# taz.de -- AfD vor Landtagswahl Sachsen-Anhalt: Der müde Sturm
       
       > Die AfD in Sachsen-Anhalt wirkt verbraucht, punkten will sie mit
       > schrillen Positionen. Ihr Spitzenmann ist ein Ex-Schrottautohändler.
       
 (IMG) Bild: Zieht keine Massen auf den Marktplatz – AfD-Kundgebung in Weißenfels am 20. Mai
       
       DRESDEN taz | Die Wahlkampfauftritte der AfD Sachsen-Anhalt lassen nicht
       gerade eine 20-Prozent-Partei vermuten, eher eine „Altpartei“. Ihrer
       Ignoranz gegenüber der Pandemie folgend, hält sie am traditionellen
       Straßenwahlkampf fest. Doch auf den Markt in Weißenfels sind vor wenigen
       Tagen nur hundert Anhänger gekommen, in Magdeburg kaum mehr. Auch der
       angekündigte große Apokalyptiker und [1][Rechtsaußen Björn Höcke] erscheint
       nicht.
       
       Umso lauter brüllt heiser und im Führerduktus der stellvertretende
       Landesvorsitzende Hans-Thomas Tillschneider. Revolutionäre Aufruhrstimmung
       erzeugt er in Weißenfels damit auch nicht gerade. Die heterogene
       Anhängerschaft scheint nur gekommen, um ihre schlechte Laune
       gemeinschaftlich zu zelebrieren.
       
       „Wir sind nicht verpflichtet, alle Hungerleider dieser Welt
       durchzufüttern“, hetzt Tillschneider, in grüner Trachtenjacke mit
       Hornknöpfen. „Unser Geld für unser Volk!“ Und wenn er Verständnis für alle
       Impfverweigerer bekundet, folgt er den ersten acht Seiten des
       AfD-Landtagswahlprogramms, das Kritiker der Coronaschutzmaßnahmen
       einzufangen versucht.
       
       Tillschneider, promovierter Islamwissenschaftler und strammer Nationalist,
       ist in der Landtagsfraktion und Landespartei Sachsen-Anhalt der eigentliche
       Scharfmacher. Der 43-Jährige wird seit dem Vorjahr vom Verfassungsschutz
       mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht.
       
       ## Bismarck und Hindenburg als Vorbild
       
       Er war Mitglied der Patriotischen Plattform der AfD, pflegt Kontakte zu den
       Identitären, zu Burschenschaften, zur Ein-Prozent-Bewegung, zu Pegida, zum
       Compact-Magazin oder dem Antaios-Verlag von Götz Kubitschek. Aber
       Tillschneider ist nicht der Spitzenkandidat seiner Partei zu den
       bevorstehenden Landtagswahlen. Möglicherweise könnten sich gutbürgerliche
       Unzufriedene von seiner Radikalität abgeschreckt fühlen.
       
       Auch der AfD-Landeschef Martin Reichardt steht nicht auf Platz eins,
       sondern will wieder in den Bundestag. Als Spitzenkandidat wurde der eher
       hausbackene 54-jährige KfZ-Mechaniker Oliver Kirchner nominiert. Aber auch
       er unterzeichnete 2015 die „Erfurter Resolution“, mit welcher der
       völkisch-nationalistische „Flügel“ der AfD seinen Weg zur Beherrschung der
       gesamten Partei antrat.
       
       Kirchners Idole sind die früheren Reichskanzler Bismarck und Hindenburg,
       wie die Dekoration seines Landtagsbüros zeigt. Bis zum Einzug in den
       Landtag 2016 handelte der gebürtige Magdeburger noch mit Schrottautos,
       legte dann aber eine steile politische Karriere hin. Er verdankt sie dem
       Zerwürfnis des früheren Partei- und Fraktionschefs André Poggenburg mit der
       AfD 2018, der daraufhin den inzwischen bedeutungslosen „Aufbruch Deutscher
       Patrioten“ gründete. Zwei Jahre zuvor hatte dieser die AfD noch zum
       Sensationswahlergebnis von 24,3 Prozent geführt.
       
