# taz.de -- Musik in der Politik: Es müsste immer Musik da sein!
       
       > Antony Blinken performte in einer Bar in Kyjiw „Rockin’ in the Free
       > World“ mit einer E-Gitarre. Unser Autor wünscht sich mehr Musik in der
       > Politik.
       
 (IMG) Bild: US-Außenminister Antony Blinken spielt „Rockin' in the Free World“ mit Mitgliedern der Band 1999 in der Barman Dictat Bar
       
       Politik ist ein unmusikalisches Geschäft. Politiker vergreifen sich im Ton,
       selbst wenn die Melodien ihrer Stimmen monoton sind. Und gibt es schrille
       Zwischentöne, ist es auch niemandem recht. Medien beklagen dann mangelnde
       Harmonie oder ein fehlendes Taktgefühl.
       
       Aber es gibt Ausnahmen, diese Woche gleich zwei. In Kyjiw trat
       US-Außenminister Antony Blinken mit einer E-Gitarre auf und spielte das
       Lied „Rockin’ in the Free World“. Und in der georgischen Hauptstadt Tiflis
       ließen proeuropäische Demonstranten die „Ode an die Freude“ ertönen.
       
       Was sagt uns das? Natürlich kann man Symbolpolitik wie den Auftritt von
       Blinken kritisieren. Manche Kommentatoren meinen gar zu wissen, dass die
       Performance bei den Soldaten an der Front nicht gut ankäme. Und natürlich
       hätten die Ukrainer mehr davon, wenn Blinken statt mit seiner E-Gitarre im
       Gepäck schon ein paar Monate früher mit frischer Artilleriemunition
       gekommen wäre.
       
       Trotzdem sollte man die Wirkung solcher Symbole nicht unterschätzen.
       [1][Blinkens Auftritt am gleichen Tag], bei dem er der Ukraine ohne Gitarre
       in der Hand die Unterstützung der USA versicherte, war kein viraler Hit.
       Und ich wage zu behaupten, dass auch der Medienprofi Wolodymyr Selenskyj
       solche Gesten zu schätzen weiß. Ohne seine Selfie-Videos in den ersten
       Kriegsnächten wäre die Unterstützung für die Ukraine im Westen nie so groß
       geworden.
       
       Neil Young soll „Rockin’ in the Free World“ geschrieben haben, nachdem eine
       Konzertreise durch die Sowjetunion abgesagt worden war und sein Gitarrist
       sagte, dann müssten sie eben weiter die freie Welt rocken. Wie so oft darf
       man bei einem Lied, das auf den ersten Klang irre gut passt, allerdings
       nicht so genau auf den Text hören, von dem aber eh alle nur den Refrain
       kennen. Dass das Lied von Obdachlosigkeit, Armut, Drogensucht handelt, geht
       unter. Egal! So ist das Leben in der freien Welt: trotz allem attraktiver
       als unter der Herrschaft Putins.
       
       ## Es wird Zeit, dass deutsche Politiker mal den Ton treffen
       
       Das zweite Lied der Woche war die Europahymne auf den Straßen von Tiflis,
       wo [2][Demonstranten gegen ihre repressive Regierung protestierten]. Sie
       schwenkten dazu die Lichter ihrer Handykameras, und man muss Wladimir Putin
       heißen und ein Herz aus Uran haben, um davon nicht berührt zu sein:
       Menschen, die für ein Leben in Freiheit und als Teil von Europa auf die
       Straße gehen.
       
       Auch in Kyjiw lief Beethovens Neunte, beim Euromaidan 2014. Und so bilden
       die Lieder der Woche ungewollt einen musikalischen Rahmen: Von der
       optimistischen Ode an Europa („Alle Menschen werden Brüder!“) bis zur
       trotzigen Durchhalteparole („Keep on!“) dauerte es in der Ukraine 10 Jahre.
       Hoffentlich ist das kein böses Omen für die Menschen in Georgien.
       
       Um nicht mit einem Mollton zu enden: Was wäre eigentlich, wenn deutsche
       Politiker häufiger musizieren würden? In der Vergangenheit ist das oft
       schiefgegangen. Andrea Nahles sang mal im Bundestag Pippi Langstrumpf, die
       sich die Welt macht, widdewidde wie sie ihr gefällt. Und Angela Merkel
       musste sich bei den Toten Hosen für die Taktlosigkeit ihrer Partei
       entschuldigen, ein Lied der Band bei der Wahlparty zu singen. Beide
       Auftritte hat die deutsche Öffentlichkeit aus guten Gründen verdrängt.
       
       Es wird Zeit, dass deutsche Politiker mal den Ton treffen. Wann tritt
       Robert Habeck auf und erklärt die Windkraftstrategie der Bundesregierung
       mit Bob Dylans „The answer, my friend, is blowin’ in the wind“? Und
       sicherlich wären auch die Umfrageergebnisse für die FDP besser, wenn
       [3][Christian Lindner seine Haushaltspolitik] mit einem Klassiker des
       deutschen Punks begründen würde: „Deutschland muss sparen, damit wir leben
       können!“
       
       20 May 2024
       
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