 2017
       
       Ein Fernseher, auf dem [1][Al Jazeera] läuft, gehört zum festen Inventar
       vieler Cafés und Restaurants im arabischen Teil der Altstadt von Jerusalem.
       Beim Friseur in der Nähe des Damaskustors flackern am Donnerstag in
       schneller Folge Bilder [2][des von Israel bombardierten Konvois der
       Hilfsorganisation World Central Kitchen] über den Bildschirm, gefolgt von
       Aufnahmen von bis auf die Knochen abgemagerten Kindern und in blutige
       Decken eingewickelte Leichen, Opfer eines israelischen Luftangriffs.
       
       Damit soll nach dem Willen der israelischen Regierung bald Schluss sein.
       Ein Gesetz zur Einschränkung internationaler Medien, welche die „nationale
       Sicherheit“ bedrohen, hat vergangene Woche das israelische Parlament
       passiert. Erklärtes Ziel der Maßnahme: Al Jazeera. „Für Sprachrohre der
       Hamas wird es in Israel keine Meinungsfreiheit geben“, sagte
       Kommunikationsminister Shlomo Karhi im Anschluss an die Abstimmung.
       
       Der katarische Sender gehört nach eigenen Angaben mit rund 430 Millionen
       Zuschauern zu den reichweitenstärksten in der arabischen Welt. Im Gegensatz
       zu den meisten internationalen Medien verfügt er im Gazastreifen über ein
       dichtes Netz an Korrespondenten. Die Reporter berichten ungefiltert über
       den Schrecken des Krieges und werden dabei auch immer wieder selbst zum
       Ziel. Unter den rund einhundert seit Kriegsbeginn [3][getöteten
       Journalisten] ist auch der Sohn des Al-Jazeera-Büroleiters im Gazastreifen,
       Hamza al-Dahdouh, der im Januar bei einem Luftangriff ums Leben kam.
       
       Dass sich Al Jazeera nicht um Neutralität bemüht, ist deutlich:
       „Al-Aksa-Flut“ ist auf der arabischen Webseite der Bereich zum Gaza-Krieg
       überschrieben, benannt nach dem Namen der Hamas für ihren blutigen Angriff
       auf Südisrael am 7. Oktober 2023, bei dem die Angreifer rund 1.200 Menschen
       töteten und etwa 250 entführten.
       
       ## „Gefährlicher Präzedenzfall“
       
       Ein Verbot des Senders ist dennoch der falsche Weg. Zum einen dürfte es
       kaum umzusetzen sein, schätzt [4][Tehilla Shwartz-Altshuler] vom
       Israelischen Institut für Demokratie IDI: „Das Gesetz ist Symbolpolitik,
       die sich vor allem an die Wählerschaft von Ministerpräsident Netanjahu
       richtet.“
       
       Wer Al-Jazeera-Inhalte sehen wolle, der könne jedes Verbot voraussichtlich
       leicht umgehen. Schaden könnte es hingegen der Pressefreiheit. Der Verband
       der Auslandspresse in Israel warnt vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“,
       der in der Folge auch weitere Sender treffen könnte.
       
       Zum anderen ignoriert der Fokus auf Al Jazeera, dass auch die israelische
       Presse in der Berichterstattung über den Krieg blinde Flecken hat. Es
       dominiert die Perspektive der Soldaten, die gegen Hamas-Kämpfer vorgehen,
       der Geiselfamilien oder der Angehörigen gefallener israelischer Soldaten.
       
       „Die Israelis sehen nicht die Bilder aus dem Gazastreifen, die der Großteil
       der Welt sieht“, sagte Raviv Drucker, einer von Israels bekanntesten
       Investigativjournalisten und Moderator beim privaten Sender Kanal 13, im
       Interview dem britischen Guardian. Fehlverhalten israelischer Soldaten in
       Gaza oder im besetzten Westjordanland „wollen die Menschen nicht sehen“.
       Drucker setzt sich dafür ein, mehr über die palästinensische
       Zivilbevölkerung zu berichten.
       
       ## Nie ein Video der Gräueltaten gesehen
       
       Damit ließe sich vielleicht etwas ändern an schockierenden Umfragen wie
       etwa der des IDI von Februar. Zwei Drittel der befragten jüdischen Israelis
       waren damals gegen humanitäre Hilfe für Gaza, als internationale
       Organisationen längst vor einer drohenden Hungersnot warnten. Zwar gibt es
       [5][unabhängige israelische Presse,] allen voran die Tageszeitung Haaretz,
       die scharf die eigene Regierung oder das Vorgehen der Armee kritisiert.
       Doch [6][sie] erreichen nur einen Bruchteil der Gesellschaft.
       
       Auf Seiten der Palästinenser sieht es nicht besser aus: Laut einer
       Befragung des palästinensischen Umfrageinstituts PSR in Zusammenarbeit mit
       der Konrad-Adenauer-Stiftung stehen 70 Prozent im Westjordanland und dem
       Gazastreifen hinter dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Dieselbe Umfrage
       kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass vier von fünf Palästinensern nie ein
       Video der Gräueltaten und Massaker an israelischen Zivilisten gesehen
       haben. Bei Al Jazeera wurden diese kaum ausgestrahlt.
       
       Was die Sicherheit Israels gefährdet, ist nicht die freie Presse, auch wenn
       sie derart parteiisch berichtet wie Al Jazeera. Gefährlich sind die
       Informationsblasen, in denen sich viele Palästinenser und Israelis
       eingerichtet haben. Und gefährlich ist das Unverständnis vieler Israelis
       für die wachsende Kritik weltweit am Vorgehen der Armee in Gaza.
       
       „Weil sie selbst nicht das ganze Bild vor Augen haben, verstehen viele
       nicht, warum die Welt palästinensisches Leid sieht und das israelische
       scheinbar vergessen hat“, sagt Shwartz-Altshuler. Ein Verbot von Al
       Jazeera kann daran nichts ändern. Gute Berichterstattung, die alle
       Beteiligten hört, hingegen schon.
       
       5 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /TV-Sender-Al-Jazeera/!5973656
 (DIR) [2] /Israelische-Angriffe-in-Gaza/!5999067
 (DIR) [3] /Krieg-im-Gazastreifen/!5980810
 (DIR) [4] https://en.idi.org.il/experts/1363
 (DIR) [5] https://www.972mag.com/
 (DIR) [6] https://www.timesofisrael.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Wellisch
       
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