# taz.de -- 100 Jahre Disney: Von der Maus zum Blockbuster
       
       > Der US-Konzern Walt Disney Company wird 100: Ein kritischer Streifzug vom
       > frühen Ruhm eines Start-ups in Hollywood bis zur globalen Medienmarke.
       
 (IMG) Bild: Merci, Mausi: Walt Disney zeigt 1931 einer Katze einen Mickey-Mouse-Cartoon
       
       Zum 100-jährigen Jubiläum wurde unter dem Label „Disney 100“ ein Spot
       produziert, der das ganze Wesen der Marke zusammenfassen möchte: Kinder
       staunen mit leuchtenden Augen, wie sich ein Feuerwerk aus bunten Bildern
       vor ihnen entfaltet. Beliebte Figuren wie Mary Poppins, Buzz Lightyear,
       Arielle oder Micky Maus sind in Filmausschnitten zu sehen, daneben aber
       auch Hauptcharaktere aus [1][„Star Wars“, „Avatar“ oder „Marvel’s The
       Avengers“].
       
       Der Kauf einer Kinokarte ist heute nicht mehr notwendig, um in Disneys
       Traumwelten einzutreten – längst sendet der Mediengigant (Marktwert: 145
       Milliarden Dollar) auch Serien über Streamingdienste wie Disney+.
       
       Dabei fing alles ganz bescheiden an. Walter Disney, 1901 geboren, erlebte
       eine ärmliche Kindheit im US-Bundesstaat Missouri. Sie war geprägt von den
       beruflichen Fiaskos seines Vaters. Walt wollte selbst ein besserer
       Unternehmer werden. Früh von der Kunst des Trickfilms fasziniert,
       produzierte er schon 1920 mit seiner Firma Laugh-O-Gram in Kansas City
       Kurzfilme, ging aber pleite.
       
       1923 gründete er mit seinem Bruder Roy in Los Angeles die Disney Brothers
       Cartoon Studios (später umbenannt in Walt Disney Productions). Ihr erster
       Erfolge war die Serie „Alice’s Cartoonland“. Darin erlebte eine kindliche
       Darstellerin in einer animierten Welt Abenteuer. Schon in dieser
       originellen Kombination aus Live-Action- und Animationselementen zeigte
       sich Disneys Mut zum Experiment.
       
       ## Animierte Welt für Kinder
       
       Mit „Oswald the lucky Rabbit“ erzielten die Brüder einen noch größeren
       Serienhit. Oswald war Star in Dutzenden animierter Komödien, bis es zum
       Bruch mit dem Verleiher kam und Disney die Rechte am Hasen verlor.
       
       In die Kreation seiner neuen Figur „Mickey Mouse“ (deutsch Micky Maus)
       steckte Walt nun sein letztes Geld und sein ganzes Talent. Sein bester
       Zeichner Ub Iwerks entwarf die Figur nach Walts Skizzen und machte daraus
       einen vorlauten, rebellischen Charakter. Im Aufkommen des Tonfilms erkannte
       Walt enormes Potenzial. Den Micky-Film „Steamboat Willie“ konzipierte er
       trotz technischer Widrigkeiten nicht mehr als Stummfilm, sondern als „Sound
       Cartoon“.
       
       ## Am Steuerrad eines Dampfers
       
       Angefangen mit der Aufblende, in der Micky am Steuerrad eines Dampfers zu
       sehen ist und eine Melodie pfeift, choreografierte Disneys Team den
       gesamten Film nach der Musik und versah ihn zudem mit einer Fülle lustiger
       Toneffekte.
       
       Micky spielte etwa auf den Zähnen eines Nilpferds Xylofon und brachte damit
       das Premierenpublikum des New Yorker Colony Theatres im November 1928 zum
       Brüllen. Etwas derartig Witziges, das auf der Bild- und Tonebene perfekt
       synchron ablief, hatte man vorher noch nicht gesehen. Micky Maus’ Erfolg
       breitete sich über die Vereinigten Staaten aus, bis der Mäuserich die
       ganze Welt „eroberte“.
       
       Im Deutschland der Weimarer Republik zeugt etwa eine Zeichnung Karl Arnolds
       in einer Ausgabe des Satireblatts Simplicissimus aus dem Jahr 1931 von
       Mickys Berühmtheit: Charlie Chaplin, Tallulah Bankhead und andere Filmstars
       der Ära starrten ungläubig auf diese kleine Maus im Scheinwerferlicht, die
       ihnen frech grinsend die Show stahl. Untertitelt ist die Karikatur mit der
       Zeile: „Unverschämt, dieses Biest stellt unser aller Prominenz in den
       Schatten!“
       
       ## Ein Tier lebt im Jazzrhythmus
       
       Zeitungen, die über Mickys Premiere im Berliner Kino Universum berichteten,
       überschlugen sich in ihren positiven Besprechungen: „Micky ist in der Tat
       ein Tonfilmwunder. Ein Tier, das im Jazz-Rhythmus lebt“ (Film-Kurier, 18.
       1. 1930).
       
       Noch nie hatte eine gezeichnete Comic-Figur einen solchen Status erreicht.
       Die intellektuelle Elite der Weimarer Republik war fasziniert vom
       Animationsfilm und vor allem von Disneys Maus: Walter Benjamin erkannte
       etwa, dass der Erfolg der Filme darauf beruhe, „dass das Publikum sein
       eignes Leben in ihnen wiedererkennt“.
       
       Die „erdumkreisende Maus“ bewirke „eine therapeutische Sprengung des
       Unbewussten“. Micky Maus’ phänomenale Beliebtheit fiel in die Zeit der
       Weltwirtschaftskrise – die Menschen in den USA wie auch in Deutschland
       sehnten sich nach einem optimistischen Charakter wie Micky, einem
       Stehaufmännchen, das dem Alltag zu entfliehen half.
       
