# taz.de -- 20. Kampftag der Arbeitslosen: „Wir haben keine Forderungen“
       
       > Erwerblose begehen den 2. Mai als „Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen“.
       > Ein Gespräch mit Paul* von der Initiative Basta!
       
 (IMG) Bild: Auch am 2. Mai 2023 wurde demonstriert – allerdings spontan und unangemeldet
       
       taz: Was hat die Erwerbsloseninitiative Basta! dieses Jahr zum „Kampf- und
       Feiertag der Arbeitslosen“ am 2. Mai geplant? 
       
       Paul: Wir als Basta! sind lediglich Teil eines breiten
       Unterstützer:innenkreises. Gemeinsam werden wir auch dieses Jahr wieder
       selbstbewusst auf die Straße gehen und mit Musik, Schildern, Gesten und
       Sprechchören kundtun, was wir vom Zwang zur Lohnarbeit halten – nämlich gar
       nix. Und auch das beliebte „Gebet gegen Arbeit“ von Michael Stein wird
       natürlich seinen Platz haben. Der Tag ist ein guter Anlass, um ins Gespräch
       über die „heilige Arbeit“ zu kommen und um Alternativen zum bestehenden
       kapitalistischen Ausbeutungssystem aufzuzeigen.
       
       Es gibt Menschen, die gerne zur Arbeit gehen, weil sie etwas Sinnstiftendes
       darin sehen. Manche empfinden sie als wichtig, um soziale Anerkennung oder
       wenigstens keine Ausgrenzung zu erfahren. Außerdem gilt der Job gerade für
       Menschen, die in die Bundesrepublik geflüchtet oder eingewandert sind, als
       „Integrationsmotor“. Wie überzeugen Sie diese Menschen von Ihrem Feiertag? 
       
       Ich kann auch Menschen verstehen, die arbeiten. Wenn zum Beispiel der
       Aufenthaltstitel an der Arbeitsstelle hängt, oder Menschen, denen die Hetze
       und Ausgrenzung eines erwerbslosen Lebens zu viel sind. Ich will ja
       niemanden zwingen zu kündigen, aber ich kann die Fantasie der Arbeitenden
       anregen, wie man die eigene Lebenszeit sinnvoller nutzen kann als mit
       Lohnarbeit.
       
       Sie würden anderen Menschen also empfehlen, nicht zu arbeiten? 
       
       Auf jeden Fall, zumindest mal eine Zeit lang. Die Besserverdienenden machen
       ja auch aus gutem Grund sogenannte Sabbaticals, denn die Burn-out-Fälle
       nehmen stetig zu. Mit dem Amt ist es natürlich auch mal stressig und
       finanziell sehr knapp. Auf der Haben-Seite steht aber, dass ihr euch eure
       Zeit frei einteilen könnt, und ihr habt Zeit für Beschäftigungen, die euch
       guttun und sinnvoll sind, wie zum Beispiel Engagement für Mitmenschen. Alle
       sollten sich mal eine Pause gönnen. Das kann auch ein Bummelstreik sein,
       mal blaumachen oder Arbeitszeitbetrug begehen. Die Einzigen, die sich in 20
       Jahren daran erinnern werden, dass ihr so toll viel gearbeitet habt, sind
       eure Kinder.
       
       Noch einmal zum Feiertag: Wie wird die Demo von den Berlinern angenommen? 
       
       Das kann man gut daran sehen, dass letztes Jahr knapp 200 Menschen spontan
       zur gewohnten Zeit am 2. Mai zusammenkamen, obwohl 2023 gar keine Demo
       angekündigt war. Es war fantastisch! Wer einmal dabei war, kommt meistens
       wieder. Für mich ist es die beste Demo des Jahres! Gerade in Zeiten wie
       diesen, wo die Angriffe und Hetze aus Politik und Medien gegen uns
       Erwerbslose so massiv sind, ist es wichtig, sich nicht nur zu verteidigen,
       sondern eigene thematische Aktionen zu machen und offensiv zu sein, wie wir
       es eben mit dieser Demo machen.
       
       Haben Sie Forderungen, die Sie an die Politik richten? 
       
       Wir haben als Orga-Gruppe keine Forderungen. Und meiner Meinung nach machen
       Forderungen an den Staat aus unserer Position heraus auch keinen Sinn. Wir
       wollen auf der Straße gemeinsam laut unsere Meinung gegen den Zwang zur
       Lohnarbeit kundtun.
       
       Reicht das? 
       
