# taz.de -- Moped-Treffen in Zwickau: Zwischen Pferdestärke und White Power
       
       > Im sächsischen Zwickau findet das größte Simson-Treffen Deutschlands
       > statt. Tuner dort teilen die Liebe zu den Mopeds und zu rechten
       > Ideologien.
       
 (IMG) Bild: Vanessa hat Spaß auf einer Simson-Enduro
       
       ZWICKAU taz | Wer aus dem dörflichen Osten kommt, kennt das Geräusch: das
       schrille Dröhnen eines Simson-Zweitakters, das nachts in der Ferne verhallt
       und kurz aussetzt, wenn an einem Hügelchen ein Gang nach unten geschaltet
       werden muss oder man kurz die Hand vom Gas nimmt. Meistens gefahren von
       jemandem, der es noch eilig nach Hause schaffen wollte, dorthin, wo kein
       Bus mehr fährt. Wer davon nostalgische Gefühle bekommt, für den gibt es
       sogenannte Simson-Treffen. Das bundesweit größte ist der viertägige STZ,
       der Simsontreff [1][Zwickau] auf dem Zwickauer Flugplatz.
       
       Die Simson S 51 – gebaut im volkseigenen Betrieb Fahrzeug- und
       Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ in Suhl – wurde zwischen 1980 und 1991 etwa
       1,6 Millionen Mal produziert. Der Neupreis begann bei 1.200 Ostmark,
       umgerechnet etwa 120 Euro. Heute bekommt man eine gut erhaltene Simson S 51
       für rund 3.500 Euro. Die Farben unterscheiden sich je nach Modell:
       Enzianblau, Feuerrot, Apfelgrün, Billardgrün und Saharagelb.
       
       Im infrastrukturell schwachen Osten wurde die „Simme“ eine
       Selbstverständlichkeit: Wo kein Bus fuhr, da war Muttis oder Vatis alte
       „Simme“. Und die wird bis heute gepflegt, lackiert, getunt. Es geht um
       Leistung und Geschwindigkeit: Laut lokalen Zeitungsberichten sollen junge
       Männer schon mit annähernd 125 km/h auf einer vogtländischen Landstraße
       erwischt worden sein. Vor allem aber ist die Simme kein „Plastikroller“,
       in Zwickau synonym für ein minderwertiges Moped. [2][Die Simson S 51 kann
       mehr]: Statt der üblichen 45 km/h darf man auf ihr 60 km/h fahren.
       
       Am westlichen Stadtrand, auf dem Flugplatz, der groß genug für die 3.000
       Camper und 6.000 Tagesgäste ist, findet das STZ statt. Was ein bisschen wie
       eine Mischung aus Mad Max und Dorffest daherkommt, ist ein Festival für
       Simson-Fans. Neben den üblichen Rennkategorien gibt es Wettbewerbe für
       Leistung und bestes Tuning. Es riecht nach Benzin. Sekündlich braust jemand
       auf seinem Moped vorbei.
       
       ## Frakturschrift und schnelle Brille
       
       Organisiert wird das STZ von Dominik Würfel. Er nennt es sein viertes Kind.
       Mit 16 Jahren fing er an, Simson-Fans zu versammeln, damals mithilfe seines
       Vaters. 2002 war das. Später organisierte er das STZ dann allein und heute
       mit einem 70-köpfigen Team.
       
       Gegen die unerbittliche Sonne und die fehlenden Bäume auf dem
       Segelflugplatz helfen Fischerhüte mit der Aufschrift „Ostdeutschland“,
       selbstverständlich in Fraktur, und schnelle Brillen wohl am besten. Unter
       ihnen wird gegrölt, gesoffen, am Gashahn gerissen, gemeinsam auf dem
       Zeltplatz durch eine gemeinschaftlich erzeugte Pfütze gefahren und sich
       darin gebadet.
       
       Doch es gibt auch jene, die nicht nur wegen des Bieres und der Eskalation
       kommen, sondern, auch, um sich in der Simson-Szene auszutauschen und ihre
       Bastel- und Schrauberprojekte vorzustellen. Darunter junge Männer, kaum 16,
       die 2.400 Euro in eine schrottreife Simson investiert haben, nur um sie
       erst einmal ihr Eigentum zu nennen. Sie erzählen stolz, wie viele Jahre sie
       schon an ihrer Simson schrauben und wie sie die Trommelbremsen gegen
       Scheibenbremsen ausgetauscht haben oder von den eloxierten Felgen.
       
