# taz.de -- Die Wahrheit: Blutende Ohren, gebrochene Nacken
       
       > Passend zu den Defätismus heraufbeschwörenden letzten Wahlergebnissen
       > kehrt im Metal der katastrophistische Zeitgeist der Achtziger zurück.
       
       In den frühen Achtzigern waren Heavy-Metal-Konzerte zunächst und vor allem
       physische Angelegenheiten. „Mit gebrochenem Nacken, aus beiden Ohren
       blutend, fuhren wir nach Haus, und es dauerte noch eine Woche, bis das hohe
       Pfeifen verschwunden war.“ So ähnlich las man es dann in den Szene-Mags,
       wenn der marodierende Metal-Trupp mal wieder richtig hingelangt hatte.
       
       Als Riot City und Night Demon in der Hildesheimer Kulturfabrik Löseke mit
       uns fertig waren und wir wieder im Auto saßen, um uns über die erwartbaren,
       aber dann doch trübsten Defätismus heraufbeschwörenden Wahlergebnisse des
       Sonntags auszuschweigen, wähnte man sich wieder in den Achtzigern. Der
       katastrophistische Zeitgeist war zurück und passend dazu hatten einem die
       beiden Trve-Metal-Truppen eine Perforierung ins Trommelfell gemörsert, die
       schon nicht mehr schön war. Nämlich unschön.
       
       Riot City hatten verschlafen und kamen erst fünf Minuten vor Konzertbeginn
       mit ihrer Wanne vorgefahren. Quietschende Reifen, Laufschritt, Instrumente
       auf die Bühne, Bonsai-Soundcheck. Paffpaffpaff. „Haut rein, Jungs!“ Und das
       taten sie auch.
       
       Es klang zunächst nach Mülltonne, aber beim zweiten Song war dann alles
       eingeregelt, und die Kanadier verwandelten sich in die
       Old-School-Speed-Truppe, die sie nun mal sind. Nur doppelt so laut. Vor
       allem wenn Jordan Jacobs sich das Mikro tief in den Rachen stopfte und
       seine Stimmbänder scharf stellte für seine fulminanten Imitationen eines
       frisch kastrierten Esels, konnte man es dem armen Tier schon beinahe
       nachfühlen.
       
       Nach einer gute halben Stunde war Schluss. Strafe muss sein. Wer verpennt,
       darf nicht das volle Set spielen, so steht es in der „Peinlichen
       Halsordnung für Vorgruppen“. Bald darauf ließen Night Demon aus Ventura,
       Südkalifornien, einen heißen Sandsturm auf die Hildesheimer Börde
       niedergehen.
       
       Jarvis Leatherby, was ein Künstlername ist, gehört zu den Junggenies im
       Genre. Er hat eine sonore, sofort wiedererkennbare Stimme, spielt
       spitzenmäßig seinen Flying-V-Bass und sein Kompositionstalent ist
       extraordinär. Klar hört man gewisse Kohärenzen, aber so ist das im Rock ’n’
       Roll, es geht immer um suggestive Variationen des Ewiggleichen. Wer damit
       nicht klarkommt, soll Fluxus hören.
       
       Heute Abend jedenfalls wollen alle Night Demon hören. Wie Leatherby es
       weiterhin schafft, eingängige Melodien in robuste Kloppersongs zu packen
       und mit seiner Trioformation ohne Abrieb über die Rampe zu wuchten, nötigt
       den Hildesheimer Kuttenträgern tiefen Respekt ab. Und dass die Band diesen
       allenfalls halb gefüllten Club in der niedersächsischen Buttnick, an einem
       Sonntag wohlgemerkt, mit demselben Abbruchunternehmerethos zerrödelt, als
       wäre es das Hammersmith Odeon, wissen sie hier ebenfalls zu honorieren.
       
       Das macht einiges wieder wett. Blutende Ohren, gebrochene Nacken – nur die
       Flutung Europas mit Flitzkacke nicht.
       
       2 Jul 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
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