# taz.de -- 5 Jahre Pariser Klimaschutzabkommen: Papiertiger mit Biss
       
       > Ob das Pariser Abkommen Erfolg hat, entscheiden die nächsten Jahre. Klar
       > wird: Klimaschutz braucht Demokratie.
       
       Donald Trump hat in den letzten vier Jahren zum Thema Klima eigentlich nur
       Unsinn erzählt. Doch als er am 1.Juni 2017 ankündigte, die USA würden aus
       dem [1][Pariser Abkommen] zum Klimaschutz austreten, traf der US-Präsident
       den Nagel auf den Kopf. Er warnte, der Vertrag „würde unsere Wirtschaft
       unterminieren, unsere Arbeiter lähmen, unsere Souveränität einschränken,
       uns inakzeptablen juristischen Risiken aussetzen und uns dauerhaft zum
       Nachteil gegenüber anderen Staaten gereichen“.
       
       Das stimmt. Für „die Wirtschaft“, wie Trump sie versteht, ist das Pariser
       Abkommen tatsächlich eine Gefahr. Eine von Kohle, Öl und Gas befeuerte
       Industrie, die nicht umsonst Trump ins Amt verhalf, muss und wird in den
       nächsten Jahrzehnten verschwinden. Und Platz machen für eine neue Art des
       Wirtschaftens und Lebens.
       
       Das ist das Versprechen und gleichzeitig die Drohung von Paris. Aber das
       Abkommen ist noch mehr: Es fordert die Einsicht, dass globale Probleme nur
       mit globaler Kooperation zu lösen sind, bei der die Reichen den Armen
       helfen. Und es demonstriert, dass das nur mit einer breiten Beteiligung von
       Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft funktioniert.
       „Paris“ lehrt: Die Rettung der Welt funktioniert nur auf demokratischem
       Weg.
       
       Da ist es kein Wunder, dass nicht nur die Fossilien der Energiewelt gegen
       das Abkommen mobil machen, sondern auch die Autokraten rund um den Globus.
       Am fünften Geburtstag des vielleicht wichtigsten Abkommens der Menschheit
       zeigt sich: Ob Kooperation über nationale Borniertheit siegt, die Vernunft
       über die Angst vor der Veränderung, das Morgen über das Gestern und die
       Demokratie über die fossilen Oligarchien, das ist nicht in einem
       „Glücksfall der Geschichte“ am 12. Dezember 2015 in Paris festgelegt
       worden. Das entscheiden wir alle in den nächsten zehn Jahren.
       
       Kaum ein wichtiges internationales Abkommen wird gleichzeitig so unter- und
       überschätzt wie dieser Vertrag von ursprünglich 195 Staaten. Er ist
       gleichzeitig schwach und stark, vereint unmögliche Gegensätze und steht auf
       den Trümmern vieler gescheiterter Vorgänger. In der Bilanz reicht das
       bisher bei Weitem nicht für das wichtigste Ziel des Abkommens: Die
       Erderwärmung bis 2100 bei „deutlich unter 2 Grad Celsius“ zu stoppen und
       sogar auf 1,5 Grad hinzuarbeiten.
       
       Derzeit liegen wir nach neuen Berechnungen auf einem Pfad zu 3,2 Grad und
       damit in die Klimakatastrophe. Und die CO2-Emissionen sind weltweit bis
       2020 immer weiter gestiegen. Da ist es nur ein kleiner Anfang, wenn sie
       seit Jahren in den Industrieländern sinken und die EU sich nun zu einem
       schärferen Klimaziel von minus 55 Prozent bis 2030 durchgerungen hat.
       
       Das Pariser Abkommen schreibt neben der Temperaturgrenze fest, dass ab 2020
       jedes Jahr 100 Milliarden Dollar an Klimahilfen aus den Industrieländern in
       die Entwicklungsländer fließen. Und es verspricht eine klimaneutrale
       Weltwirtschaft „in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts“. Das sind konkrete
       Ziele, allerdings mit schwammigen Adressaten. „Paris“ schreibt nicht
       konkret vor, wer was tun muss. Sondern es sammelt Vorschläge der UN-Staaten
       ein und zwingt zur Verbesserung – auf dem Papier. Ob und wie die Pläne
       umgesetzt werden, steht nicht im Vertrag. Kein wichtiges Land wollte sich
       auf diese konkreten Zusagen einlassen.
       