       ## Party auf dem Zeltplatz
       
       Wer von weither kommt, wird prämiert. Die weiteste Anreise in diesem Jahr:
       686 Kilometer, verhaltener Applaus. Einer von denen ist Sebastian Colditz,
       schnelle Brille, Oberlippenbärtchen. „Rennleitung“ steht in
       Polzeimotorrad-Optik auf seinem Gefährt. Er ist etwas Besonderes, wenn auch
       keine Einzigartigkeit hier: ein Wessi.
       
       Mit seinem breiten Augsburger Dialekt erklärt er mir: „Mein Vater hatte
       schon eine Simson, der ist auch hier.“ Seine Simson erreicht im
       Leistungstest vor Ort 15,8 PS. „Die kommt gut unten raus“, sagt der Prüfer
       und Schrauber Thomas Pleißner alias Thomas Prüfstand unter dem wissenden
       Nicken der Umstehenden.
       
       Die beste Party ist bekanntermaßen auf dem Zeltplatz. Junge Männer,
       oberkörperfrei, mehr rot als braun gebrannt, bieten einem freundlich
       Dosenbier an, präsentieren stolz im Schatten ihrer Pavillons ihre Simson,
       lächeln freundlich, auch bei dummen Fragen, freuen sich, wenn man erzählt,
       dass man mit 16 Jahren selbst Simme gefahren ist, staunen, wenn man
       erzählt, was man für das eigene Moped bezahlt hat. „Der
       Wiederverkaufswert.“ „Jaja.“ Man nickt. Ob er sich vorstellen könne, sein
       Hobby jemals aufzugeben? „Niemals“, sagt ein junger Mann aus Eberswalde.
       
       ## Hakenkreuz auf dem nackten Oberkörper
       
       Er erzählt, dass er das erste Mal hier und vermutlich auch das letzte Mal
       da ist. Er ist extra aus Eberswalde gekommen. Die Nächte seien laut, zu
       laut: Hard Tekk – also harte Techno-Musik. Das sagt er und zeigt auf eine
       Gruppe junger Erwachsener, vielleicht gerade einmal 20. Einer zeigt den
       Hitlergruß, vier grüßen mit demselben zurück, darunter eine Frau im
       Bikini-Oberteil. Erst schüchtern, aber dann macht sie doch mit, reckt den
       Arm in die Höhe, lacht, dreht sich weg. Mit Filzstift haben sie sich
       Hakenkreuze auf die nackten Oberkörper gemalt. Ein Mann aus der Gruppe
       trägt ein Shirt mit der Aufschrift [3][„Kraft durch Freude“].
       
       Ob das hier die ganze Zeit so sei, frage ich. „Na ja, nein, ja, die wollen
       nur provozieren, die wissen nicht, was sie machen.“ Ein junger Mann, Simson
       S 51, enzianblau, kommt vor unseren Füßen zum Stehen. Auf seinen Knien gut
       sichtbar gekritzelt: White Power. Auf die Frage, ob man die konfrontieren
       könnte, sagt der Eberswalder: „Auf gar keinen Fall. Schon gefährlich.“
       
       Im letzten Jahr geriet das Treffen erstmals medial in Verruf. Der Grund:
       Hitlergrüße auf dem Gelände. Es gab vier Anzeigen. „Wir zeigen das sofort
       an, die Leute fliegen vom Gelände“, so Würfel. Mit Rechten wolle hier
       niemand etwas zu tun haben, so zumindest das Lippenbekenntnis. Über die
       Strafen habe Würfel sich gefreut. Man will es dem sympathischen Mann, der
       Ruhe und Autorität ausstrahlt, abnehmen, dem unpolitischen
       Selfmade-Unternehmer, dem Simson-Enthusiasten.
       
       ## Gäste zeigen Hitlergruß
       
       Die [4][AfD fährt selbst für sächsische Verhältnisse hier Rekordergebnisse]
       ein. Und so steht inmitten des Zeltplatzes ein Bierzelt, regelrecht eine
       Burg. Über Eck hat man wohl nicht nur zum Sonnenschutz eine Plane gespannt:
       2,5 mal 4 Meter, blauer Hintergrund, roter Pfeil, drei Buchstaben: ein
       riesiges AfD-Banner. Niemand stört sich daran.
       
       Für Zwickauer Verhältnisse ist das STZ ein Großevent, Samstag der
       besucherstärkste Tag. Würfel hat sich um regionale Sponsoren bemüht, und
       diese sind gekommen: Zwickauer Sparkasse, einige auf Simson-Tuning
       spezialisierte Firmen, eine Reihe an Szene-Youtubern. Nach dem letzten STZ
       ist EinsEnergy ausgestiegen. Würfel macht dafür eine Lokalreporterin der
       [5][Freien Presse] verantwortlich, die über die Hitlergrüße der Gäste
       schrieb.
       
