# taz.de -- Hamburger Antisemitismus-Studie: Rückzug aus der Öffentlichkeit
       
       > Wie sie Antisemitismus erleben, fragte eine Studie Hamburger Jüdinnen und
       > Juden. Beruhigen kann das Ergebnis niemanden.
       
 (IMG) Bild: Müssen seit Oktober verstärkt mit Anfeindungen rechnen: In Hamburg zeigen jüdische Menschen immer seltener, dass sie welche sind
       
       HAMBURG taz | Zahlen seien das Eine – es gehe aber um reale Menschen: Die
       Anmerkung des Hamburger Antisemitismusbeauftragten Stefan Hensel, den Blick
       nach draußen gerichtet, wo Kinder aus dem jüdischen
       Joseph-Carlebach-Bildungshaus spielten, hätte den ganzen Pressetermin am
       Montagmittag überschreiben können.
       
       Im nüchternen Konferenzraum der Jüdischen Gemeinde sollte die [1][Studie
       „Jüdisches Leben und Alltag in Hamburg“] vorgestellt werden. Die
       entsprechenden Daten seien „deutschlandweit erstmalig“ erhoben worden,
       attestierte die Hamburger Behörde für Wissenschaft und Gleichstellung der
       Studie, die sie [2][Mitte 2023 in Auftrag gegeben] hatte. Das Neuartige
       daran: Die ([3][online erhältliche]) Erhebung stützt sich auf diejenigen,
       die von Antisemitismus betroffen sind, also: dessen Opfer werden.
       
       ## „Jüdische Perspektiven“
       
       „Wir fokussieren jüdische Perspektiven“, so formulierte es am Montag
       Joachim Häfele von der Polizeiakademie Niedersachsen, der zusammen mit Eva
       Groß von der Polizeiakademie [4][das Projekt leitet]. Zur Präsentation von
       dessen „Kernpunkten“ traten beide vor die Presse, dazu
       Gleichstellungssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank
       (Grüne), Polizeipräsident Falk Schnabel, der Vorsitzende der Jüdischen
       Gemeinde, Philipp Stricharz, und, eben, [5][der Antisemitismusbeauftragte
       Hensel].
       
       Erfassen wollte man, was die jährliche Kriminalstatistik nicht abbildet:
       antisemitische Vorfälle also, die nicht die Schwelle zur Strafbarkeit
       überschreiten, oder solche, die das durchaus täten, aber nicht zur Anzeige
       gebracht werden; das Vertrauen der Befragten in diverse Institutionen, auch
       in die Polizei, war eines der Themen.
       
       Auf Papier und online befragt wurden alle Mitglieder der [6][Jüdischen
       Gemeinde] über 16 Jahren, die ausdrücklich jüdische Nichtmitglieder auf die
       Möglichkeit der Teilnahme hinweisen durften. Von den 548 anonymen
       Teilnehmer:innen deklarierten sich 84,5 Prozent als Gemeindemitglieder,
       und es nahmen etwas mehr Frauen als Männer teil. Zur besseren Einordnung:
       Die Zahl der über 16-jährigen Mitglieder gibt die Gemeinde selbst mit rund
       1.200 an; insgesamt hat sie etwa 2.500 Mitglieder. Die Zahl der jüdischen
       Menschen in der Stadt insgesamt wird auf bis zu 10.000 geschätzt.
       
       ## Drei Viertel berichten von Vorfällen
       
       Mehr als drei Viertel der Befragten, 77 Prozent, gaben an, in den
       vergangenen zwölf Monaten antisemitische Vorfälle erlebt zu haben. Mehr als
       jede:r Zweite, 55 Prozent, berichten von „strafrechtlich relevanten
       antisemitischen Betroffenheiten“. Verbale und psychologische Angriffe
       inner- wie außerhalb des Internets werden dabei mit rund 55 Prozent
       angegeben, körperliche Übergriffe, Belästigung oder Verfolgung mit etwa 13
       Prozent. Nur zwei Prozent sagten, sie fühlten sich heute sicherer als vor
       einem Jahr – aber 64 Prozent, dass sie sich weniger wohl fühlen.
       
       Kaum überraschend: Wer Opfer solcher Vorfälle geworden ist, tut sich
       schwerer mit der Aussage, Judentum lasse sich in Hamburg frei ausüben. Das
       sagen 49 Prozent dieser Menschen; unter denjenigen, die „keine
       antisemitische Viktimisierung berichten“, sind es dagegen 89 Prozent. Die
       Studienherausgeber:innen sprachen ausdrücklich von
       „identitätsbezogenem Vermeideverhalten“ als Folge antisemitischer Vorfälle:
       Die Menschen unterließen es dann etwa, sichtbar religiöse Symbole zu tragen
       oder ihr Judentum gegenüber anderen offenzulegen.
       
       ## Grundrechte verletzt
       
       Das gehe an die Grundrechte der Betroffenen, sagte der Gemeindevorsitzende
       Stricharz. Die Studie stelle auf stabilere Füße, was die Leitung der
       Gemeinde bereits unsystematisch gewusst habe: Zumal seit dem 7. Oktober
       führe antiisraelische Hetze zu einem Rückzug jüdischer Menschen.
       
       Betroffenheit bekundete Senatorin Fegebank: Wenn Jüdinnen und Juden sich
       nicht mehr sicher fühlten und ihre „Identität aus Angst verstecken, dann
       sind wir als Staat und auch als Gesellschaft gefordert“. Wie genau? Senat
       und Bürgerschaft haben eine „Antisemitismusstrategie“ angekündigt, die
       [7][demnächst vorgestellt werden soll].
       
       16 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Studie-zu-Antisemitismus-in-Hamburg/!5942312
 (DIR) [2] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/behoerde-fuer-wissenschaft-forschung-gleichstellung-und-bezirke/aktuelles/pressemeldungen/dunkelfeldstudie-beleuchtet-juedisches-leben-und-alltag-in-hamburg-940196
 (DIR) [3] https://ddatabox.dataport.de/public/download-shares/rviAG1EytoeXUsPItU0CFhNhvokbNdKh
 (DIR) [4] https://akademie-der-polizei.hamburg.de/forschungsprojekt-leah-770610
 (DIR) [5] https://www.hamburg.de/politik-und-verwaltung/behoerden/behoerde-fuer-wissenschaft-forschung-gleichstellung-und-bezirke/unsere-themen/gleichstellung/juedisches-leben/antisemitismusbeauftragter-fhh-194394
 (DIR) [6] https://www.jghh.org/
 (DIR) [7] https://www.gruene-hamburg.de/presse/dunkelfeldstudie-zu-antisemitismus-gwosdz-juedisches-leben-muss-angstfrei-moeglich-sein/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Diehl
       
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