# taz.de -- EM-Highlight Türkei gegen Georgien: Fußball im Vollrausch
       
       > Die Türkei und der EM-Debütant Georgien lieferten sich eine atemlos
       > schöne Partie. Im Sturm von Schallwellen der Fans gewannen die Türken.
       
 (IMG) Bild: Der 19-jährige Arda Güler feiert nach dem türkischen Sieg im EM-Spiel gegen Georgien
       
       DORTMUND taz | Großartiges, Unvergessliches hatten sich die Fans beider
       Manschaften schon auf dem Weg zum Dortmunder Stadion gegenseitig
       prophezeit. „Kennst du Arda Güler? Wenn nicht, wirst du ihn heute
       kennenlernen“, sagte mit wissendem Lächeln ein in Türkeifahne gewandeter
       Mann. Sein Ansprechpartner zeigte sich schulterzuckend angstlos und
       konterte mit Georgiens großem Stolz, Khvicha Kvaratshkhelia vom SSC Neapel,
       der bestimmt zeigen würde, weshalb er so ein besonderer Spieler wäre. Und
       es gäbe da noch einige mehr.
       
       Als außenstehender, der Nüchternheit verpflichteter Beobachter hätte man
       einwerfen mögen, dass lediglich eine Partie zwischen zwei mittelmäßigen
       Mannschaften anstünde, die auf der [1][Fifa-Weltrangliste] Platz 40
       (Türkei) und Platz 75 (Georgien) einnehmen. Doch das Spiel war so
       hinreißend dramatisch und schön, genau der Vollrausch, den sich beide
       Fanlager zuvor erträumt hatten, auch wenn es am Ende mit Georgien einen
       Verlierer gab.
       
       Äußerst versonnen blickte deren Trainer Willy Sagnol nach der Partie drein.
       „Ich bin sehr stolz, Teil dieses schönen Moments zu sein“, erklärte er nach
       der durchaus gelungenen EM-Premiere Georgiens. Er wolle nicht behaupten,
       ein glücklicher Verlierer zu sein, aber genau so sah der Franzose aus.
       Natürlich nicht minder glücklich wirkte auf der anderen Seite der
       italienische Kollege Vincenzo Montella, der das türkische Team betreut.
       „Ein tolles Match“ sei es gewesen. „Das schönste Geschenk, das man mir
       machen konnte.“
       
       Über alle Maßen beschenkt fühlten sich auch die schätzungsweise 50.000
       Anhänger des türkischen Teams, die aus ganz Europa zu diesem Spiel
       angereist waren. Vor der Partie versammelten sich jeweils die
       unterschiedlichsten Communitys vor den Stadiontoren. Aus Paris, Rotterdam,
       Istanbul und Solingen etwa waren sie angereist. Die Besucher aus Rotterdam
       erzählten, dass sie über ein inoffizielles Ticketportal 300 Euro pro Karte
       bezahlt und notfalls noch viel mehr ausgegeben hätten. Es sei eine
       einmalige Gelegenheit. So viele türkische Fans bei einem so großen Turnier
       in einem Stadion, das hätte es noch nie geben.
       
       ## Auf die Ohren!
       
       Sie erzeugten dann einen derartigen Sturm von Schallwellen, dass sich die
       Frage aufdrängte, ob es diese einzigartige Atmosphäre war, die eine derart
       atemlose Partie ermöglichte. Ob die Akteure auf dem Feld gar nicht anders
       konnten, als die Schwingungen auf ihr Spiel zu übertragen. „Es ist nicht
       genug zu sagen, dass die Unterstützung großartig war, es war mehr als das“,
       lobte der 19-jährige Arda Güler, der bei seiner Auswechslung vom Publikum
       nicht nur für seine fantastische Schusstechnik und den wunderschönen
       zweiten Treffer in der 65. Minute gefeiert wurde.
       
