# taz.de -- Gitarrist von Ton Steine Scherben tot: Hausmeister des Universums
       
       > R. P. S. Lanrue, der stille, aber einflussreiche Gitarrist der Berliner
       > Polit-Rockband Ton Steine Scherben ist gestorben. Ein Nachruf.
       
 (IMG) Bild: Stille Kraft der Scherben: R. P. S. Lanrue bei einem Konzert in Berlin 2014
       
       Eigentlich wäre er auch ganz gern Profifußballer geworden, erzählte Lanrue
       vor rund einem Jahr in seinem Kreuzberger Stammlokal. Wir sprachen über
       Fußball, seine zweite große Leidenschaft neben der Musik. Das war
       erstaunlich, immerhin hatte der Gitarrist der Band Ton Steine Scherben
       Songs komponiert, die zu den besten der deutschsprachigen Rockmusik
       gehören.
       
       [1][„Keine Macht für niemand“], „Schritt für Schritt ins Paradies“ – Songs,
       die für eine lang entfernte Epoche (west-)deutscher Jugendkultur der 1970er
       stehen und trotzdem bis heute nachhallen. In seriösen Rankings der
       wichtigsten deutschen Rocksongs und auf Demos von Systemgegnern, die
       nostalgisch linkem Parolenrock frönen.
       
       Ton Steine Scherben waren in den 1970ern berühmt für ihre kämpferischen und
       rebellischen Lieder, die das kapitalistische System in Frage stellten und
       auch noch geil klangen. Viele Menschen verbinden sie vor allem mit dem
       verstorbenen Sänger Rio Reiser. [2][Andere wissen, dass Gitarrist Lanrue
       sein kongenialer Partner und Komponist vieler Scherben-Songs war]. Sie
       sehen in beiden das deutsche Pendant zu Jagger/Richards.
       
       ## Kein Primat des Geldverdienens
       
       Tatsächlich waren ihre Songs denen der Stones nicht unähnlich, gerade in
       ihrer rauen, energischen Aufgeladenheit und der
       Anti-Establishment-Attitüde. Zugleich gab es einen Riesenunterschied.
       Während die Stones zwar rebellische Songs veröffentlichten, aber immer am
       Primat des Geldverdienens festhielten, lief es bei den Scherben umgekehrt.
       Sie versackten auf dem Weg vom Legendenstatus zum finanziellen Erfolg.
       Keine deutsche Band mit ähnlich vielen Gassenhauern lebte so prekär.
       
       Was ihren Mythos als fröhlich-aufrechte Antikapitalisten noch steigerte,
       aber die Scherben nicht glücklicher machte. „Wir haben nicht jeden
       Nachmittag über die Verflechtungen des europäischen Finanzkapitalismus
       diskutiert, wir waren Musiker“, sagte Lanrue mal ebenso ironisch wie
       genervt vom Missverständnis, dem etliche Fans unterlagen.
       
       Linke Revolutionswächter maßten sich ja permanent an, das politisch
       korrekte Handeln der Band zu beurteilen. „Ständig musstest du dich
       erklären, warum du was machst.“ Dieses typisch Deutsche ging dem
       intelligenten, pragmatischen und zurückhaltenden Menschen Lanrue auf den
       Wecker. Er war ja auch Franzose.
       
       ## Fußball oder Musik
       
       Als Sohn eines Deutschen und einer Französin wurde Ralph Peter Steitz 1950
       in Grenoble geboren. 1963 zog die Familie mit vier Kindern nach Hessen.
       Dort begann R. P. S. Lanrue, wie er sich später nannte (eine Verballhornung
       von „de la rue“: von der Straße), mit dem Musikmachen. Parallel spielte er
       Fußball im Verein und galt als großes Talent.
       
       Für die Beatmusik entschied er sich, nachdem er den gleichaltrigen Ralph
       Möbius, späterer Künstlername Rio Reiser, kennengelernt hatte. [3][Um dem
       Wehrdienst zu entfliehen gingen beide 1967 nach Westberlin, wo sie in
       diversen Musiktheaterprojekten arbeiteten und 1970 in Kreuzberg Ton Steine
       Scherben gründeten].
       
       [4][Dass die Band bis heute vorzugweise als Klassenkampfrocklegende
       gefeiert wird, ist Folge allgemeiner Klischeeverliebtheit]. Dabei hat sie
       musikalisch ein unendlich breites Spektrum bedient, wie sich besonders auf
       dem Doppelalbum „IV“ (1981) zeigte. Dort hat nicht zuletzt Lanrue seine
       ganze Vielseitigkeit als Komponist eingebracht.
       
       „Während Lindenberg und Grönemeyer eher auf a-Moll, D-Dur, C-Dur setzen,
       klangen diese Songs sehr komplex, zwischen Stones und Theatermusik und
       sogar bis zurück in die deutsche Romantik“, sagt Lutz Kerschowski, ein
       enger Freund und selbst Musiker. 1988 spielte er im Vorprogramm der
       legendären Ostberlin-Konzerte von Rio Reiser, bei denen Lanrue zum letzten
       Mal gemeinsam mit seinem Freund Rio auf der Bühne stand.
       
       [5][Während Reiser seit 1985 als Solist tätig war und auch kommerzielle
       Erfolge feierte], hatte sich Lanrue nicht konsequent mit Soloprojekten
       befasst. Songs für ein eigenes Album hatte er zwar fertig geschrieben, aber
       weil Rio die aufgrund seines Plattenvertrages nicht texten und einsingen
       durfte, blieb es unvollendet. Was ihn offenbar nur bedingt umtrieb. Er
       ruhte in sich selbst und beschenkte seine Freunde mit Bonmots wie „Rio ist
       der König von Deutschland, ich bin der Hausmeister des Universums“.
       
       Nach der Jahrtausendwende ging er für ein paar Jahre nach Portugal. Er sei
       nun Zitronenzüchter, sagte er. Nachdem sein Wohnwagen bei einem Waldbrand
       abgefackelt wurde, kehrte er wieder zurück nach Berlin. In den letzten
       Jahren kämpfte er mit dem Krebs, unterstützt von seiner Lebenspartnerin
       Anne. Am letzten Sonntag starb er im Kreis seiner Familie.
       
       17 Jul 2024
       
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