       ## Meilenstein Schneewittchen
       
       1934 arbeitete Walt Disney bereits an einem noch ehrgeizigeren Projekt, an
       das zuvor keiner außer ihm geglaubt hatte: den ersten abendfüllenden
       Zeichentrickfilm. 1937 verwirklichte er ihn mit „Schneewittchen und die
       sieben Zwerge“, bis heute ein Meilenstein des Genres.
       
       Er perfektionierte darin Zeichen- und Kameratechniken, erzielte
       dreidimensionale Effekte bei Kamerafahrten und schuf vor allem die Kunst
       der Charakteranimation: Animierte, bis dato lustige Figuren entwickelten
       sich in den Händen von Disneys Animatoren zu tiefgründigen Charakteren, mit
       denen sich das Publikum identifizieren konnte. Bei der Premiere sollen beim
       Tod von Schneewittchen Filmstars wie Clark Gable und Carole Lombard geweint
       haben!
       
       Die ganze Welt sprach von einer neuen Kunstform, die Disney geprägt hatte.
       „Pinocchio“, „Fantasia“ und „Bambi“ sind weitere Meisterwerke aus dieser
       Ära. Nicht zu vergessen ist der Einfluss von Disneys liebevoll animierten
       Filmen auf eine Generation junger Comiczeichner in Europa, darunter André
       Franquin („Marsupilami“), Morris („Lucky Luke“) und Albert Uderzo
       („Asterix“). Bevor diese ihre eigenen Figuren kreierten, wollten sie alle
       Trickfilmzeichner werden.
       
       ## Uncle Walt und der Finanzchef
       
       „Uncle Walt“ war in vielerlei Hinsicht ein Visionär: Die neu gebauten
       Studios und Büros sollten für alle Mitarbeitende geräumig und komfortabel
       sein, es gab Restaurants, ein Kino und Sportmöglichkeiten. Die Filme
       spielten jedoch oft zu wenig ein, um die Kosten zu decken. Ohne Walts
       Bruder Roy als solidem Finanzchef wären die Studios wohl bankrott gegangen.
       
       Walt Disneys Begeisterung für seine Projekte wirkte ansteckend. Er konnte
       aber auch ein Egozentriker und unerbittlicher Schinder sein. Den ersten
       Streik seiner Angestellten 1941 nahm er ihnen sehr übel, vor McCarthys
       „Ausschuss gegen unamerikanische Umtriebe“ denunzierte er gar einen
       aufmuckenden Zeichner als „Kommunisten“. Hier zieht sich eine Linie hin zu
       Bob Iger, dem amtierende CEO, der den jüngsten Autoren- und
       Schauspielerstreik in Hollywood abgelehnt hatte.
       
       Während Walt Disneys Leistungen für den Animationsfilm unbestritten sind,
       gelten manche seiner Spielfilme heute als veraltet, insbesondere da, wo sie
       die US-Geschichte nostalgisch schönfärbten und rassistische Klischees
       wiedergaben: Der Film „Song of the South“ (1946, dt. „Onkel Remus’
       Wunderland“) stellte etwa die afroamerikanische Bevölkerung als glücklich
       singende Sklaven dar.
       
       ## Vergnügungspark als Stützpfeiler
       
       Mit „Disneyland“, seinem ersten Erlebnis- und Vergnügungspark in Anaheim,
       Kalifornien, erzielte Walt Disney 1955 einen immensen Erfolg, der aus der
       finanziellen Krise führte und weitere Konzeptparks nach sich zog. Bis heute
       bilden sie einen wichtigen Stützpfeiler des Konzerns.
       
       Disneys konservatives Weltbild passte in den 1950er Jahren zum Zeitgeist,
       ab den sechziger Jahren wirkten die Filme zunehmend entrückt, während
       Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung die junge Generation politisierten.
       Nach einer abermaligen Erfolgswelle mit Filmen wie „Der König der Löwen“ in
       den 1990ern gelang der Ausbau des Konzerns mit dem Ankauf der Marken
       Marvel, Lucasfilm und [2][Pixar].
       
       Seit Disney sich vor 14 Jahren vom klassischen Zeichentrickfilm abwandte
       und einzig auf computeranimierte Filme setzt, läuft das Unternehmen Gefahr,
       nur noch seelenlose Feelgood-Blockbuster à la „Eiskönigin“ zu kreieren und
       überflüssige Spielfilmremakes der eigenen Klassiker wie „Das Dschungelbuch“
       herauszubringen, die möglichst allen gefallen sollen.
       
       Der Anspruch von „Uncle Walt“, immer bessere Filme zu machen, wird längst
       dadurch ersetzt, den Wert der Aktie Disney zu erhöhen. Und auch der Umgang
       mit vermeintlich anstößigen Stellen in älteren Filmen und Comics ist wenig
       überzeugend: Ganze Filme und [3][manch klassischer Donald-Duck-Comic] von
       Carl Barks werden still und leise vom Markt entfernt, zugunsten einer
       geglätteten Selbstdarstellung. Dabei verpasst Disney auch die Chance, seine
       eigenen Erzeugnisse und die Firmenhistorie selbst kritisch einzuordnen und
       zu kommentieren.
       
       Der Aufsteiger Walt Disney hat Hollywood verändert, er verkörperte den
       Amerikanischen Traum wie kein anderer. Ob sein visionärer Geist eines Tages
       wieder in künstlerisch überzeugenden Filmen zurückkehren wird, steht in den
       Sternen.
       
       23 Oct 2023
       
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