# taz.de -- Doppeltes Spiel des Agrarverbandes: Bauernschlaue Lobbyisten
       
       > Der Bauernverband verspricht in der Zukunftskommission Naturschutz,
       > handelt aber dagegen. Umweltverbände fürchten jetzt Ähnliches auf
       > EU-Ebene.
       
 (IMG) Bild: Der Zwischenfruchtbau dient auch dazu, die Fruchtfolge zu verbessern. Symbolbild
       
       Der Deutsche Bauernverband hat mehrmals Zusagen für mehr Umweltschutz im
       wichtigsten Beratergremium der Bundesregierung zur Landwirtschaft
       gebrochen. Die Organisation unterschrieb in der Zukunftskommission
       Landwirtschaft (ZKL) wichtige Forderungen nach mehr Natur- und Tierschutz
       in der Branche. Dafür mäßigten Umweltschützer ihre Kritik an der
       Agrarlobby. Doch besonders seit den Bauernprotesten des vergangenen Winters
       verstößt der Verband gegen den Konsens des Expertengremiums und kämpft
       dafür, Umweltvorschriften zu kippen. Mit Erfolg.
       
       Das könnte eine Warnung für ein ähnliches Forum auf Ebene der Europäischen
       Union sein: den Strategischen Dialog, bei dem Umwelt- und Bauernverbände im
       Auftrag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis Juli eine
       Vision für die Zukunft der Landwirtschaft entwickeln sollen.
       
       Das Problem, zu dessen Lösung die ZKL beitragen sollte, ist riesig: Die
       Landwirtschaft ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer mehr
       Pflanzen- und Tierarten aussterben. Sie hat ungefähr die Hälfte der
       deutschen Landfläche unter Beschlag. Die Branche verursacht inklusive der
       Emissionen aus Böden und Maschinen laut Umweltbundesamt [1][13 Prozent der
       deutschen Treibhausgase]. Viele Tiere werden unter Bedingungen gehalten,
       die die meisten Deutschen [2][Umfragen] zufolge kritisieren.
       
       Deshalb forderte die ZKL aus 30 großen Verbänden der Landwirte, Händler,
       Hersteller, Verbraucher, Natur- und Tierschützern sowie führenden
       Wissenschaftlern in ihrem [3][Bericht] vom Juni 2021 zum Beispiel: Für die
       Artenvielfalt förderliche Landschaftselemente wie Hecken und Baumreihen und
       für Brachen „sollte ein Mindestflächenanteil von 10 % in der
       Offenlandschaft angestrebt werden“. Mit Offenlandschaft sind in Deutschland
       vor allem Äcker gemeint. Der Bauernverband stimmte zu. Und lobbyierte
       dagegen.
       
       ## Versprechen wurden gebrochen
       
       Die Organisation setzte sich sogar gegen die bereits beschlossene Regelung
       der EU ein, wonach ein Bauer mindestens 4 Prozent seiner Ackerfläche für
       die Natur reservieren sollte – wenn er denn Direktzahlungen, die
       wichtigsten Agrarsubventionen, erhalten will. Als das Europäische Parlament
       im April 2024 für die Streichung der Vorschrift votierte, zeigte sich der
       Bauernverband erfreut. Denn: Wenn Bauern auf einem Teil ihrer Äcker nichts
       produzieren dürfen, können sie Einnahmen verlieren. Damit fiel die
       wichtigste Naturschutzbedingung für die milliardenschweren
       EU-Landwirtschaftssubventionen.
       
       Das Lobbying des Bauernverbandes und seiner EU-Dachorganisation Copa-Cogeca
       war so erfolgreich, dass die Empfänger von Agrarsubventionen unter dem
       grünen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nun sogar weniger für die
       Umwelt tun müssen als unter seiner CDU-Vorgängerin Julia Klöckner. In der
       letzten Förderperiode mussten Landwirte nämlich sogar 5 Prozent ihrer
       Felder als [4][ökologische Vorrangflächen] nutzen.
       
       Indem die EU die Pflichtbrache streicht, geht sie genau in die
       entgegengesetzte Richtung der ZKL. Das Expertengremium wollte weg von
       Direktzahlungen, die nach der Größe der Agrarfläche eines Hofs berechnet
       werden – weitgehend egal, wie umweltfreundlich er darauf wirtschaftet.
       Stattdessen sollten die Subventionen künftig „konkrete Leistungen“ wie eine
       besonders umweltschonende Landwirtschaft honorieren.
       
