# taz.de -- TV-Werbung zur Wahl des Europaparlaments: Politik in der Werbepause
       
       > Wir haben uns drei Werbespots zur Europawahl von FDP, SPD und BSW
       > angesehen. Wer völlig freidreht und wer noch einmal Schach spielen lernen
       > muss.
       
 (IMG) Bild: Katarina Barley (SPD) und Olaf Scholz (SPD). Aber wer ist wer?
       
       Ein dramatisch ausgeleuchteter Tisch mit zwei Schachbrettern in roter und
       schwarzer Marmoroptik. Hände, die die Figuren zielgerichtet auf den Feldern
       bewegen und schließlich den König schachmatt setzen. Nein, wir sind hier
       nicht bei der Schachserie „Das Damengambit“ oder beim Politthriller „House
       of Cards“. Es ist der [1][Wahlwerbespot der SPD für die Europawahl]. Mit
       [2][Bundeskanzler Olaf Scholz] und EU-Spitzenkandidatin für die SPD,
       Katharina Barley, in den Hauptrollen. Sogar in identischen Outfits und
       Gesten. Scholz stärkt Barley den Rücken in der Wahlkampagne und sie stellen
       klar: „Wir sind Kanzlerpartei, wir sind Europapartei.“
       
       Das dramatische Setting soll zeigen: „Die SPD kann anpacken“, oder wie die
       Stimme aus dem Off sagt: Europa brauche „Entscheiderinnen und Entscheider,
       die beim ersten Zug schon an den übernächsten denken.“ Leider sieht man bei
       Sekunde 29, dass die Schachfiguren etwas unüberlegt, man könnte auch sagen,
       falsch aufgestellt sind: Die Läufer stehen neben den Türmen und nicht wie
       korrekt neben Dame und König. Ob die Partei dafür die „Bedrohungen Europas“
       im echten Leben in Schach halten kann?
       
       Könnte man im Werbespot erfahren, wenn es nicht nur bei Buzzwords „Frieden
       und Sicherheit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt“ bleiben würde. Inhalten
       hätte man mehr Raum geben und stattdessen die Bildgewalt etwas
       zurückschrauben können.
       
       Die ist sowieso etwas drüber: Scholz [3][und Barley] als allmächtige
       Personen, die Schachfiguren bewegen? Man könnte ja meinen, eine wehrhafte
       Demokratie wächst eher durch gemeinsame Entscheidungen. Auch die
       heraufbeschworene Bedrohung „in vielen Feldern“ (im Video symbolisiert
       durch die schwarzen Schachfiguren) ist eigentlich eher ein Bild für
       populistischere Parteien. Immerhin ist der Werbespot nach genau einer
       Minute vorbei – im Gegensatz zu anderen größeren Parteien, die die erlaubte
       Länge von 90 Sekunden ausreizen. Bei der SPD bleibt also weniger Zeit, um
       etwas Falsches zu sagen. (Ann-Kathrin Leclère) 
       
       ## Einfach freidrehen
       
       Wäre dieser Wettkampf der Wahlwerbespots ein illegales Straßenrennen,
       hießen die Siegerinnen FDP und Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Gleich zu
       Beginn des Spots erwecken die vorbeirauschenden Blitzlichter den Eindruck,
       man würde mit 200 Sachen durch die Innenstadt brettern. Gerade im Vergleich
       zur Konkurrenz, deren Spitzenpolitiker träge vor einem Schachbrett (Scholz)
       oder spätabends für die Nation kopfzerbrechend am Schreibtisch sitzen
       (Habeck), ist dieser Spot einfach superduperdynamisch.
       
       Das liegt nicht nur an der allgemeinen Flottigkeit dieser Partei, die so
       oft so wirkt, als wäre es ihr scheißegal, was das Ziel ist und ob es ein
       gutes Ziel ist – Hauptsache, sie rast vor allen anderen los, drückt das
       Gaspedal durch, bremst nicht ab und rast auch nach der Ziellinie einfach
       immer weiter. [4][Politik ohne Tempolimi]t!
       
       Es liegt auch an der Form dieses Spots, der sich dadurch von den anderen
       abhebt: Statt auf reale Bewegung ihres Personals zu setzen, die durch ihr
       unbeholfenes Auftreten vor Kamera eh nur an Laienschauspieler [5][bei
       Richterin Barbara Salesch] erinnern, präsentiert die FDP aneinandergereihte
       Standbilder. Das abwechselnde Rein- und Rauszoomen verstärkt die
       Rastlosigkeit zusätzlich, mit der ein Bild schnell auf das andere folgt:
       Strack-Zimmermann im Porträt, ein Stachelschwein, Strack-Zimmermanns Haare,
       ihr Kinn, ein Streichholz, eine Ukraine-Fahne, Strack-Zimmermann vor Mikros
       in einem Bus, vor Mikros woanders, als Kind, als junge Frau auf dem Mofa,
       als Erwachsene auf dem Motorrad. Im Auto. Auf einer Fähre. Aaaahhhhh…
       
