# taz.de -- Rechte Jugend in Ostdeutschland: An der Grenze
       
       > Nirgendwo erhielt die AfD so viele Stimmen wie im Landkreis Görlitz.
       > Viele junge Menschen wählten hier rechts. Wie geht es denen, die sich
       > dagegenstemmen?
       
 (IMG) Bild: Ein umkämpfter Ort in Sachsen: das Rathaus in Zittau, Landkreis Görlitz
       
       ZITTAU/GÖRLITZ taz | Noch ist es ruhig rund um das Zittauer Rathaus. Der
       Neorenaissancebau wirft lange Schatten in der Nachmittagssonne, ein paar
       wenige Passant:innen sind unterwegs, zu hören ist das Klackern von Ösen
       gegen die Fahnenmaste. Sechs Flaggen hängen insgesamt vor dem Torbogen des
       Rathauses: EU, Bundesland Sachsen, Landkreis Görlitz auf der einen Seite,
       Tschechien, Polen und Deutschland auf der anderen Seite. Die
       25.000-Einwohner-Stadt liegt im Dreiländereck, Europa ist hier fußläufig.
       
       Auf dem warmen Kopfsteinpflaster des Marktplatzes hocken Alena, Lothar und
       Johanna. Sie warten darauf, dass noch eine siebte Flagge dazu kommt. Um 18
       Uhr an diesem Montag soll Oberbürgermeister Thomas Zenker zum Kick-off des
       diesjährigen Christopher Street Days am wichtigsten Gebäude der Stadt die
       Pride-Flagge hissen. Die Stimmung ist trotzdem so mittel. Es ist der Tag
       nach den Wahlen. Wahlkater.
       
       „Man fühlt sich irgendwie unnötig“, sagt Alena. „Fast als wäre die eigene
       Stimme wertlos.“ Die AfD bekam im Landkreis Görlitz, in dem auch Zittau
       liegt, [1][bei Kommunal- und Europawahl] so viele Stimmen wie sonst
       nirgendwo in Deutschland. Alena und Lothar sind 17, Johanna ist 16. Alle
       drei haben das erste Mal gewählt. Geschockt seien sie nicht, bedrückt
       treffe es eher.
       
       Und aktuell vermissten sie die Schule ein bisschen, denn dort könnten sie
       so was immer gut und offen besprechen. Gerade sind sie im Praktikum: zwei
       im Gastrobereich, eine beim Tierarzt. „Und da ist natürlich völlig klar,
       dass viele Kollegen die AfD gewählt haben, und mit denen will man es sich
       nicht verscherzen“, sagt Johanna. „Ich mag die ja auch alle.“
       
       Wenn nicht gerade Praktikum ist, gehen die drei zusammen auf die Schkola,
       eine Schule mit alternativem Lernkonzept: flache Hierarchien, weltoffene
       Ausrichtung. Rechtsextreme Mitschüler seien da kein Thema. Bei einer
       Mädchengruppe, die in der Zwischenzeit dazugestoßen ist, sieht das anders
       aus. Sie sind nicht im Praktikum und mussten am Vormittag im
       Deutschunterricht mit einem ihrer Klassenkameraden rumdiskutieren.
       
       „Unsere Lehrerin hatte gefragt, ob wir Mitteilungsbedarf hätten, und der
       Typ meinte dann, dass ihm die queere Szene extrem auf den Keks geht und
       heterosexuelle Menschen in ihrer Daseinsberechtigung eingeschränkt werden.
       Und dass man endlich die Grenzen zu Polen und Tschechien zumauern muss.“ Es
       sei nur dieser eine Schüler gewesen, aber auch wegen Leuten wie ihm seien
       sie heute hier.
       
       ## Kooperation zwischen Linken und AfD
       
       Als sich dann um 18 Uhr zwei junge CSD-Organisator:innen auf eine Bank vor
       dem Rathaus stellen und an die Dutzenden Zuhörer:innen appellieren,
       hier und heute den Mut nicht zu verlieren, beginnt zeitgleich auf der
       anderen Seite des Rathauses ein Hupkonzert. Niemand hebt auch nur die
       Augenbraue, es ist schließlich Montag. Seit Jahren schon versammeln sich
       auf der Rückseite Hunderte Rechte und hetzen gegen die Regierung,
       Einwanderer, das System. Wie an so vielen anderen Orten in Sachsen, hat
       sich auch hier der ehemalige Protest gegen die Coronamaßnahmen
       radikalisiert.
       
