# taz.de -- Alice Schwarzer gegen Judith Butler: Mehr als ein Zank nebenbei
       
       > Patsy L'Amour LaLoves Buch „Beißreflexe“ ist der Trigger eines erhitzten
       > Streits. Der macht die Trennlinien des feministischen Diskurses sichtbar.
       
 (IMG) Bild: „Rohe Bürgerlichkeit“? Oder strikt an Menschenrechten orientiert? Alice Schwarzer
       
       Das ist ein Konflikt, der es in sich hat, und begonnen hat er vor einigen
       Monaten, als die Berliner Polittunte Patsy L'Amour LaLove eine Textsammlung
       im Berliner Querverlag veröffentlichte, Titel: „Beißreflexe“. Eine
       Essaysammlung der Kritik an queerfeministischen Positionen und
       Zeitgeistern. In diesem Kompendium, das Didier Eribons „Rückkehr nach
       Reims“ als Buch der Stunde in den linken Szenen abgelöst hat, schrieb auch
       der Historiker Vojin Saša Vukadinović – sein Text war auch in der
       [1][feministischen Zeitschrift Emma] zu lesen.
       
       Seine These: Die Gender-Studies haben die politischen Anliegen der
       Frauenbewegung zugunsten eines queerfeministischen Einerleis zerstört.
       Kritisiert wird von ihm etwa die Relativierung islamistischer Gewalt durch
       queerfeministische Denkerinnen, auch durch Frauen wie Judith Butler und (in
       Deutschland an der TU Berlin lehrend) Sabine Hark.
       
       In der [2][Zeit vom 2. August] antworteten diesem Beitrag nun Sabine Hark
       und Judith Butler ausführlichst, Titel: „Die Verleumdung“. Im Mittelpunkt
       ihrer Kritik an Vukadinović heißt es: „Auch linke, queerfeministische und
       antirassistische Kontexte sind von der epidemischen Ausbreitung dieser
       ‚rohen Bürgerlichkeit‘ (Wilhelm Heitmeyer) nicht gänzlich verschont
       geblieben – eine Entwicklung, die zweifellos dringend der Reflexion und
       Kritik bedarf. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Tragik, dass einige
       Autoren und Autorinnen, die reklamieren, der kritischen Reflexion
       verpflichtet zu sein, sich mit genau jener rohen Bürgerlichkeit und der ihr
       eigenen Grammatik der Härte gemeingemacht haben.“
       
       Das gibt zu denken: Interessant an dem Beitrag in dem auflagen- und
       verbreitungsqualitativ viel stärkeren Medium als die Emma es ja war, ist
       vor allem, dass er im Zentralorgan moderner Bürgerlichkeit, eben der Zeit,
       erscheinen konnte. Die Befunde queerfeministischer Forschung nach Butlers
       und Harks Gusto scheinen auch dort prinzipiell auf Sympathien zu stoßen.
       Mehr noch faszinierte an dem Text der beiden Autor*innen jedoch, dass sie
       nirgends auch nur spurenweise auf die Argumente des „Beißreflexe“- und
       Emma-Autors eingehen, nur, siehe Zitat, sich darüber beklagen, wie schroff
       der Ton der Kritik an ihnen und ihrem Wissenschaftsverständnis ausgefallen
       sei.
       
       Aber Argumente? Dass manch queerfeministische Autor*innen die „westlichen“
       Errungenschaften des Feminismus, aber auch der „Ehe für alle“ in
       Deutschland als homonationalistisch unwertschätzend abtun; dass sie das
       Tragen der Burka etwa als genuine Möglichkeit weiblicher Freiheit
       (miss-)verstehen? Keines, nicht ein einziges. Dafür wird, einmal mehr,
       „Emma“ und Alice Schwarzer „Rassismus“ attestiert, weil sie, die
       Zeitschrift und ihre Herausgeberin, die Kölner Übergriffe auf Frauen in der
       Silvesternacht 2015/2016 als muslimisch, in den Worten Gilles Kepels, als
       „Dschihadismus von unten“ gegen Frauen begriffen. Für Hark und Butler sind
       dies Zuschreibungen, die rechten Kräften weltweit nützen, Rassist*innen und
       Islamophoben.
       
       ## Es geht natürlich um Sprechverbote
       
       Draufhin, kein Wunder, [3][antwortet, seit gestern auch online], Alice
       Schwarzer, ebenfalls in der Zeit. Sie schreibt unter der Überschrift,
       genauso wenig zimperlich: „Der Rufmord“, dass Butler und Hark eine
       Relatierung der Gewalt gegen Frauen betrieben – sie spielten die Kämpfe
       gegen Rassismus und Frauen aus. Am Beispiel der Kölner Silvesternacht
       schreibt Schwarzer:
       
       „Das nicht erkennen zu wollen ist in der Tat rassistisch. Denn es nimmt
       alle Muslime in Zwangsgemeinschaft mit diesen frustrierten, entwurzelten,
       fanatisierten Männern. Es ignoriert, dass der Geist, in dem die Männer in
       Köln gehandelt haben – dieses fatale Gebräu aus patriarchaler Tradition und
       fundamentalistischem Islam – keineswegs gleichzusetzen ist mit ‚dem‘
       Islam.“
       
       Und in diesem Absatz steckt die wahre Kontroverse – es geht natürlich auch,
       wie es in den „Beißreflexen“ heißt, um Sprechverbote, die auch Hark und
       Butler betreffen, um inquisitorisch anmutende Moralen im Sinne von „Das
       darf man nicht sagen, weil es sonst den Rechten nützt“, es geht um den Rang
       von Menschenrechten.
       
       Schwarzer, nun wahrlich keine Linke, beharrt darauf, dass es zunächst und
       vor allem um den Schutz von Schwächeren, das heißt historisch gesehen immer
       von Frauen, Minderheiten wie Schwulen und Lesben und Trans* geht, nicht um
       kulturalisierende Verniedlichungen von politischen Regimen wie dem Iran, wo
       Frauen Kopftücher tragen müssen, wollen sie nicht drakonische Strafen
       riskieren oder gar den Tod. Was Butler und Hark einer wie Alice Schwarzer
       übelnehmen müssen, ist wohl auch der Umstand, dass die Emma-Herausgeberin
       schon in der Geburtsstunde der Islamischen Republik Iran Ende der siebziger
       Jahre die Gefahr für Frauen erkannte und die Linke immer dafür kritisierte,
       genau dies kaum oder erst viel zu spät für wichtig genommen zu haben.
       
       Der Streit, ausgehend von den „Beißreflexen“ Patsy L'Amour LaLoves und der
       Emma, ausgetragen in der Zeit, repräsentiert die Trennlinie des
       feministischen Diskurses: hier die Menschenrechtsorientierten, die – etwa
       in den muslimischen Communities – für alle eintreten, die sich von den
       religiösen Zwangsregimen lösen wollen, wie Seyran Ates etwa; dort die
       Kulturalisten und Queeristen, die zum Teil in der Kritik an Muslimen
       Islamophobie erkennen wollen – und davor warnen, dass jeder Einwand gegen
       islam(ist)ische Praxen als den Rechten dienlich abtun oder von sich weisen.
       
       11 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569
 (DIR) [2] http://www.zeit.de/2017/32/gender-studies-feminismus-emma-beissreflex
 (DIR) [3] http://www.zeit.de/2017/33/gender-studies-judith-butler-emma-rassismus/komplettansicht
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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