       Die Sätze ihres äußeren inneren Monologs, der selbstkritisch daherkommen
       soll, kommen gegen die Reizüberflutung kaum an. Wer nicht schon beim
       zweiten Satz aus der Kurve geflogen ist, fliegt spätestens beim dritten.
       Aber Sprache braucht ja eh nur, wer sich mit Inhalten herumschlägt. Das
       Ende fühlt sich dann auch an wie das schmerzhafte Erwachen nach einer
       exzessiven Nacht, die eigentlich einmal sehr zuversichtlich begonnen hatte.
       (Volkan Ağar)
       
       ## Auch für Deutschland!
       
       Ein neues Produkt zur Stimmenanlage ist auf dem Markt: Da muss die
       Drücker:innenkolonne sich erst mal in die Arbeitskleidung, Kostüm
       und Anzug schmeißen und an der Tür klingeln: Schönen Guten Tag, wir kommen
       vom Bündnis Sahra Wagenknecht und sind seriös. Nicht minder
       praktisch-proper ist, dass als Wahlspot einfach der Wahlkampfauftakt
       zusammengeschnitten wird: ein halb leeres Auditorium, mit konzentriert
       mitschreibenden Journalist:innen (man wird ernst genommen) und anonymem
       Klatschen aus dem Hintergrund (man wird ersehnt).
       
       Gehen tut es bei dieser Europawahl nicht nur um Europa, sondern „auch um
       [6][Deutschland“, sagt Sahra Wagenknecht]. „Auch um Deutschland“ ist auf
       jeden Fall erlaubter als „Alles für Deutschland“. Wenn dann Spitzenkandidat
       Thomas Geisel die Bühne betritt und sagt, „Europa wurde gegründet als
       Friedensprojekt“, dann rechnet man auch nur ganz kurz mit dem Versprechen,
       dass [7][dieses Europa alles tun werde, um die von Putin überfallenen
       Menschen in der Ukraine zu beschützen] – aber um die geht es natürlich
       nicht, es geht Geisel um uns, um die „europäischen Interessen in der Welt“;
       die laut BSW-Programm insbesondere darin liegen, Menschen auf der Flucht
       vor den Verhältnissen an den EU-Außengrenzen oder gleich in Drittländern
       festzusetzen.
       
       Die eigentliche Frage beim Auftritt der Parteivorsitzenden Amira Mohamed
       Ali – Stichwort kaputte deutsche Infrastruktur – ist dann, ob die
       Fernbedienung funktioniert, um das Schaubild für „die große Frage“
       einzublenden: „Abstieg oder Aufbruch?“ Das ist geschickt gesetzt. Denn dass
       wir uns im Abstieg befinden, ist die gemütliche Phrase, die bei geselligen
       Zusammenkünften in Deutschland immer dann fällt, wenn es darum geht,
       tatsächliche Veränderung um jeden Preis zu verhindern. Zum Schluss
       versichert Sahra Wagenknecht, dass das [8][Bündnis Sahra Wagenknecht dafür
       einsteht, dass „in unserem Land endlich eine Alternative entsteht“] –
       endlich auch für Deutschland eben. (Ambros Waibel)
       
       25 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=kvf3DMjE8Tg
 (DIR) [2] /Kanzler-Olaf-Scholz-im-Gespraech/!6001250
 (DIR) [3] /SPD-Spitzenfrauen-fuer-den-Wahlkampf/!5959704
 (DIR) [4] /Tiefgefrorene-Ukrainedebatte/!5997400
 (DIR) [5] /Barbara-Salesch-ueber-ihr-TV-Comeback/!5876270
 (DIR) [6] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!6011240
 (DIR) [7] /Bundestagsdebatte-ueber-Ukraine-Krieg/!5989364
 (DIR) [8] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!5999036
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ann-Kathrin Leclere
 (DIR) Ambros Waibel
 (DIR) Volkan Ağar
 (DIR) Joscha Frahm
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Wahlwerbung
 (DIR) Olaf Scholz
 (DIR) Katarina Barley
 (DIR) Marie-Agnes Strack-Zimmermann
 (DIR) Sahra Wagenknecht
 (DIR) Öffentlich-Rechtliche
 (DIR) Olaf Scholz
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
 (DIR) Schwerpunkt Landtagswahl Sachsen 2024
 (DIR) Olaf Scholz
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2021
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ursula von der Leyen: Der Rat und die Präsidentin
       
       CDU-Politikerin Ursula von der Leyen steht am 9. Juni nicht zur Wahl.
       Trotzdem könnte sie Chefin der Europäischen Kommission bleiben.
       
 (DIR) Bündnis Sahra Wagenknecht: Ein Traum von gestern
       
       Im Eiltempo nickt das BSW in Sachsen sein Wahlprogramm und seine
       Kandidatenliste ab. Die neue Partei ist zackig organisiert – und
       ambitioniert.
       
 (DIR) Kanzler Olaf Scholz im Gespräch: „Wir werden noch lange Waffen liefern“
       
       Olaf Scholz rechnet nicht mit einem schnellen Ende des Angriffskriegs auf
       die Ukraine. Der Kanzler im Interview über die Bundeswehr, China und die
       Angst vor Putin
       
 (DIR) Parteiensprech im Wahlkampf: Machen, machen, machen
       
       Ein Tag im Leben eines Reporters, dem es gelingt, ein Angebot an die ganze
       Breite der Familie zu machen. Nahbar, mitnehmend und auf Augenhöhe.