# taz.de -- Roman „Brown Girls“: Stimmen aus der Peripherie
       
       > Autorin Daphne Palasi Andreades erzählt in ihrem Debütroman „Brown Girls“
       > vom Aufwachsen nicht-weißer Mädchen im New Yorker Bezirk Queens.
       
 (IMG) Bild: Die Personen hinter der Repräsentation: „Brown Girls“ spielt im „miesen“ Teil von Queens
       
       Sie leben im „miesen Teil von Queens“ rund um den Queens Boulevard, der
       sich durch den ganzen Borough zieht und auch als „Boulevard des Todes“
       bekannt ist. Umgeben von 99-Cent-Shops, Nagelstudios, Autowerkstätten und
       Elektronik-Discountern wachsen die „Brown Girls“ im gleichnamigen
       Debütroman der gebürtigen [1][New Yorkerin] Daphne Palasi Andreades auf (in
       der deutschen Übersetzung wurde dieser Begriff im Titel zum Glück
       übernommen).
       
       Zu Beginn des Romans sind die Girls kaum zehn Jahre alt, die Autorin folgt
       ihren Leben vom Erwachsenwerden bis zum Tod. Das Besondere daran: Er ist in
       der Wir-Form geschrieben, als Chor. Dieser Chor hat eine doppelte Funktion:
       Er betont zum einen die Erfahrungen, die die marginalisierten Mädchen
       teilen. Es geht aber auch um die Außenwahrnehmung.
       
       Sobald sie Karriere machen, treten sie nicht mehr als Individuen, sondern
       als Repräsentantinnen ihrer Hautfarbe und Herkunft auf. Gefragt nach
       bestimmten Meinungen, wissen sie, dass sie lieber schweigen sollen.
       
       „Wir sind entschlossen, unsere Antworten unpolitisch zu halten, damit wir
       niemanden vor den Kopf stoßen.“ Wofür sich die wenigsten Weißen
       interessieren, ist die Person, die hinter der Repräsentation steht.
       
       ## Dekonstruktion des American Dream
       
       „Wir sind so sichtbar, dass wir unsichtbar geworden sind. Seltsam, dass wir
       in diesem Moment, von dem wir geträumt haben, gesichtslos sind.“ Mit den
       Konflikten, die das Aufwachsen in und Entwachsen aus prekären Verhältnissen
       mit sich bringt, ist der Roman auch eine Erzählung des American Dream und
       mehr noch die Dekonstruktion dessen – der ökonomische Aufstieg ist bei
       Palasi Andreades keine Erlösung.
       
       [2][Rassismus] und [3][Klassismus] sind die drängenden politischen Themen,
       im Zentrum des Romans aber steht die Freundschaft. Und der Stil: In
       kollektiver Stimme zu schreiben ist zwar kein neuer Einfall, gelingt der
       Autorin aber so gut, dass er nie überladen oder artifiziell wirkt.
       
       „Brown girls brown girls brown girls“ heißt es gleich mehrfach, ohne Komma,
       einer Beschwörung gleich. So lesen sich die kurzen, schnell erzählten
       Kapitel oft wie Spoken-Word-Poetry, auch wenn die deutsche Übersetzung (was
       mehr an der Sprache selbst und nicht am Übersetzer Cornelius Reiber liegt)
       mitunter bedeutend behäbiger daherkommt als das englische Original: Aus
       „Her body is not mine is not mine is not mine. And yet.“ wird da „Ihr
       Körper ist nicht wie meiner nicht wie meiner nicht wie meiner. Und
       trotzdem.“
       
       ## Nicht nur „Girls“
       
       Das sei aber der einzige kleine Kritikpunkt. Überhaupt das Spiel mit der
       Sprache: Denn natürlich sind nicht alle Girls in „Brown Girls“ Mädchen
       beziehungsweise Frauen, einige outen sich auch als nicht-binär oder trans
       Männer. Palasi Andreades benötigt nur einen kurzen Satz, um ein doppeltes
       Dilemma zu benennen. „Brave ‚Mädchen‘, wir sind brave Mädchen“, heißt es,
       die Anführungszeichen als Marker für den Identitätskonflikt und das „brav“
       als Hinweis auf die Erwartungshaltung der Familie.
       
       Es ist ein einfacher Kniff, mit dem Palasi Andreades dem Wir so vielseitige
       Facetten verleiht. Immer wieder zählt sie Frauennamen auf, die ganz
       verschiedene Herkünfte der Familien und somit auch unterschiedliche
       Erfahrungen erahnen lassen, was die Autorin mit Bausteinen wie „einige von
       uns“ und „andere von uns“ verdeutlicht. Stück für Stück zerbricht die
       Einheit, die die Brown Girls in ihrer Kindheit geformt haben, als sie noch
       unzertrennliche Freundinnen waren.
       
       ## Neid und Herablassung
       
       Es sind sowohl persönliche Entwicklungen als auch äußere Umstände, die aus
       den Freundschaften große Herausforderungen machen. Während die einen im
       Viertel bleiben, sich um die älter werdende Verwandtschaft kümmern und die
       anderen als herablassend empfinden, machen die anderen Karriere und fühlen
       den Neid jener, die zurückgeblieben sind.
       
       So ist „Brown Girls“ trotz seiner Kürze ein vielschichtiger, kluger und
       intensiver Roman, mit dem Daphne Palasi Andreades beweist, dass man auf der
       Suche nach der so oft beschrienen Great American Novel vielleicht nicht in
       die weiß-bürgerliche Schicht, sondern in die Peripherie gehen sollte.
       
       11 Jul 2024
       
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