       Das ist eine Schwäche – aber es entfaltet auch eine enorme Kraft. Denn es
       öffnet das Abkommen und seine Überwachung für die Öffentlichkeit. Anders
       als etwa bei einem Vertrag zur Abrüstung zählen nicht Inspektoren an
       geheimen Orten, wie viele Sprengköpfe vernichtet werden. Sondern die
       Gesellschaft debattiert, zum Beispiel in einem langen, zähen und ermüdenden
       Prozess in einer Kohlekommission, welche Kraftwerke abgeschaltet werden und
       wie viel Geld die betroffenen Regionen dafür bekommen.
       
       So haben die ArchitektInnen des Pariser Abkommens rund um den Vertrag eine
       „Achse der Willigen“ installiert, die alles daransetzt, die Lücke zwischen
       Verpflichtungen und Zielen zu schließen: Dass alle über 1,5 Grad reden
       (wovon in Paris selbst bis ganz zum Schluss nicht die Rede war), ist das
       Ergebnis eines Berichts des UN-Klimarats IPCC: 2018 zeigte ein von der
       Pariser Konferenz in Auftrag gegebener Spezialbericht, um wie viel größer
       die Bedrohung von Mensch und Natur bei 2 Grad ist.
       
       ## Druck von der Straße
       
       Das wiederum griff vor allem die junge Klimabewegung auf, die sich 2018
       formte – rund um Greta Thunberg, die deutsche Bewegung Fridays for Future
       oder die US-Bewegung Sunrise Movement. Die Bewegung erwies sich als so
       schlagkräftig, dass sie zur „grünen Welle“ rund um die Europawahl 2019
       beitrug und das deutsche Klimapaket 2019 ebenso beeinflusste wie den Green
       Deal der [2][EU-Kommission]. Ohne den Druck von Straße und Wissenschaft
       hätten sich außerdem weder die Bundesregierung noch die EU im selben Jahr
       zur „Klimaneutralität“ bis 2050 bekannt.
       
       Doch die indirekten Folgen von „Paris“ sind noch größer. Weltweit haben
       inzwischen Hunderte von Unternehmen für sich „wissenschaftsbasierte“
       Klimaziele formuliert. Nun wächst deshalb der Druck der Wirtschaftslobby
       für einen massiven Ausbau von erneuerbaren Energien oder grünem
       Wasserstoff. In den USA hat die „We are still in“-Bewegung von Städten,
       Staaten, Firmen, Kirchen, Umweltorganisationen und Universitäten den
       Klimaschutz gegen die Trumpisten verteidigt und den neuen Präsidenten Joe
       Biden zu ehrgeizigen Ankündigungen gezwungen.
       
       Weltweit sind Städte, Kommunen und Unternehmen zu Treibern von
       „nachhaltiger Entwicklung“ geworden, wie sie die UN-Staaten schon drei
       Monate vor „Paris“ in den Sustainable Development Goals beschlossen haben.
       Immer kräftiger fordert auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres von den
       Staaten ihre Verpflichtungen bei Klima, der Bekämpfung von Hunger, Armut,
       Unsicherheit und Krankheit ein.
       
       Druck kommt auch über die Gerichte. Weltweit liegen inzwischen Hunderte von
       Klagen vor, in denen Opfer des Klimawandels mit Bezug auf „Paris“
       Schadensersatz von Behörden, Staaten und Unternehmen verlangen. Und vor
       allem in der Finanzbranche wachen die Akteure seitdem auf: Der Druck
       wächst, Investitionen und Anlagen auf direkte und indirekte Risiken zu
       durchleuchten und „gestrandete Investments“ wie etwa Kohlekraftwerke zu
       meiden. Dass das so schnell gehen würde, haben in Paris nur wenige gehofft.
       
