# taz.de -- Die Kunst der Woche: Die Unbehaustheit des Menschen
       
       > Pedro Cabrita Reis lässt Gemälde zwischen Bäumen und Aluminium laufen.
       > Pegah Keshmirshekan stellt mit Blumenstilleben Fragen von Heimat und
       > Diaspora.
       
 (IMG) Bild: Blick in die Ausstellung „Wunderkammer“ von Pedro Cabrita Reis
       
       Das große grüne Gemälde und daneben das kleine gelbe: Man möchte ewig auf
       das ungleiche Paar schauen. Und dabei ist schwer zu sagen, was genau die
       Faszination ausmacht. Im kleinen Bild steigt das Gelb wie eine Wolke aus
       einer schiefen schwarzen Ebene empor. Doch weder die schiefe Ebene noch der
       gelbe Himmel füllen die Bildfläche aus. Teile der rohen Leinwand bleiben
       sichtbar. Auch das Grün, das im großen Bild mit breitem Pinsel von links
       nach rechts auf das Papier gesetzt wurde, füllt nur zwei Drittel der Fläche
       aus, und am unteren Bildrand bleibt ohnehin über die gesamte Breite ein
       etwa 20 cm hoher Streifen frei.
       
       Dass das Bild den Titel „Caminando sobre la tierra entre árboles y piedras
       #16, 2017“ trägt, „Wandern auf dem Land zwischen Bäumen und Steinen“ also,
       leuchtet unmittelbar ein. Einfach eine Landschaft ist das kleine Gemälde.
       Davon hat Pedro Cabrita Reis eine ganze Serie mit Öl auf die rohe Leinwand
       gezaubert, die derzeit in der [1][Buchmann Galerie] zu sehen ist. Das Wort
       „zaubern“ drängt sich auf, denn die einfachen, quer und senkrecht auf das
       rohe Leinen gesetzten und so auch gesehenen Pinselstriche stellen
       atmosphärisch doch unzweifelhaft Naturansichten dar.
       
       „Wunderkammer“, der Titel der ersten Einzelausstellung des portugiesischen
       Künstlers in Berlin, ist absolut stimmig – ganz ohne kunsthistorischen
       Bezug. Eine Wunderkammer in diesem Sinne, ist die Ausstellung aber auch,
       zeigt sie doch eine breite [2][Auswahl von Pedro Cabrita Reis' Arbeiten]
       aus den letzten Jahren: Skulpturen, ob aus weißem Steingut oder
       konstruktivistisch aus Aluminiumprofilen zusammen geschweißt, dazu
       abstrakte und figurative Malerei. Die Unbehaustheit des Menschen in der
       Welt ist wohl der Hintergrund, vor dem Reis' Auseinandersetzung mit dem
       gebauten Raum, seine Kontemplation der Natur oder seine Erforschung
       menschlicher Gefühle stattfindet.
       
       Eine Reihe abstrakter „Paintings“ handelt von der Casa Quiemada, dem
       abgebrannten Haus, während die Serie dunkler Selbstporträts den Künstler
       als gespaltene Figur zeigt, als „One and the other, 2023“. Und dann könnte
       man meinen, in „Flower with a Figure (The Age of Decay, 4th series 3/10),
       2023“, der großartigen Beschwörung von Schönheit und Glück in nur einer
       einzigen, einsame Blume, gebe sich Pedro Cabrita dann doch als Romantiker
       zu erkennen.
       
       ## Habitat mit Alter Ego
       
       Von einer prächtigen Blume handelt gleich eine ganze Ausstellung in der
       Galerie [3][Under The Mango Tree]. In „Imaginary Homeland“, der ersten
       Einzelausstellung von Pegah Keshmirshekan in Berlin, steht die sogenannte
       Kaiserkrone im Mittelpunkt der Blumenstillleben der 1996 in Teheran
       geborenen [4][Künstlerin], die im vergangenen Jahr ihr Studium an der UdK
       abgeschlossen hat und mit dem Schulz-Stübner-Preis für Malerei
       ausgezeichnet wurde.
       
       Mit ihrer konzeptuellen, multimedialen Serie von Blumenstillleben knüpft
       Keshmirshekan an die exotischen Blumenarrangements der niederländischen
       Meister des 17. und 18. Jahrhunderts an, deren Blumengebinde oft nur in der
       Malerei existierten. Denn in der Vase konnten die Blumen aufgrund ihrer
       unterschiedlichen jahreszeitlichen und geografischen Herkunft nie
       zusammenkommen. Neben der Idee, die Blüten eines ganzen Jahres in einem
       einzigen Bild festzuhalten, feierten diese fantastischen Blumenstillleben
       auch die koloniale Beherrschung der Welt durch die See- und Handelsmacht
       der Vereinigten Niederlande.
       
       Die Kaiserkrone, Fritillaria imperialis, heute ein beliebter, imposanter
       Frühjahrsblüher in heimischen Gärten, war ursprünglich in den
       Gebirgsregionen der Türkei und des Iran bis hin zu den Ausläufern des
       Himalaya beheimatet. Für heimatvertriebene Flüchtlinge und Migrant:innen
       aus diesen Regionen symbolisiert die Pflanze eine ferne Heimat; so auch für
       Pegah Keshmirshekan, die über das Bild der Blume, sei es im malerischen
       Stillleben, sei es im Foto oder im Video, das sie in freier Natur am Ort
       ihres ursprünglichen Vorkommens zeigt, auf sehr sensible Weise diasporische
       Erfahrung und die Frage nach postkolonialer hybrider Identität erkundet.
       
       Die Heimat, symbolisiert durch die Kaiserkrone, wird von der Künstlerin in
       Analogie zu den unmöglichen Blumenarrangements der niederländischen Maler
       als eine Gegebenheit der Imagination und nicht der Realität gesehen. Sie
       steht für eine Phantasie, die Roya, eine in London geborene Malerin und
       Busfahrerin mit iranischen Wurzeln und damit Pegah Keshmirshekans Alter
       Ego, in ihrer Kunst zum Ausdruck bringt, bis dieses Bild in dem Moment
       fragwürdig wird, als sie die Blume in ihrem ursprünglichen Habitat
       kennenlernt.
       
       14 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://buchmanngalerie.com/exhibitions/berlin/pedro-cabrita-reis/wunderkammer/2024
 (DIR) [2] https://buchmanngalerie.com/artists/pedro-cabrita-reis
 (DIR) [3] https://underthemangotree.de/exhibitions-2024-imaginary-homeland-pegah-keshmirshekan
 (DIR) [4] https://pegahkeshmir.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
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