# taz.de -- Anwältin über Homophobie in Afrika: „Ich muss ihre Schutzmauer sein“
       
       > Alice Nkom kämpft in Kamerun für die Rechte Homosexueller. Ein Gespräch
       > über ihre Gegner, Ehe für alle und Erwartungen an den Westen.
       
 (IMG) Bild: Alice Nkom kämpft in Kamerun für die Menschenrechte. Sie betreut vor allem junge Homosexuelle.
       
       taz: Frau Nkom, Sie waren im Juni zu Gast beim evangelischen Kirchentag in
       Stuttgart, um dort zu sprechen. Kirche und Homosexualität – wie passt das
       zusammen? 
       
       Alice Nkom: Als ich zum Kirchentag eingeladen wurde, um über meine Arbeit
       zu sprechen, freute ich mich zunächst, denn in Kamerun tut man alles dafür,
       mein Anliegen zu unterdrücken. Kurz vor dem Termin änderte sich aber mein
       Bild der Kirche, und ich war dem Treffen wenig positiv gesonnen...
       
       Warum hat sich Ihre Meinung so plötzlich verändert? 
       
       Ich sah die protestantische Kirche immer als offener als die katholische.
       Ich dachte, sie würde die Liebe als christlichen Wert mehr schätzen. Ich
       habe schließlich Jahrzehnte damit verbracht, die katholische Kirche zu
       bekämpfen, denn sie gilt bei uns als Hauptantrieb für Homophobie. Im Januar
       war ich jedoch in Douala zu einer evangelischen Hochzeit eingeladen. Die
       Pastorin sagte, dass nur die heterosexuelle Ehe eine wahre Ehe sei. Und
       zwei Männer oder zwei Frauen, die sich lieben, so etwas dürfe es nicht
       geben. Die Homophobie, die dort gepredigt wurde, hat mein Bild der
       evangelischen Kirche komplett verändert.
       
       Sie sind bekannt in Douala, die Gäste in der Kirche wussten, wofür Sie
       stehen. Mussten Sie nicht darauf reagieren? 
       
       Natürlich. Leider gab es dort ja keine Debatte, ich konnte nicht antworten,
       nur für mich denken ‚Sie hat wohl vergessen, dass die Ehe Liebe ist. Nicht
       Sex.‘ Also habe ich meine Sachen genommen und mit viel Getöse die Kirche
       verlassen. So konnte ich immerhin ein Zeichen setzen. Aber mit der Kirche,
       auch der evangelischen, hatte ich danach gebrochen.
       
       Und trotzdem wollten Sie der Einladung zum Kirchentag folgen? 
       
       Die Vorbereitungen waren schon im Gange, ich musste zu meiner Zusage
       stehen. Ich wollte hinfahren und ihnen erklären, dass ihre Werte nicht mehr
       die meinen sind. Glücklicherweise fand ich in Stuttgart dieses Gefühl von
       Liebe, Demut und Menschlichkeit wieder, das für mich die Christlichkeit
       ausmacht. Denn im Glauben geht es nicht um Sexualität.
       
       Sie sagten, in Kamerun ist es vor allem die Kirche, die die Homophobie
       vorantreibt. Wie lassen sich dann Christentum, Glaube und Homosexualität
       vereinen? 
       
       Würde man die Menschen fragen, was für sie christliche Werte sind, würde
       doch wohl kaum jemand Heterosexualität antworten! Es geht vor allem bei der
       Ehe darum, eine Liebe zu segnen. Und dann folgt man Prinzipien, wie der
       Ehrlichkeit und voilà, das ist alles. Der Priester hat nicht das Recht zu
       bestimmen, wie diese Liebe auszusehen hat. Sexualität ist einfach nur ein
       Nebenprodukt der Liebe. Und da gilt das gleiche wie bei Schuhen: Es gibt so
       viele davon, jeder hat seine eigene Größe. Am Ende zählt nur, dass sich
       deine Füße wohl fühlen.
       
       In Irland wurde kürzlich in einem Referendum die Ehe für alle beschlossen,
       auch in anderen Ländern setzt man sich nun stärker dafür ein. Ist das für
       Sie auch ein Thema? 
       
       Es ist toll, was in Irland passiert ist. Das Referendum hat auch gezeigt,
       dass das, was die katholische Kirche dort predigt, weit entfernt ist von
       dem Glauben der Menschen. In Kamerun befinden wir uns jedoch auf einer
       anderen Stufe, der untersten. Die Homosexualität existiert ja offiziell gar
       nicht. Wir müssen hier erst einmal komplett aufräumen.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Es darf nicht mehr sein, dass jemand öffentlich sagt, Homosexuelle seien
       wertloser als jedes Tier. Homosexuelle müssen also erst einmal in den Kreis
       der Menschen geholt werden. Laut Gesetz ist die homosexuelle Handlung
       strafbar. Tatsächlich kommen Menschen bereits für Verdachtsmomente in den
       Knast, wie für zu weibliches Aussehen, oder – im Fall von Jean-Claude Roger
       Mbede – eine SMS. Er schrieb einem Freund, dass er ihn liebt, und wurde zu
       drei Jahren Gefängnis verurteilt. Homosexuelle werden geächtet, verstoßen.
       Ihr Kampf geschieht im Unsichtbaren. In der kamerunischen Gesellschaft darf
       es sie im Moment gar nicht geben.
       
