# taz.de -- Frankreich nach der Wahl: Ringen um Regierungsbildung
       
       > Staatspräsident Emmanuel Macron wendet sich in einem offenen Brief an die
       > Französ*innen. Er wünscht sich eine breite, gemäßigte Koalition.
       
 (IMG) Bild: Abgeordnete der „Nouveau Front Populaire“ und von „La France Insoumise“ besuchen den Plenarsaal in Paris am 09. Julil 2024
       
       Sieben von zehn Französinnen und Franzosen sind mit dem Ergebnis der
       vorzeitigen Parlamentswahlen unzufrieden. Sie waren freilich vorher mit der
       bisherigen Staatsführung und Volksvertretung auch nicht glücklicher. Die
       [1][von Präsident Emmanuel Macron herbeigeführten Neuwahlen] haben also
       diesbezüglich nichts geändert.
       
       Nur ist heute die Lage mit der neuen Sitzverteilung in der
       Nationalversammlung komplizierter. „Niemand hat gewonnen“, schrieb Macron,
       der derzeit in Washington am [2][Nato-Gipfel] teilnimmt, sich aber dennoch
       in einem offenen Brief an seine Landsleute wandte, um ihnen zu sagen, was
       er vom Wahlergebnis hält.
       
       In seinem Schreiben konstatiert er, dass „keine politische Kraft alleine
       eine Mehrheit“ erhalten habe. Auch die Blöcke oder Koalitionen, die aus den
       Wahlen hervorgegangen seien, „sind alle minoritär“. Macron will offenbar
       sagen, dass eigentlich alle Parteien samt und sonders verloren haben, nur
       er selbst nicht. Von seiner eigenen Verantwortung für das Ergebnis der Wahl
       ist in seinem Brief nirgends die Rede. Die Zeitung Libération bezeichnete
       den Präsidenten deshalb als „schlechten Verlierer“.
       
       Eine Lösung benennt er dennoch: Diejenigen politischen Kräfte, die nach
       seiner Definition „die Institutionen der Republik, den Rechtsstaat, das
       Parlamentssystem, die Europapolitik und die Verteidigung der französischen
       Unabhängigkeit“ anerkennen, sollten sich über die früheren Trennlinien
       hinweg zusammenschließen. Zusammen hätten diese Fraktionen eine absolute
       Mehrheit. Arithmetisch mag das sogar stimmen.
       
       Ausschließen will Macron sowohl [3][die Rechtsextremisten des Rassemblement
       National] von Marine Le Pen als auch die linke Partei La France Insoumise
       (LFI) unter Jean-Luc Mélenchon.
       
       Mit der großen Koalition will Macron [4][die sogenannte Cohabition]
       verhindern. Das bedeutet, dass er als Staatspräsident sich einer
       gegnerischen Regierung gegenüber sähe, mit der er koexistieren müsste. Das
       würde sowohl das Regierungshandeln erschweren als auch das des
       Staatspräsidenten Macron. Logisch, dass ihm eine breite Koalition aus
       gemäßigten Kräften attraktiver erscheint. Nur gibt es in Frankreich kaum
       Beispiele dafür.
       
       Und vor allem scheinen [5][die Parteien der linken Volksfront (Nouveau
       Front Populaire)] eher gewillt zu sein, es zunächst auch ohne
       parlamentarische Mehrheit zu versuchen. Sie fordern vom Präsidenten,
       unverzüglich eine*n Premierminister*in aus ihren Reihen mit der
       Regierungsbildung zu beauftragen. Einen oder mehrere Namen will die linke
       Wahlunion ihm noch in dieser Woche vorlegen. Seit Montag läuft die interne
       „Kür“, die Medien nennen angebliche Favoriten. Macron möchte dagegen Zeit
       gewinnen und womöglich seinen Premier Gabriel Attal bis nach den
       Olympischen Spielen beibehalten. Oder wenn schon eine Minderheitsregierung,
       dann vielleicht sogar eher mit einem Konservativen an der Spitze?
       
       Die linke Volksfront, die bei den Parlamentswahlen die Mehrheit der Stimmen
       auf sich vereint hat – aber keine absolute Mehrheit erreicht hat – ist über
       Macrons Vorschläge empört. Zur Volksfront hatten sich neben La France
       Insoumise die Sozialisten, Grünen und Kommunisten zusammengeschlossen. Sie
       kamen auf 183 von 577 Sitzen in der Nationalversammlung.
       
       Doch nicht alle finden die Idee Macrons absurd, eine Koalition zwischen
       einem Teil der Linken – unter Ausschluss von LFI – und den Macronisten zu
       bilden, eventuell zudem mit den Konservativen von Les Républicains. In
       sozialen Netzwerken kursiert ein heimlich aufgezeichnetes Gespräch, in dem
       der Chef der Kommunisten, Fabien Roussel, am Telefon während einer
       Bahnfahrt mit Unbekannten verschiedene Koalitions-Szenarien erörtert. Das
       stellt die Einheit der Volksfrontparteien, die ohnehin schon Spannungen
       ausgesetzt war, auf eine harte Probe.
       
       11 Jul 2024
       
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