       Mit seiner Ballsicherheit schaffte es der erst 19-Jährige, noch etwas
       schmächtig wirkende Mittelfeldspieler von Real Madrid in der ersten Hälfte
       gar auf eine statistische Passgenauigkeit von hundert Prozent und könnte
       eine der großen Entdeckungen dieses Turniers werden. In dem Alter hatte
       bislang noch kein Spieler bei einer Europameisterschaft getroffen.
       
       Solche Statistiken würden ihn nicht sonderlich interessieren, behauptete
       Güler später. Die vielen Glückwünsche auf seinem Handy habe er nur selektiv
       gescannt. „Ich habe das gelesen, was Ancelotti mir geschrieben hat.
       Ancelotti unterstützt mich sehr.“ Carlos Ancelotti, mit Real Madrid
       [2][derzeit erfolgreichster Trainer Europas], hat Güler bereits eine
       besondere Zukunft vorausgesagt. Er müsse nur körperlich noch ein wenig
       zulegen.
       
       Für diesen denkwürdigen Abend sorgten aber weitere 30 Fußballer, die nur
       eines im Sinn zu haben schienen: Nur keine Zeit mit taktischen Sperenzien
       verlieren, so schnell wie möglich den Gegner in Verlegenheit bringen.
       [3][Unglaubliche 37 Abschlüsse notierte die Uefa], zweimal wackelte der
       Pfosten, einmal die Latte. Und die Tore waren abgesehen vom letzten Schuss
       von Kerem Aktürkoglu aufs leere Tor in der Nachspielzeit zum 3:1 von
       ausnehmender Schönheit.
       
       ## Mit Liebe
       
       Einen ersten Ausbruch der Ekstase erzeugte Mert Müldür, als er mit großer
       Liebe zum Risiko den Ball per Volleyschuss zur ersten Führung der Türkei in
       die Maschen donnerte. Im Himmel wähnten sich wohl etliche, als Kenan Yildiz
       zum vermeintlichen 2:0 traf. Die Abseitsentscheidung per Videobeweis
       leitete indes einen kurzen jähen Absturz ein. In dieser Phase, bemängelte
       Trainer Vincenzo Montella, habe man „etwas nachgelassen“. Es blieben die
       einzigen Minuten, in denen dem türkischen Team dieser Vorwurf gemacht
       werden konnte.
       
       Georgien, deren Ballbesitzphasen von den türkischen Fans mit schrillen
       Pfiffen markiert wurden, blieb erstaunlich unbeirrt und kombinierte sich
       wunderschön zum Ausgleich durch Georges Mikautadze (32.). Die Partie wogte
       hin und her. Und auch nach dem bereits erwähnten Kunstschuss von Güler
       sollte dies so bleiben. Die EM-Neulinge aus Georgien hatten in den
       Schlussminuten den Ausgleich mehrmals auf dem Fuß.
       
       So konnten am Ende eben beide Trainer fast nichts finden, was zu bemäkeln
       gewesen wäre. Montella ordnete die Leistung gleich historisch ein. „Es war
       das Auftaktspiel. In unserer Geschichte ist es uns noch nicht gelungen,
       Auftaktspiele zu gewinnen.“ Und er vergaß auch nicht, daran zu erinnern,
       dass man bei der letzten EM nicht einen Punkt erzielt hatte. Ein derartiges
       Spiel hatte in der Türkei gewiss niemand erwartet, einen Sieg gegen
       Georgien wurde vorab für eine größere Selbstverständlichkeit gehalten, als
       er es in der Realität dann war.
       
       Insofern hat Montella bei dieser EM auch gegen nicht ganz bescheidene
       Erwartungshaltung in seinem Arbeitgeberland zu kämpfen. Auf die Frage,
       welche Träume für das türkische Nationalteam bei dieser EM nun möglich
       seien, antwortete er: „Mein Traum ist es jetzt, das nächste Spiel zu
       gewinnen und uns für die nächste Runde zu qualifizieren. Und dann werden
       weitere Träume kommen.“ Zuerst einmal werde man sich über dieses Spiel
       freuen. Ein Moment des Innehaltens und Genießens, das haben sich alle
       Beteiligten dieser Partie nun wirklich verdient.
       
       19 Jun 2024
       
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