       Der Generalsekretär des Bauernverbands, Bernhard Krüsken, mag auf
       taz-Anfrage aber keinen Widerspruch zwischen den ZKL-Beschlüssen und seiner
       Politik erkennen. „Die 10 % – Empfehlung war bezogen auf die gesamte
       Agrarlandschaft, nicht auf die bewirtschaftete Fläche“, schreibt er.
       
       ## Die Doppelzügigkeit hält an
       
       „Das klingt für mich nach einer Ausrede“, sagt Professor Sebastian Lakner,
       Agrarökonom an der Universität Rostock. „Tatsächlich wird fast die gesamte
       Agrarlandschaft genutzt, und dort haben Brachen und Landschaftselemente nur
       einen Anteil von knapp 3 Prozent.“ Deshalb sei die verpflichtende Brache
       sinnvoll, um das 10-Prozent-Ziel der ZKL zu erreichen.
       
       Es ist nicht das einzige gebrochene Versprechen. Der ZKL-Bericht empfahl,
       weniger tierische Lebensmittel zu produzieren, weil sie dem Klima schaden.
       Doch Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied sprach sich später klar
       dagegen aus, die Viehzahlen zu senken. Auch das will die Organisation nicht
       als widersprüchlich verstanden wissen. Die ZKL habe gar nicht geraten, „die
       Tierbestände vorab und pauschal zu reduzieren“, behauptet Krüsken. Im
       Bericht der Kommission steht aber: Wegen der Klimafolgen der Tierhaltung
       „ist es zur Verringerung des Methanausstoßes notwendig, dass der Konsum und
       damit einhergehend die Produktion tierischer Lebensmittel zurückgehen.“
       
       Für solche Wortbrüche des Bauernverbands gab es bereits 2021 ein Indiz:
       Fast nie nahm an den ZKL-Sitzungen Verbandspräsident Rukwied teil – obwohl
       er offiziell Mitglied war, und alle anderen wichtigen Organisationen ihre
       Chefs schickten. Rukwied dagegen ließ sich meist von einem seiner Vizes,
       Werner Schwarz, vertreten. Seit Juni 2022 ist Schwarz
       Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein – und spielt keine Rolle mehr
       im Bauernverband. Jetzt schickt Rukwied fast immer einen anderen
       Stellvertreter zur ZKL.
       
       So hält die Doppelzüngigkeit der Agrarlobby in der ZKL und im echten Leben
       an. Besonders deutlich zeigte sich das im April, als die ZKL empfahl, mehr
       Tierschutz mithilfe einer höheren Mehrwertsteuer auf Fleisch zu
       finanzieren. Wenn die Verbraucher Tierwohlprämien für Bauern mitbezahlen
       müssten, sollte dies über „die Anhebung des bisher reduzierten
       Mehrwertsteuersatzes auf tierische Produkte“ geschehen, heißt es im
       entsprechenden Papier, dem auch der Bauernverband zugestimmt hatte. Die
       Kommission begrüßte ausdrücklich, dass sich die Ampelkoalition Mitte Mai
       2023 auf eine Tierwohlabgabe für Fleisch geeinigt habe.
       
       ## Der große Aufschrei bleibt aus
       
       Doch Rukwied erklärte kurz nach Bekanntwerden des Papiers: „Eine
       Mehrwertsteuererhöhung auf den Regelsatz oder einen Tierwohlcent lehnen wir
       ab. Das Geld für den Tierwohlumbau muss aus dem Bundeshaushalt kommen.“
       Dabei dürfte allen klar sein, dass der Bund angesichts der Haushaltslage
       und der Schuldenbremse auf absehbare Zeit nicht genügend zusätzliches Geld
       für die Tierhaltung stellen wird.
       
       „Der Bauernverband spielt ein doppeltes Spiel“, sagt Martin Kaiser,
       Geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, der 2021 unter
       Protest aus der ZKL ausgetreten ist. Denn Kaiser störte, dass die damalige
       Landwirtschaftsministerin Klöckner mit Rukwied, aber nicht mit der
       Kommission die Reform der EU-Agrarsubventionen besprach. „Was 2021 zu
       Papier gebracht wurde und was die Spitze des Deutschen Bauernverbands heute
       fordert, passt überhaupt nicht zusammen“, so der Greenpeace-Chef.
       
