# taz.de -- Menschenrechtsverstöße im Iran: „Wahlen legitimieren Unterdrückung“
       
       > Seit 2022 ist der Aktivist Ahmadreza Haeri in Iran inhaftiert. Nun kämpft
       > er mit der Kampagne „Schwarze Dienstage“ gegen Hinrichtungen.
       
 (IMG) Bild: Zu einem Boykott der Präsidentschaftswahl an diesem Freitag ruft der Inhaftierte auf
       
       taz: Herr Haeri, seit Ende Januar treten Sie und andere Gefangene
       wöchentlich in den Hungerstreik. Was bewegt Sie dazu? 
       
       Ahmadreza Haeri: Im September, zehn Tage vor dem Jahrestag der „Frau,
       Leben, Freiheit“-Proteste, wurde ich mit anderen politischen Gefangenen vom
       Evin-Gefängnis ins Ghezel-Hesar-Gefängnis verlegt. Dort trafen wir
       [1][politische Gefangene, die zum Tode] verurteilt waren, und viele wegen
       Drogendelikten zum Tode Verurteilte. Im Januar 2024 nahmen die
       Hinrichtungen stark zu. Mindestens 60 politische Gefangene, [2][viele aus
       der Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung], haben bestätigte Todesurteile.
       Angesichts dieser Grausamkeit beschlossen wir – wegen Drogendelikten zum
       Tode Verurteilte sowie politische Gefangene – jeden Dienstag in den
       Hungerstreik zu treten, da die Hinrichtungen meist mittwochs im
       Morgengrauen stattfanden. Es sind Inhaftierte aus mindestens sechs
       Gefängnissen an den Streiks beteiligt.
       
       Was bezwecken Sie damit? 
       
       Wir wollen die Gesellschaft, Menschenrechtsaktivisten und Medien alarmieren
       und eine Abschaffung der Todesstrafe erwirken. Wir hoffen, dass sowohl in
       Iran als auch international erkannt wird, wie häufig diese unmenschliche
       Strafe genutzt wird, um die Gesellschaft zu kontrollieren. Viele Gefangene
       haben sich uns angeschlossen, aber wir stehen noch am Anfang. Wenn wir das
       Thema auch international bei Menschenrechtsorganisationen und in westlichen
       Ländern, besonders in Europa, bekannt machen und ihre Unterstützung
       gewinnen, können wir „Schwarze Dienstage“ und auch die Kampagne „Nein zur
       Todesstrafe“ auf eine höhere Ebene bringen. Viele politische Gefangene sind
       trotz Bemühungen von Aktivisten weiter unbekannt. Aufmerksamkeit,
       Zivilgesellschaft, Medien und Menschenrechtsaktivisten sind für sie
       entscheidend.
       
       Was soll ein eintägiger Hungerstreik bewirken? 
       
       Hungerstreiks sind eine Methode, um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Der
       Dienstag steht symbolisch für den letzten Tag im Leben von Gefangenen, die
       hingerichtet werden sollen, und ist ein Zeichen des Widerstands gegen diese
       unmenschliche Strafe. Der Hungerstreik dient als Anlass, um darüber zu
       berichten und die Fälle von Personen zu thematisieren, die ungerecht
       verurteilt wurden. Ihre Geschichten müssen erzählt werden.
       
       Wie reagiert das Regime? 
       
       Repressiv. Es hat versucht, unsere Kommunikation mit der Außenwelt zu
       unterbinden. Teilweise wurden uns Telefonrecht und Familienbesuche
       unterbunden, oder unsere Familien wurden (während der Familienbesuche, d.
       Red.) unter Druck gesetzt. Deshalb habe ich verlangt, dass meine
       neunjährige Tochter nicht mehr zu Besuch kommt, damit sie das nicht
       durchmachen muss. Sie verlegten uns in Einzelhaft, um uns zum Schweigen zu
       bringen. Zudem wurden neue Anklagen gegen mich und andere erhoben.
       
       Denken Sie, Ihr Streik wird etwas bewegen? 
       
       Wir erwarten nicht, dass die Kampagne schnell zur Abschaffung der
       Todesstrafe führt. Dennoch bin ich zuversichtlich. Während meiner
       Einzelhaft ereignete sich [3][der Helikopterabsturz des Präsidenten]
       (Ebrahim Raisi, d. Red.); in den Tagen danach fanden keine Hinrichtungen
       statt. Externe Ereignisse wie Präsidentschaftswahlen beeinflussen das
       Gefängnis direkt. Allgemein wird es im Ghezel-Hesar-Gefängnis für die
       Führung schwieriger, Hinrichtungen durchzuführen. Letzten Monat gab es hier
       weniger als in den Vormonaten. Obwohl ich nicht sagen kann, dass die
       Kampagne dafür direkt verantwortlich war, hat sie sicherlich dazu
       beigetragen.
       
       Setzen Sie Hoffnung in den künftigen Präsidenten, der am Freitag neu
       gewählt wird? 
       
       Es gibt keine Hoffnung auf Veränderung bei Menschenrechten, auch nicht
       [4][mit einem neuen Präsidenten], weil er keine Befugnisse hat. In der
       Amtszeit von Präsident Ruhani (2013 bis 2021, d. Red.) griffen
       Sicherheitskräfte Gefangene im Evin-Gefängnis an und demütigten sie, auch
       meinen damals inhaftierten Bruder. Wir wandten uns an das Parlament. Aber
       obwohl die Regierung unter Ruhani als gemäßigt galt, konnten sie nichts
       gegen solche Übergriffe unternehmen. Stattdessen wurde ich verhaftet und zu
       74 Peitschenhieben und sechs Monaten Haft verurteilt. Es spielt keine
       Rolle, welcher Präsident an der Macht ist. Wahlen legitimieren die
       Unterdrückung.
       
       Welche Forderungen haben Sie an den Westen? 
       
       Für uns ist wichtig, dass die westliche Gesellschaft die unmenschlichen
       Bedingungen versteht und Druck auf die Islamische Republik ausübt,
       Menschenrechtsverletzungen zu stoppen und der Anti-Folter-Konvention
       beizutreten. Dann könnten wir Beschwerden an die UN richten. Druck auf die
       Führung, damit Menschenrechtskommissare Zugang zu iranischen Gefängnissen
       erhalten, ist entscheidend. Das hilft unserer Kampagne und ist ein Schritt
       in Richtung Freiheit und einer hoffnungsvollen Zukunft.
       
       28 Jun 2024
       
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