# taz.de -- Die Wahrheit: Flagg mich nicht an!
       
       > Deutschland im EM-Fieber! Unangenehm nur, wenn man in einer Seitenstraße
       > von einem Schwarz-Rot-Gold-Overkill überwältigt wird.
       
 (IMG) Bild: Die Einzelteile überschlagen sich in rascher Folge
       
       Als ich kürzlich das Haus verließ, schlug mir ein warmer Luftwiderstand
       entgegen, der bereits nach mittäglicher Schwüle und hochsommerlichem
       Schweiß roch. Ich stellte mich just darauf ein, den Tag in süßer Lethargie
       zu verdämmern, entweder zu Hause hinter herabgelassenen Jalousien oder im
       Jachtclub bei mehreren Partien Bridge, als ich um die Straßenecke bog und
       mich der Anblick wie ein Schlag traf – oder vielmehr wie ein
       9-Millimeter-Projektil mitten in die Stirn!
       
       Dieses Teilstück der benachbarten Einkaufsstraße, auf die ich einbog, gilt
       als Partymeile, auf der in diesen Tagen der Fußball-EM auch öffentlich
       ferngesehen wird. Daher hatten mehrere hintereinanderliegende Gaststätten
       ihre Biergärten jenseits des Bürgersteigs für die kommenden Runden mit
       riesigen Mengen von Wimpeln und Fläggchen in Schwarz-Rot-Gelb verziert.
       Wohl um die vielzitierten positiven Emotionen und den Durst ihrer Gäste
       anzuheizen. Ich schluckte heftig.
       
       Und musste gestehen: So etwas Schreckliches hatte ich schon lange nicht
       mehr gesehen! Die kleinen Flaggen hingen zu Dutzenden unter den
       Sonnenschirmen wie in einer DVU-Werbung der Neunzigerjahre. Überwiegend
       seitlich angebracht wirkten sie wie falsch sortierte Nationalfarben eines
       besonders tristen Teils von Belgien. Das dominierende Schwarz und die
       bürokratisch gleichförmige Hängung, die unangenehm an Deutschlands Ruf
       erinnerte, vervielfachten den Trübsinn. Um mich nicht anzustecken,
       wechselte ich die Straßenseite und versuchte, das Erlebte zu verdrängen.
       
       Das Trauma kam jedoch in den Folgestunden immer wieder hoch. Liebe Freunde
       redeten mir gut zu, um mich zu beruhigen. In anderen Ländern sei ein
       solcher Overkill von patriotischem Kitsch ganz normal. Meine krankhafte
       Überempfindlichkeit verdankte ich gewiss dem ungeklärten, ja ungesunden
       Verhältnis meines linksalternativen Milieus zur Nation und ihren
       Wahrzeichen. Ob ich überhaupt ein Demokrat sei? Ob ich die Liebe zu den
       Symbolen von Freiheit und Rechtsstaat vollständig den Rechten überlassen
       wolle?
       
       ## Blutrot
       
       Keineswegs, wand ich mich. Es sei doch nur so, dass die deutschen
       Nationalfarben in ihrer Kombination und Symbolik eine besonders dreiste
       ästhetische Zumutung darstellten. Das finstere Schwarz der Vergangenheit
       und das grelle Gelb, das angeblich die güldene Zukunft versinnbildliche,
       seien doch die Wespenwarnfarben! Sie sollten Alarmsignal für alle anderen
       Nationen sein, ein Absperrband, redete ich mich in Rage, am besten zur
       Grenzmarkierung verwendet, wenn es nicht ohnehin vom vielsagenden Blutrot
       durchbrochen würde!
       
       Zu welchem ich mir dann jede Erläuterung ersparte, weil schon klar war,
       dass ich die nächsten Spiele der deutschen Nationalmannschaft für mich
       allein schauen konnte. Die Freunde waren davongestoben. Aber das kommt
       heraus, wenn man mich in einer schwachen Stunde dumm von der Seite
       anflaggt.
       
       4 Jul 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
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