       Das ist natürlich generell eine Frage bei Demos wie denen von Fridays for
       Future oder die riesigen Demos gegen rechts – beide haben fast keinen
       Effekt. Die Menschen, die ich auf unserer Demo erlebe, haben Spaß und
       spüren, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine sind. Und das ist schon
       sehr viel wert!
       
       Seit Monaten [1][ereifern sich die bürgerlichen Parteien], die
       Disziplinierungsinstrumente der Hartz-IV-Ära zu rehabilitieren. Die FDP
       forderte eine Sofortkürzung des Bürgergelds für „Jobverweigerer“ um 30
       Prozent. Die CDU will Möglichkeiten schaffen, Leistungen für
       Bürgergeldbeziehende ganz zu streichen. Den Anfang machte
       Bundesarbeitsminister Heil (SPD), als er härtere Sanktionen für
       „Totalverweigerer“ ankündigte. Wie erleben Sie die Debatte, und wie gehen
       Sie und Ihr Umfeld mit den Stigmatisierungen um? 
       
       Meinem Umfeld setzen die dauernden Angriffe und die Hetze natürlich zu,
       aber für uns ist das nicht neu. Es gibt auch manche, die dagegen aktiv
       werden und Diskussionsrunden organisieren oder versuchen, mit
       Satireplakaten Paroli zu bieten. Wir bei Basta! sind damit beschäftigt, mit
       den Menschen dafür zu kämpfen. Der Bürgergeldsatz ist zu niedrig, das kann
       man beim Paritätischen Wohlfahrtsverband nachlesen, der das ausgerechnet
       hat. Es gibt Studien, dass eine gesunde Ernährung mit dem Bürgergeld nicht
       möglich ist, und wir spüren das am eigenen Leib. Diese Mangelernährung hat
       gesundheitliche Folgen, besonders für Heranwachsende. Anstatt höhere Löhne
       zu fordern oder den Mindestlohn zu erhöhen, werden von der Politik
       Bürgergeldbeziehende den Niedriglöhner*innnen als Sündenbock
       angeboten. Als ob es Niedriglöhner:innen besser ginge, wenn es einer
       anderen Gruppe noch schlechter geht.
       
       Wie stark ist die Solidarität zwischen Erwerbslosen? 
       
       Wenn man in so einer Erwerbslosengruppe organisiert ist, kann man die
       Sorgen teilen und sich gegenseitig beraten, das hilft sehr viel und man
       spürt, dass man nicht alleine ist. Es hilft, die Angst zu überwinden. Es
       erweitert Perspektiven und ermutigt, über eine andere Gesellschaft
       nachzudenken.
       
       Das klingt nach Empowerment. Insgesamt organisieren sich aber nur sehr
       wenige Erwerbslose. 
       
       Ohne Geld und bei der Hetze ist das auch nicht einfach. Toll wäre es
       natürlich, wenn viele Erwerbslose zusammen auf die Straße gingen, wie
       damals bei den Hartz-IV-Protesten.
       
       Bürgergeldempfänger:innen erhielten 2023 pro Monat 53 Euro mehr als
       noch unter den Hartz-IV-Regelsätzen bis Ende 2022. Dieses Jahr gab es eine
       weitere Erhöhung um 61 Euro. Hat das Bürgergeld die Lebenslage von
       erwerbslosen Menschen in Berlin verbessert? 
       
       Die Erhöhungen des Bürgergeldes gleichen nicht mal die Inflation aus. Laut
       dem Paritätischen Wohlfahrtsverband haben Bürgergeldbeziehende trotz der
       Erhöhung des Satzes in den letzten drei Jahren einen realen
       Kaufkraftverlust erlitten. Ihre Lage hat sich also verschlechtert, da vom
       Bürgergeld weniger Essen, Medikamente, Strom, Kleidung usw. gekauft werden
       können. Das merken auch die Tafeln. Sie sind überrannt und haben vielerorts
       einen Aufnahmestopp.
       
       Wie ist die Situation auf den Jobcentern? 
       
       Die Situation für die Menschen auf den Jobcentern hatte sich insofern kurz
       verbessert, als nach der Einführung des Bürgergeldes mehr Wert auf
       nachhaltige Vermittlung in Arbeit und Vermittlung von sinnvoller Ausbildung
       gelegt wurde. Mittlerweile ist dieser Effekt aber verpufft und wir sind
       zurück im alten System, wo die Menschen unnötig gegängelt und repressiv
       behandelt werden. Sie werden wieder in sinnlose Maßnahmen gedrückt, um sie
       aus den Arbeitslosenzahlen zu bekommen.
       
       2 May 2024
       
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