       Wie sieht ihre konkrete Arbeit, ihr Beitrag dazu aus, die Homosexuellen in
       der Gesellschaft sichtbar zu machen? 
       
       Die Menschen hören von Bekannten von unserem Zentrum oder sehen mich im
       Fernsehen. Sie kommen, weil sie hoffen, dass sie bei mir Antworten und
       Hilfe finden. Und dann darf ich sie nicht enttäuschen. Wenn sie schon den
       Mut haben, zu mir zu kommen, dann muss ich ihre Schutzmauer, ihr Bollwerk
       sein. Ich konzentriere mich vor allem auf Bildung. Denn ohne Wissen kann
       man sich nicht organisieren.
       
       Am wichtigsten ist es, die jungen Leute über ihre Rechte aufzuklären. Zum
       Beispiel darf die Polizei niemanden einfach anhalten und kontrollieren.
       Wenn man seine Rechte kennt, dann ist wenigstens ein Kampf schon gewonnen.
       Außerdem verteidige ich die jungen Leute vor Gericht, begleite sie auch
       während ihrer Zeit im Gefängnis. An dem Tag, an dem sie dort rauskommen,
       haben sie oft keinen Zufluchtsort mehr. Auch dann muss jemand an ihrer
       Seite sein. Ich kann dann nicht einfach sagen, die Verhandlung ist
       gewonnen, und tschüss. Gerade auf dieses Leben müssen wir sie vorbereiten.
       
       Wo muss man denn am dringendsten ansetzen? 
       
       Wissen Sie, der Präsident des obersten Gerichtshofs wollte aus dem Gericht
       einen Ort machen, der die Menschenrechte schützt. Inzwischen ist es so
       hohl, dass es das Gesetz nicht anwendet, sondern nur noch Befehle der
       Regierung ausführt. Kamerun hat zugesichert, Menschenrechtsabkommen zu
       achten. Jetzt muss die internationale Diplomatie unserem Präsidenten dabei
       helfen, seine eigenen Rechte zu respektieren und einen Rechtsstaat
       einzuführen.
       
       Wie soll die internationale Politik Kamerun konkret helfen? 
       
       Die G7 hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin vom Gipfel
       ausgeschlossen, weil er mit der Annexion der Krim gegen Völkerrecht
       verstoßen hat. Und ich bin froh, dass ihm die Politiker gezeigt haben, dass
       es Grenzen gibt. Auch dem kamerunischen Präsidenten könnte man sagen, wenn
       es so weiter geht, dürfe er nicht mehr in die EU einreisen.
       
       Aber wenn sich wirklich etwas ändern kann, dann nur über wahre
       Demokratisierung. Wir brauchen ein neues System, dass die Zivilgesellschaft
       nicht direkt im Keim erstickt. Eine echte Demokratie, in der Menschenrechte
       respektiert werden. Wir brauchen die Hilfe des Westens, der uns
       unterstützt, aber am Ende müssen wir dazu in der Lage sein, diesen Kampf
       selber kämpfen zu können.
       
       Kann der Menschenrechtspreis, der Ihnen im letzten Jahr von Amnesty
       International Deutschland verliehen wurde, dabei helfen? Wurde diese
       Auszeichnung in Kamerun überhaupt beachtet? 
       
       Ja, darüber wurde in Kamerun berichtet, positiv und negativ. Solch eine
       Auszeichnung bedeutet vor allem Aufmerksamkeit, ohne die NGOs und
       Menschenrechtsverteidiger nicht arbeiten, nicht überleben könnten. Die
       Aufmerksamkeit ist ein Schutz für uns, denn in Kamerun wir werden oft
       bedroht. Außerdem hat Amnesty mit seiner Arbeit geholfen, uns in Bewegung
       zu setzten. Wie einen langsam rollenden Wagon, der nun endlich an eine
       schnelle Lok gekoppelt ist. Sonst kämen wir kaum vom Fleck und nirgendwo
       an.
       
       Sie richten sich an die internationale Politik. Sehen Sie den Kampf für die
       Rechte der Homosexuellen also als einen globalen Prozess? 
       
       Ja, das ist ja kein Einzelproblem. Überall auf der Welt werden Menschen
       wegen ihrer Sexualität verfolgt und darum zu Flüchtlingen. Man muss diesen
       Kampf zu einer internationalen Angelegenheit machen, wie beispielsweise bei
       der Bewegung gegen Boko Haram. Menschen aus aller Welt müssen an ihre
       Regierungen appellieren, damit diese Druck ausüben können auf andere
       Staaten. Die Rechte der Homosexuellen sind Menschenrechte. Und die sollten
       jeden interessieren.
       
       12 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michelle Trimborn
       
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