       Würfel nennt sie Einzelfälle, die auch durch das STZ konsequent verfolgt
       werden, Rechte seien nicht willkommen. Es gehe um Simsons, die ökologischer
       seien als die Plastikroller, die man nicht umbauen könne, die taugen
       nichts, die haben nicht die gleiche Qualität wie die stahllastige Simson.
       Würfel lenkt ab. Ob er eine Antifa-Fahne ebenfalls ablehnen würde? „Ja, auf
       jeden Fall“, sagt Würfel. Eigentlich aber auch egal. Es gibt keine.
       
       ## Simson war ein jüdisches Unternehmen
       
       Mit dem Thema konfrontiert, zeigt sich Würfel überrascht, gibt das an einen
       Security weiter. Was eine schwarze Sonne ist, wisse er allerdings nicht.
       Ich zeige sie ihm auf meinem Handy. So richtig kann man ihm das nicht
       glauben, angesichts der Schwarzen-Sonne-Tattoos, der Landser-,
       Kraft-durch-Freude-, Blut-und-Ehre- und „Good Night Left Side“-Shirts, der
       [6][„Döp dödö döp“-Sylt]-Sticker, der vielen Reichsadler und der Tattoos
       mit dem Emblem der Partei [7][„Dritter Weg“], die einem binnen einer Stunde
       auf dem Zeltplatz begegnen.
       
       Ob diese Träger der Symbole wissen, dass Simson vor der Arisierung durch
       die Nazis einst ein jüdisches Unternehmen war? Warum die Hinweise
       jedenfalls, neben Waffen-, Rucksack- und Flaschenverbot, nicht auch auf ein
       Verbot rechter Symbole hinweisen, weiß wohl nur Würfel selbst.
       
       Das männerlastige Treiben lässt man seinen Gang gehen. Frauen findet man
       hier wenige. Viele sind die Partnerinnen der Helden auf ihren heißen Öfen.
       Die, die man fragt, warum sie hier sind, antworten mit: „Na, weil’s geil
       ist.“ Am Samstag werden via Instagram „Mädels“ für Fotos gesucht, beim
       Kurbelwellen-Weitwurf „nette Anblicke“ durch den Moderator kommentiert.
       
       ## Eine triste Szene
       
       Neben den Youtubern, die Tipps bei Tuning und Optik geben, gibt es auch
       einen Stargast. Auf ihn scheint man an diesem Samstag sehnlich zu warten:
       [8][den Anzeigenhauptmeister]. Niclas Matthei lässt auf sich warten, steht
       wohl im Stau. Während das Schärfe-Wettessen mit Wurststücken in Soße mit 2
       Mio. Scoville angekommen ist, betritt Matthei das Gelände, gefolgt von
       einem Pulk aus 50 Menschen. „Anzeigenhauptmeister“ des Rappers Finch dröhnt
       aus den Boxen der Bühne.
       
       Matthei läuft bei annähernd 35 Grad in seiner vollen
       Anzeigenhauptmeister-Uniform über den Platz, stoischer Blick, rotes,
       schweißnasses Gesicht. Wenige Minuten später gibt er Autogramme, lächelt
       nicht, ist einfach nur da, während die Besucher des STZ Fotos mit ihm
       machen, ihn mit einer Flasche bewerfen oder „Hau ab!“ brüllen. Die Stimmung
       ist aufgeheizt. Dominik Würfel steht daneben.
       
       Es ist eine triste Szene, sie tut beim Zusehen weh. Polizei? Keine da. Die
       kommt erst nachts, nach Einbruch der Dunkelheit. Nach dem Sexy-Moped-Wash
       mit Frauen in Netzstrümpfen und vor der Böhse-Onkelz-Coverband.
       
       23 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Linker-Aktivist-aus-Zwickau/!vn5988667/
 (DIR) [2] /Mobilitaet-in-der-Jugend/!5139086
 (DIR) [3] https://www.mdr.de/geschichte/ns-zeit/politik-gesellschaft/kraft-durch-freude-kdf-ns-organisation-hermann-ley-100.html
 (DIR) [4] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990
 (DIR) [5] https://www.freiepresse.de/zwickau/zwickau/dosenbier-helme-schaumbaeder-und-stinkefisch-wettkaempfe-so-verrueckt-war-das-simson-treffen-in-zwickau-artikel13457333#google_vignette
 (DIR) [6] /Neue-Details-zu-Skandal-Video-von-Sylt/!6010089
 (DIR) [7] /Razzia-bei-Neonazipartei-Dritter-Weg/!6020758
 (DIR) [8] https://uebermedien.de/93061/wie-spiegel-tv-einen-18-jaehrigen-zur-hetze-freigab/
       
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