       Die radikalsten Kreise der Landes-AfD desertierten aber nicht zu
       Poggenburg, sondern blieben. Darunter auch Kirchner, der zu dessen
       Nachfolger an der Spitze der Landtagsfraktion aufstieg. In der letzten
       Landtagssitzung vom April verteidigte Kirchner übrigens den nun
       fraktionslosen Poggenburg, als der von Landtagspräsidentin Gabriele
       Brakebusch gemahnt wurde, endlich zur Sache zu reden.
       
       ## Extremes Personal und extreme Inkompetenz
       
       Im Wahlkampf scheint Kirchner Kreide gefressen zu haben. In Fragerunden von
       Rundfunk und Printmedien gibt er sich Mühe, anschlussfähig an die Mitte zu
       wirken. Natürlich wettert er gegen die „Rotationseuropäer“, also die Sinti
       und Roma im Magdeburger Norden, gegen den „linksradikalen“ Miteinander e.V.
       und sieht im Synagogen-Attentäter von Halle einen Einzeltäter. Aber er
       interpretiert Höckes Holocaust-„Denkmal der Schande“ auch als Erinnerung an
       die „Schande, die Deutschland auf sich geladen hat“, sieht in Juden
       „Menschen wie wir“ und räumt ein, dass die AfD eine „männergeprägte Partei“
       sei.
       
       Solche Köder können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der
       Landesverband Sachsen-Anhalt mit zuletzt 1.366 Mitgliedern als einer der
       radikalsten in der AfD gilt. Ein Blick in das in rüdem Ton gehaltene
       Wahlprogramm lässt ahnen, warum ihn das Landesamt für Verfassungsschutz im
       Januar dieses Jahres als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft hat.
       
       „Die AfD bekennt sich ausdrücklich zum Recht, Waffen zu besitzen“, lautet
       einer dieser Wildwest-Sätze, die an den nur knapp gescheiterten
       Bewaffnungsantrag auf dem Dresdner Bundesparteitag erinnern. Die
       Landeszentrale für Politische Bildung soll abgeschafft und durch ein
       „Landesinstitut für staatspolitische Bildung und kulturelle Identität“
       ersetzt werden. Gleichstellungspolitik speziell an Universitäten gilt der
       AfD als Teufelszeug, „denn sie arbeitet mit der systematischen
       Privilegierung von Frauen und diskriminiert gezielt Männer“.
       
       Der Satz „Kunstfreiheit ist kein Anspruch, jeden Schund gefördert zu
       bekommen“ zielt auf Neue Musik oder Theater, denen die so genannte
       Alternative die Förderung halbieren oder komplett streichen will.
       Ausdrücklich nimmt sie sich dabei die Gleichschaltung von Kultur und Medien
       im Orban-Ungarn zum Vorbild.
       
       Für solches Getöse war die AfD in der ablaufenden Legislaturperiode auch im
       Landtag berüchtigt und kassierte 16 der insgesamt 18 Ordnungsrufe. Hinter
       den Kulissen in den Ausschüssen sah es nach Beobachtungen des
       Politikwissenschaftlers Michael Kolkmann von der Uni Halle-Wittenberg
       hingegen viel dürftiger aus: „Sacharbeit findet praktisch nicht statt.“
       
       Ungeachtet des extremen Personals und dessen extremer Inkompetenz hat der
       AfD-Bundesvorsitzende Meuthen für den [2][Wahltag am 6. Juni] die
       Entscheidungsschlacht propagiert, um erstmals stärkste Kraft in einem
       Bundesland zu werden. Genau dieses Ziel aber könnte, wie 2019 in Sachsen,
       Wähler abschrecken und zur CDU zurückführen. In Umfragen liegt die AfD
       derzeit bei 20 Prozent und damit hinter dem Schockergebnis von 2016. Aber
       spätestens seit jenen 12,9 Prozent, welche die rechtsextreme DVU 1998 aus
       dem Stand bei der Landtagswahl erreichte, gelten die Wähler in
       Sachsen-Anhalt als die unberechenbarsten in Deutschland.
       
       26 May 2021
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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