       Eine Besonderheit in Zittau ist, dass die demokratische Zivilgesellschaft
       ähnlich routiniert dagegen hält. Heute inklusive dem Oberbürgermeister, der
       bei seiner CSD-Ansprache mahnt, sich bloß nicht einreden zu lassen, an der
       Wahl sei irgendwas faul gewesen, oder dass jemand, der mit demokratischen
       Mitteln gewählt wurde, per se ein Demokrat sei. Zenker predigt zu den
       Bekehrten, man bekommt das Gefühl, seine Rede wäre auf der anderen Seite
       des Rathauses besser aufgehoben.
       
       Trotzdem ist der Jubel euphorisch, die Wählergemeinschaft „Zittau kann
       mehr“ (Zkm), der Zenker vorsteht, hat viel Rückhalt in der Stadt. Obwohl
       die AfD rund 8 Prozentpunkte dazugewann, hat Zkm mit Plakaten wie „Zittau
       kann mehr … Menschen vertragen“ oder „Zittau kann mehr … als schlechte
       Laune“ kaum an Stimmen eingebüßt.
       
       Unaufgeregt wirkt Zenker Stunden vor dem CSD-Kick-off in seinem Büro im
       Rathaus. Wenn auch etwas desorientiert. Denn seit gestern spät in der Nacht
       sei er damit beschäftigt, herauszufinden, „wie die Lage drumherum so ist“.
       Mit den Nachbargemeinden hat man gemeinsame Zweckverbände für das
       Gewerbegebiet, für das Abwasser, bildet eine touristische
       Gebietsgemeinschaft und, und, und.
       
       „Da ist extrem wichtig zu wissen, wie stabil die Kolleginnen und Kollegen
       aufgestellt sind. Können die noch sichere Entscheidungen treffen, oder wird
       alles, was sie tun, demnächst im Stadtrat hinterfragt?“ Blockadesituationen
       hat er in seinen neun Jahren im Amt selbst genug erlebt, insbesondere als
       sich eine Zeitlang AfD und Teile der Linken zusammentaten. Eine „ziemlich
       merkwürdige Situation“, für die er sich mehr mediale Aufmerksamkeit
       gewünscht hätte.
       
       ## 75% der Schule stimmen für die AfD
       
       Zu viel Aufmerksamkeit hingegen habe bekommen, was sich im April 2023
       während einer Stadtratssitzung abspielte. Damals hatten Flüchtlingsgegner
       den Ratssaal gestürmt, um gegen eine geplante Asylunterkunft zu
       protestieren. Zenker stellte sich ihnen damals stoisch entgegen und hat den
       Vorfall längst abgehakt. Trotzdem sei das, was sich Montag für Montag auf
       der Rückseite des Rathauses abspiele, „nicht als Alltag auszuhalten“.
       Spätestens zur Mittagszeit werde es an diesen Tagen ruhiger im Gebäude, die
       Kolleg:innen wechseln ins Homeoffice.
       
       Hannah und Nadja, 13 und 16 Jahre alt, finden an den rechten Aufmärschen so
       gar nichts bedrohlich. Sie stehen dicht nebeneinander in der hintersten
       Reihe und applaudieren etwas zeitverzögert, während auf der Bühne ein
       Mitglied [2][der Partei „Die Basis“] seine Pläne für eine „neue
       Demokratieform“ darlegt, „bei der alle mitspielen dürfen“. Immer wenn sie
       montags Zeit haben, kommen die zwei Mädchen aus einer der umliegenden
       Ortschaften mit dem Mofa her. Sie können sich im Wahlergebnis sehr gut
       wiederfinden, bei der U-18-Wahl in ihrer Schule hätten 75 Prozent für die
       AfD gestimmt.
       
       Genervt sind sie beide von den Lehrern, die dann immer so enttäuscht täten
       und versuchten, die Schüler zu lenken. „Ich bin nicht unzufrieden mit
       Zittau generell, aber mit den ganzen Ausländern“, sagt Nadja, die, wie
       Hannah auch, eigentlich anders heißt. Letztens sei sie im Club angegrabscht
       worden, zum Glück seien ihr ein paar Jungs zur Hilfe gekommen. „Ich glaube
       einfach, dass viele Menschen Angst vor dieser Asylflut haben, wir haben zu
       viele Ausländer reingelassen.“
       
       Am nächsten Tag in der nächstgrößeren Stadt Görlitz. Am Bahnhof stoßen sich
       zwei Jungs um die 14 gegenseitig mit den Ellbogen in die Rippen, während
       sie gemeinsam in Richtung Ausgang gehen. Das bunte Werbeplakat zum Pride
       Month ist noch gar nicht in Sichtweite, da ziehen sie schon die Rotze hoch.
       Kurz davor bleiben sie stehen, spucken gegen die Aufschrift „Farbe zeigen“
       und laufen weiter zur Tram.
       