       ## Sorge ums gemeinsame Haus
       
       Rund um das unvollkommene Abkommen sind gut funktionierende Echokammern
       entstanden: Eine Armee aus Thinktanks und Forschungsinstituten treibt die
       Politik mit immer neuen Studien und Berechnungen vor sich her. Große
       Finanzinstitute wie Weltbank, Währungsfonds und öffentliche Banken stimmen
       in die Warnungen ein und weisen darauf hin, dass Wind- und Sonnenenergie
       häufig rentabler ist als Kohle. Auch der Papst mahnt zur Sorge um das
       „gemeinsame Haus“. Die Medien greifen diese Themen auf und verstärken sie.
       Sichtbare Katastrophen wie die großflächigen Waldbrände in Australien,
       Kalifornien und Sibirien, das Schmelzen des arktischen Eises und die
       Dürresommer machen aus dem abstrakten Klimawandel eine Katastrophe, die
       unter die Haut geht.
       
       In der Coronapandemie beschleicht viele erstmals eine Ahnung davon, was
       passieren kann, wenn die Natur weltweit nicht mehr nach menschlichen Regeln
       spielt. Ironischerweise sind 2020, wo der Mensch die Kontrolle über das
       Virus verloren hat, die [3][weltweiten CO2-Emissionen] um etwa 7 Prozent
       gefallen – exakt der Rückgang, den wir für einen Kurs auf 1,5 Grad jedes
       Jahr bis 2030 brauchen. Das heißt nicht, dass Corona die beste Klimapolitik
       macht. Aber es bedeutet, dass jetzt endlich die Chance besteht, mit einer
       „grünen Erholung“ der Weltwirtschaft die Emissionskurve wirklich nach unten
       zu biegen.
       
       Das Pariser Abkommen zeigt: Effektive Klimapolitik braucht Transparenz und
       Teilhabe, also: Demokratie. Nur eine freie Wissenschaft liefert verlässlich
       ungeschönte Daten, die das Problem beschreiben. Nur unzensierte Medien
       bringen die nötigen Informationen unter die Leute. Nur wenn Widerspruch,
       Protest und neue Ideen nicht als Verrat betrachtet werden, kann Druck auf
       die Politik Veränderungen bewirken. Nur selbstbewusste Unternehmen fordern
       vom Staat Rahmenbedingungen, um auch in 30 Jahren noch im Geschäft zu sein.
       Und nur unabhängige Gerichte verurteilen Regierungen dazu, beim Klimaschutz
       nachzulegen.
       
       Es ist daher kein Zufall, dass die Autokraten der Welt gleichzeitig die
       größten Klimakiller sind. Jair Bolsonaro fackelt ungestört den Regenwald
       ab; kaum ein Ölstaat jenseits von Norwegen akzeptiert eine politische
       Opposition; Erdoğans Türkei sperrt sich gegen das Pariser Abkommen ebenso
       wie ein Russland, das von Oligarchen aus der fossilen Industrie beherrscht
       wird, oder die USA unter Donald Trump. Auch das autoritäre China, das sich
       gern einen grünen Anstrich gibt, hat zwar einzelne Felder wie E-Mobilität
       als Zukunftsthemen besetzt. Aber öffentliche Debatte, freie Forschung,
       Druck, Protest und alternative Ideen könnten die Volksrepublik
       wahrscheinlich viel schneller auf einen wirklich grünen Kurs bringen als
       derzeit geplant.
       
       Für einen zahnlosen Tiger kann das Pariser Abkommen ganz schön fest
       zubeißen. Es ist aber kein Selbstläufer. „Paris“ liefert die Ziele.
       Umsetzen muss sie die globale Zivilgesellschaft. Das zeigt sich gerade
       konkret beim Kampf um die Billionenhilfe für die wirtschaftliche Erholung
       nach Corona. Allen Ökoschwüren zum Trotz fließt dabei bisher mehr Geld in
       alte fossile Strukturen als in grüne Zukunftstechnologien. Um das zu
       ändern, müssen alle Hilfsgelder für Kraftwerke, Fluglinien oder Gebäude,
       Subventionen für die Landwirtschaft, neue Städte oder nachhaltige Mobilität
       daran gemessen werden, ob sie den Weg zu Nullemissionen eröffnen. Der
       Maßstab dafür muss das Pariser Abkommen sein.
       
       Um es noch einmal mit dem Klimaexperten Donald Trump zu sagen: „In der
       Geschichte tendieren diese Abkommen dazu, immer ehrgeiziger zu werden. Mit
       anderen Worten, das Pariser Rahmenabkommen ist ein Anfangspunkt, kein
       Endpunkt.“ Man kann nur hoffen, dass Trump damit recht behält.
       
       13 Dec 2020
       
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