# taz.de -- Jelinek-Stück am Theater Bremen: Die Rückkehr der Engel
       
       > Kaum ein neues Stück wird derzeit so viel gespielt, wie Elfriede Jelineks
       > „Sonne/Luft“. Sein Thema ist der Klimawandel. Seine Sprache gewohnt
       > rasant.
       
 (IMG) Bild: Im Sonnenquartett: Matthieu Svetchine trägt als Apollo zugleich mit würde die Krone des Inka
       
       BREMEN taz | Oh, wie schön. Elfriede Jelineks Textflächentheater changiert
       immer zwischen burleskem Kasperlespiel und philosophiehistorischem Seminar:
       Das gibt’s sonst nur in Johann Wolfgang von Goethes Faust, aus dem Jelineks
       Werk „Sonne/Luft“ wichtige szenische Impulse bezieht.
       
       Allerdings muss man beim Weimarer Klassiker ohne die rasante
       Leichtfüßigkeit und den [1][kalauernden Wortwitz der Österreicherin
       auskommen]. Ein halbes Jahr nach der Hamburger Uraufführung hat das Stück
       nun in Bremen Premiere gefeiert.
       
       Und nein, nicht nur dort: „Sonne/Luft“ ist das in Deutschland
       wahrscheinlich meistinszenierte Stück der laufenden Spielzeit. Es
       betrachtet die Klimakatastrophe aus der kosmisch-welttheatralen Perspektive
       des goetheschen Prologs im Himmel.
       
       Nur hat Jelinek die glänzendsten Sterne [2][ihrer Brudersphären halt in
       Wortnebeln eingewoben], und durch Witzeleien bis hin zur Zote verdeckt.
       Alle, denen er zu schwierig wird, haben also die Möglichkeit, den Text als
       Plattitüde abzutun. [3][Das ist doch eine Chance, oder?]
       
       ## Kühl ordnender Zugriff
       
       Um die wahrzunehmen, bedarf es außerordentlicher Sprecher*innen, die diesen
       fließenden Übergang der Register und Sprachniveaus hinkriegen, wie es in
       Bremen dem Titelrollenquartett Shirin Eissa, Karin Enzler, Nadine
       Geyersbach und, mit immensem Textanteil, Irene Kleinschmidt mit
       spielerischer Leichtigkeit gelingt.
       
       Und es bedarf eines fast schon rabiaten, kühl-ordnenden Zugriffs, um sie so
       zum Leuchten zu bringen: Großartig haben die Dramaturgin Elif Zengin und
       Regisseurin Christiane Pohle für diese Produktion die
       Kunstliedreminiszenzen der Vorlage detektiert. Mit ihrer Hilfe – dank
       Anneliese Rothenberger und Dietrich Fischer-Dieskau per
       Schallplattenspieler und dank dem irrwitzig guten Ein-Mann-Live-Orchester
       Philipp Haagen – haben sie die Satzlawinen eingedämmt und den Furor so in
       Bahnen gebracht, dass eine in sich schlüssige Bühnenwirklichkeit daraus
       entstehen kann.
       
       Dass dabei das Zitatgeflecht, das Jelinek spinnt – und manchmal spinnt sie
       wirklich! – in die Sichtbarkeit tritt, verdankt sich dabei nicht zuletzt
       den fantastischen Kostümen von Dorothee Curio: Dank seiner voll Würde
       getragenen Krone und seines Gewandes ist Matthieu Svetchine, der als Apollo
       die Szene betritt, auch als Manku Qhapaq zu erkennen, [4][der erste Inka].
       
       Der Sohn der Sonne sitzt zunächst eher schweigsam entspannt am Rande und
       nimmt ein Fußbad. Es ist gut möglich, dass er auf Opfer wartet. Später, zum
       Auftakt des Luft-Teils, wird er einen nachdenklichen, mutmaßlich [5][an
       Louis Althusssers Epikur-Lektüre orientierten Monolog] über die Atome und
       das Nichts halten. Es kann aber auch sein, dass es ein bloßer Spaß der
       Autorin ist.
       
       Jelineks Blick auf den Schrecken der Klimakatastrophe wirkt oft eher
       lustvoll als resignativ, mitunter fast schmerzpornografisch: Die
       kosmisch-mythologische Perspektive macht das erträglich, weil nur in ihr
       aus dem verhängnisvollen Himmelsteam – ist das die Rückkehr der Engel? –
       eine köstlich desorientierte Terroristen-Kombo werden kann.
       
       Die versorgt sich in langer, weißer Unterwäsche am Kiosk erst einmal mit
       Bier und Waffen, bevor sie die Erde erneut heimsucht: Vom Grausamen zum
       Lächerlichen ist es auch nur ein Schritt. In Christiane Pohles kluger und
       mitreißender Inszenierung kommt das Stück auf beiden Seiten dieses schmalen
       Grats zugleich zum Stehen: brutal und komisch, schrecklich und schön.
       
       11 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Jelinek-in-den-Kammerspielen-Muenchen/!6005072
 (DIR) [2] http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Dramen/Faust.+Eine+Trag%C3%B6die/Prolog+im+Himmel
 (DIR) [3] https://original.elfriedejelinek.com/fanmerk.html
 (DIR) [4] https://info-peru.de/inka-geschichte/
 (DIR) [5] http://www.episteme.de/htmls/Althusser-Materialismus-Begegnung.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
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 (DIR) Literatur
       
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