# taz.de -- Migrationspolitik in der EU: Tödliche Außengrenze
       
       > Neue Berichte machen Grenzschützer für den Tod von Migranten
       > mitverantwortlich. Dieses Jahr sind bereits 1.018 Menschen im Mittelmeer
       > gestorben.
       
 (IMG) Bild: Viele Tote und Vermisste Migrant:innen: Ein halbgesunkenes Segelboot südlich von Italien am 17. Juni
       
       BERLIN taz | Während am Weltflüchtlingstag deutsche Innenminister und
       Ministerpräsidenten über weitere Asylrechtsverschärfungen diskutieren, gibt
       es neue Berichte über Tod und Gewalt an den EU-Außengrenzen. Am Montag
       [1][schrieb die BBC], dass griechische Grenzschützer von 2020 bis 2023 den
       Tod durch Ertrinken von mindestens 43 Menschen verursacht haben sollen.
       Neun von ihnen seien demnach gefesselt ins Wasser geworfen worden.
       
       Ebenfalls am Montag meldete die [2][NGO Alarm Phone], dass 120 Seemeilen
       südlich von Italien ein Boot mit etwa 70 Menschen an Bord kenterte. Nur 12
       Menschen konnten gerettet werden. Bei einem weiteren Unglück, ebenfalls am
       Montag, wurden zehn Leichen in dem mit Wasser vollgelaufenen Unterdeck
       eines Holzbootes vor Lampedusa gefunden. „Es ist eine Qual“, kommentierte
       Filippo Mannino, der Bürgermeister von Lampedusa. 95 Tote im Mittelmeer
       zählt die [3][UN-Migrationsorganisation IOM] im Mittelmeer in der ersten
       Junihälfte, 1.018 in diesem Jahr.
       
       Derweil präsentierte die NGO Border Forensics [4][einen Bericht] über einen
       mittlerweile zwei Jahre zurückliegenden Vorfall, der als „Massaker von
       Melilla“ bekannt geworden war. Am 24. Juni 2022 hatten rund 2.000
       überwiegend aus dem Südsudan stammende Menschen versucht, die Grenzanlagen
       der spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Mindestens 27 Menschen
       starben dabei, es war die bis heute höchste Zahl von Toten an einem
       einzigen Tag an einer EU-Landgrenze. Zudem werden seither rund 70 Menschen
       vermisst, insgesamt dürfte die Zahl der Getöteten höher liegen.
       
       Der Bericht zeigt nun: „Die meisten Todesfälle ereigneten sich zwar unter
       der Kontrolle marokkanischer Grenzschützer, aber auf spanischem Gebiet“,
       schreiben die Autor:innen des Berichts. Bisher war davon ausgegangen
       worden, dass die Menschen auf der marokkanischen Seite zu Tode kamen.
       
       Videoaufnahmen von dem Tag zeigen, wie marokkanische Soldaten Steine auf
       Flüchtlinge werfen, die die Zäune zu überklettern versuchen. Die Migranten
       wurden „festgesetzt und unter den Schlägen der Knüppel in ein von den
       Behörden abgesperrtes, kaum 200 Quadratmeter großes Areal geschleppt“,
       heißt es in einem Bericht der marokkanischen Menschenrechtsliga AMDH.
       Videoaufnahmen zeigen auch dies. Dort wurden die Verletzten auf dem Boden
       übereinandergelegt, weiterhin mit Schlagstöcken geschlagen und getreten.
       
       Verweigerung medizinischer Versorgung 
       
       Die [5][NGO Caminando Fronteras] hatte Zeugenaussagen der Betroffenen
       gesammelt und geht von diversen Ursachen für die Verletzungen aus, die
       teils tödlich endeten: Atemnot durch exzessiven Einsatz von Tränengas im
       Innern der Grenzanlage, Herabstürzen, Totgetrampeltwerden, Schläge mit
       einfachen und mit elektrischen Schlagstöcken, scharfe Munition, verweigerte
       Hilfe sowie Abtransport Verwundeter ohne medizinische Versorgung.
       
       In der Folge des 24. Juni wurden 65 Migranten strafrechtlich verfolgt.
       Mindestens 11 von ihnen wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Ermittlungen
       der spanischen Staatsanwaltschaft wurden 2022 eingestellt. Der Report wurde
       unter anderem von Pro Asyl, der Robert Bosch Stiftung, medico und der
       Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert. Es handele sich um „eines der
       schwersten Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte an den europäischen
       Grenzen“, sagte Kerem Schamberger von medico international. „Die
       Verantwortlichen für den staatlichen Gewaltexzess müssen endlich auf beiden
       Seiten der Grenze zur Rechenschaft gezogen werden. Die Straflosigkeit muss
       ein Ende haben“, so Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl.
       
       19 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bbc.com/news/articles/c0vv717yvpeo
 (DIR) [2] https://alarmphone.org/en/
 (DIR) [3] https://www.migrationdataportal.org/institute/international-organization-migration-iom
 (DIR) [4] https://www.borderforensics.org/investigations/nadormelilla/
 (DIR) [5] https://caminandofronteras.org/en/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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