# taz.de -- Arbeiterkinder an Universitäten: Schwierig bis zuletzt
       
       > Als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund ist man an Universitäten eine
       > Ausnahme. Das Wichtigste ist, den Glauben an sich selbst nicht zu
       > verlieren.
       
 (IMG) Bild: Immer schön fleißig
       
       Vor genau zehn Jahren betrat ich das erste Mal eine Universität. Ich begann
       mein Lehramtsstudium an der Uni Wien und war die Erste in meiner Familie,
       die studierte. Das mächtige Gebäude schüchterte mich ein, noch mehr
       verunsicherten mich der Fremdwörtergebrauch und die Selbstverständlichkeit,
       mit der sich andere Studierende in diesem akademischen Raum bewegten.
       
       In der ersten Lehrveranstaltung war mein Name der einzige, der nicht
       österreichisch klang, das sollte noch viele Semester so bleiben. Wenn mich
       Uniprofessor*innen vor anderen für mein Deutsch lobten, wollte ich im
       Erdboden versinken, ich war doch schließlich in Österreich aufgewachsen.
       
       Ich studierte Germanistik. Mit den anderen Studierenden wurde ich nie
       wirklich warm, was zum Teil daran lag, dass ich nach der Uni gleich zu
       meinem Nebenjob hetzte. So bekam ich auch nichts vom wilden Studentenleben
       mit, aus Kostengründen lebte ich noch zu Hause, durchzechte Partynächte
       waren bei meinen Eltern nicht drin.
       
       Ich spürte damals, dass meine Eltern dachten, dass ich das Studium nie
       beenden würde, obwohl ich stets in der Mindeststudienzeit blieb, um meine
       Beihilfen nicht zu verlieren. Aber das sagte ihnen nichts, all das war so
       weit weg für sie, sie wussten weder, wann ich Prüfungen hatte, noch, wie
       man zu meiner Uni kommt.
       
       ## Du bist nicht allein
       
       Persönliche Entfaltung, Weltoffenheit – das spielte keine Rolle, alles, was
       zählte, war, dass ich einmal gutes Geld verdienen würde, das war meine
       einzige Legitimation zu studieren. Auslandsaufenthalte, Studentenpartys –
       das waren nur Ablenkungen. Es ist nicht so, dass meine Eltern nicht an mich
       geglaubt hätten, sie wussten einfach, dass sie mich nicht unterstützen
       konnten, weder finanziell noch mit geistigem Kapital.
       
       „Wer hat die [1][Wozzeck-Oper] geschrieben?“, war die letzte Frage, die mir
       bei der Abschlussprüfung gestellt wurde. „Alban Berg“, ich wusste die
       Antwort und bekam meinen ausgezeichneten Erfolg. Vor der Uni wartete keine
       jubelnde Familie auf mich, ich hatte niemandem gesagt, dass ich Prüfung
       hatte, weil ich bis zuletzt daran gezweifelt hatte, die Uni zu schaffen.
       
       Bei der offiziellen Diplomverleihung betraten meine Eltern das erste Mal
       meine Uni, ich sah ihnen an, dass sie sich hier so fremd fühlten wie ich.
       Sie waren erleichtert, als die Zeremonie vorbei war – darüber, dass ihre
       Tochter das Studium beendet hatte und dass sie das Unigebäude verlassen
       konnten. „Was hast du nochmal studiert?“, fragte mich mein Vater auf dem
       Nachhauseweg.
       
       Falls also irgendein Erstsemester mit einer ähnlichen Ausgangslage das
       liest: Du bist nicht allein mit diesem Gefühl, es gibt immer mehr von uns,
       und trotzdem sind wir Arbeiterkinder – noch dazu mit Migrationshintergrund
       – eine Ausnahme an den Unis. Du wirst an dir zweifeln und du wirst es
       trotzdem schaffen, auch wenn du wie ich bis zuletzt nicht daran glaubst.
       
       15 Oct 2019
       
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