       ## „Das sind alles Trendnazis“
       
       Ein paar hundert Meter weiter auf dem Wilhelmsplatz stehen Elias, 19,
       Michael, 18, Henning, 18, und Theo, 18, zusammen. Nichts liegt ihnen
       ferner, als auf Regenbogenplakate zu spucken. 37,2 Prozent bekam die
       [3][AfD im Stadtrat]. Die ganzen jungen Leute, die für die Rechten gestimmt
       hätten, „das sind alles Trendnazis“, glauben sie. „Die labern das von
       Tiktok nach, da ist so viel Schmutz unterwegs.“ Ein Freund von Elias sei
       sein Leben lang genauso links gewesen wie er, dann habe er aufgehört zu
       kiffen und gesagt, er sei jetzt Nazi. „Seine Mutter war immer linker als
       er. Er ist das perfekte Beispiel eines Trendnazis.“
       
       Sie alle wollen ihre Zwanziger zwar dringend woanders verbringen, fühlen
       sich aber noch halbwegs wohl in Görlitz. „Wir sind ja aber auch nicht die,
       die Probleme bekommen würden“, sagt Henning. Seine Freundin habe asiatische
       Wurzeln „und da überlegen wir uns schon, ob wir nicht zu ihrem Schutz und
       zum Schutz unserer zukünftigen Kinder in den Westen ziehen wollen.“
       
       Das mit den Trendnazis sieht Dorothea Schneider etwas anders. Die
       39-Jährige ist Vorsitzende des Vereins „Augen auf“. Sie engagiert sich seit
       ihrer Jugend gegen den Rechtsextremismus in der Region. Egal welcher der
       vielen Proteste gegen rechts, die im Landkreis wöchentlich so stattfinden,
       Schneider ist schon da und managt die Lage. Vergangenen Winter baten einige
       Schüler:innen sie, ihnen dabei zu helfen, montags wieder Gegenproteste
       vor dem Rathaus in Zittau auf die Beine zu stellen. Schneider organisierte,
       vernetzte, beriet und ermutigt die Jugendlichen seitdem, immer wieder
       selbst ans Mikro zu treten.
       
       Sie beobachtet, wie ihre jungen Mitstreiter:innen immer selbstbewusster
       würden, dass der gemeinsame Kampf zu einer Art „Rettungsanker“ geworden
       sei. Das Wahlergebnis hat sie kommen sehen, auch den [4][Rechtsruck] unter
       den Jüngeren. Dass das nur ein Trend sei, glaubt sie nicht. „Man muss schon
       generell sehr offen rechten Positionen gegenüber sein.“
       
       Einfluss habe natürlich, welches Weltbild im Elternhaus vorherrsche, in der
       Kita, in der Schule und dann beobachte sie auch, dass gerade junge Mädchen
       sehr auf das Gehabe rechter Typen abfahren würden, den Style, das toxisch
       Männliche.
       
       ## Immer mehr Menschen melden Demos an
       
       Besonders wichtig sei aber sicherlich die Selbstwirksamkeit, „dass die in
       ihren Gruppen merken, sie sind stark, sie sind präsent, sie sind
       einschüchternd.“ Und deswegen ist ihr Selbstwirksamkeit auch so wichtig für
       die Jugendlichen, die seit Monaten unermüdlich immer montags auf der
       demokratischen Seite des Rathauses stehen.
       
       Schneider hat sie einfach machen lassen und wurde dann dafür kritisiert,
       dass Antifa-Fahnen wehten. Das könnte ja die Leute verschrecken. „Und ich
       denke mir, die Jugendlichen werden hier durch die Stadt gejagt, die haben
       keinen Jugendclub mehr, in den sie ohne Weiteres gehen können, die treffen
       sich privat und werden noch verfolgt.“
       
       Mittlerweile sei ihr der Protest fast zu bürgerlich geworden, sie würde
       sich wünschen, die jungen Leute würden mal wieder mehr „Alerta!“ rufen –
       „weil ich genau weiß, was dieser Moment denen gibt“.
       
       Schneider, die mit 16 von Dresden nach Zittau kam und damals völlig
       überfordert gewesen ist mit der Gewalt, die ihr hier entgegenschlug, ist
       dankbar, dass es Initiativen wie „Augen auf“ gab. Jetzt ist sie dabei, die
       Menschen nach der Wahl wieder ein bisschen aufzubauen. „Besonders die
       Jüngeren sind frustriert und denken, dass all der Protest vermeintlich
       nichts gebracht hat.“
       
       Doch es mache sie zuversichtlich, wenn immer mehr Menschen ihr aktuell
       berichten, eine Demo angemeldet zu haben. Wenn sie in der Öffentlichkeit
       bepöbelt und bedroht wird, wenn sie Hasspostings gegen sich liest, sind das
       für sie Erfolgsindikatoren. Es bedeutet, dass das Engagement für Demokratie
       die Leute immer noch triggert.
       
       15 Jun 2024
       
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