       Die Umweltorganisationen, die bis heute in der ZKL mitarbeiten, hätten ihre
       Kritik am Bauernverband und der Agrarlobby abgemildert, kritisiert Kaiser.
       „Diese Verbände priorisieren das Bestreben, da im Dialog zu bleiben. Wir
       würden uns auch manchmal klare Kante wünschen in den öffentlichen
       Debatten.“ Es habe weder von den Verbänden noch von Greenpeace einen
       „Riesenaufschrei“ gegeben, als die EU und die Mitgliedstaaten die
       Pflichtbrache strichen. Größeren Protest hätte Kaiser auch erwartet, als
       die Ampelkoalition die Subvention von fossilem Kraftstoff für Traktoren
       kippen wollte. „Wir waren beinahe die Einzigen, die prominent sagten: Ja,
       natürlich ist es grundsätzlich richtig, klimaschädliche Subventionen
       abzubauen.“
       
       Dass die ZKL die Aktivisten gemäßigt habe, [5][räumte Jörg-Andreas Krüger,
       der Chef von Deutschlands größtem Umweltverband, dem Naturschutzbund
       (Nabu), im März in der taz ein]. Ein Ex-Mitarbeiter einer beteiligten
       Umweltorganisation sagte der taz nun: „Wir durften den Bauernverband nicht
       mehr kritisieren, nachdem die ZKL ihre Arbeit aufgenommen hatte.“ Es galt,
       einen „übergeordneten Frieden“ zu wahren, weil die Führung die Hoffnung
       hatte, dem Bauernverband echte Zugeständnisse abzuringen.
       
       ## Zweite Auflage in Brüssel?
       
       Auch heute noch gibt es Unzufriedenheit in der Zukunftskommission
       Landwirtschaft. „Die Kommission ist eine gezielte Strategie, um die
       Umweltverbände zu binden“, erfuhr die taz aus Kreisen der aktuellen
       Kommission. Die Umweltschützer würden hunderte Stunden für Ergebnisse
       verwenden, die sowieso nicht umgesetzt würden. „Aber der Bauernverband kann
       sagen: Wir sprechen ja miteinander, und deshalb demonstriert jetzt mal
       bitte nicht. Die Kommission hält den Wut der Umweltseite auf der
       Führungsebene im Zaum.“ Spätestens nach der Aufweichung der
       Umweltbedingungen für die Agrarsubventionen sei aber „massiver öffentlicher
       Protest“ nötig.
       
       Stattdessen beteiligen sich große Umweltorganisationen jetzt auch noch an
       einer Arbeitsgruppe auf EU-Ebene nach dem Vorbild der deutschen ZKL: am
       „Strategischen Dialog zur Zukunft der EU-Landwirtschaft“, den Ursula von
       der Leyen im Januar eröffnet hat. Sie wird von dem fachfremden
       Germanistik-Professor Peter Strohschneider geleitet, der bis Anfang des
       Jahres die ZKL moderiert hatte. Neben Bauern- und Industrieverbänden sind
       dort auch Umweltorganisationen wie BirdLife Europe oder Europäisches
       Umweltbüro vertreten.
       
       Hannes Lorenzen, Vorsitzender der Gruppe Arc2020, die sich für eine Reform
       der EU-Agrarpolitik einsetzt, glaubt, dass das Forum einen echten Austausch
       nur vorspielen solle. „Ich habe allen Nichtregierungsorganisationen
       gesagt: Geht nicht dorthin. Die Bauernverbände werden sich nicht einen
       Millimeter bewegen.“ Der Dialog solle nur legitimieren, dass die
       Europäische Union die Umweltstandards in der Agrarpolitik abbaut.
       
       BirdLife Europe und das Europäische Umweltbüro ließen Bitten der taz um
       Stellungnahme bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
       
       Dieser Artikel ist im Rahmen eines internationalen Rechercheprojekts über
       EU-Bauernverbände entstanden, das von der Investigativredaktion Lighthouse
       Reports initiiert worden ist.
       
       26 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.umweltbundesamt.de/themen/landwirtschaft/landwirtschaft-umweltfreundlich-gestalten/klimaschutz-in-der-landwirtschaft#weitere-emissionen-der-landwirtschaft
 (DIR) [2] https://www.beuc.eu/sites/default/files/publications/BEUC-X-2024-016_Farm_animal_welfare_what_consumers_want_survey.pdf
 (DIR) [3] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/abschlussbericht-zukunftskommission-landwirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=16
 (DIR) [4] https://www.agrarheute.com/pflanze/oekologische-vorrangflaechen-regeln-ueberblick-519372
 (DIR) [5] /Nabu-Chef-ueber-EU-Agrarpolitik/!5999780
       
       ## AUTOREN
       
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