# taz.de -- Arte-Doku über Jacques Derrida: Auf Abstand zum Zentrum
       
       > Zum 10. Todestag des Philosophen Jacques Derrida zeigt Arte eine
       > Dokumentation über das Leben des Begründers der Dekonstruktion.
       
 (IMG) Bild: Er blieb stets auf Distanz zur institutionellen Philosophie: Jacques Derrida.
       
       „Das Zentrum ist nicht das Zentrum“ lautet eine der paradox anmutenden
       Formulierungen Jacques Derridas. Dieser Satz zieht sich indirekt als
       Inszenierungsidee durch den gesamten Dokumentarfilm „Jacques Derrida oder
       Der Mut zum Denken“ der Filmemacherin Virginie Linhart und des Biografen
       Benoît Peeters über den französischen Philosophen, der heute vor 10 Jahren
       verstarb: Schon in der ersten Minute ist Derrida darin als Denker zu sehen,
       der sich am Rand hielt. Und zwar in seinem Haus in Ris-Orangis, einem
       Vorort von Paris.
       
       Dieser „Abstand zum Zentrum“, den ihm sein Philosophen-Kollege Étienne
       Balibar in einer Szene bescheinigt, kennzeichnet viele Stationen im Leben
       Derridas. So wurde er 1930 als französischer Jude in Algerien geboren, das
       damals als Kolonie Frankreichs fernab des Hauptgeschehens lag. Als Jude
       wurde er diskriminiert: Er durfte 1942 nicht aufs französische Gymnasium,
       weil er durch die antisemitischen Gesetze des Vichy-Regimes seine
       französische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Später in Frankreich
       brauchte er mehrere Anläufe, um an der École normale supérieure studieren
       zu können, und seine eigene Lehre sollte stets auf Distanz zur
       institutionellen Philosophie bleiben.
       
       Von diesen Stationen erzählt der Film ebenso wie von der Kritik, die
       Derrida erntete, als er sich 1968, inmitten der Pariser Studentenunruhen,
       nicht an den revolutionären Bestrebungen seines weitgehend marxistischen
       Berufsstands beteiligte, sondern in ein von Einfamilienhäusern dominiertes
       Viertel von Ris-Orangis zog, wo er bis zu seinem Tod wohnte. Diese
       Zurückhaltung brachte ihm den Ruf ein, „unpolitisch“ zu sein, wie man an
       den Einschätzungen Balibars oder der Psychoanalytikerin Élisabeth
       Roudinesco ermessen kann, die in ihm ausdrücklich „keinen Revolutionär“
       sahen.
       
       Derrida selbst ist in einigen Fernsehaufzeichnungen von Debattenrunden zu
       erleben, wie er von seiner spektakulären Reise nach Prag zurückkehrt,
       umringt von Presseleuten, weil er die Dissidenten der Charta 77 getroffen
       hatte, von der tschechoslowakischen Polizei jedoch mit untergeschobenen
       Drogen für mehrere Tage ins Gefängnis gesteckt worden war. Man sieht ihn
       auch in seinem Seminar an der Pariser École des Hautes Études en Sciences
       Sociales, an der er als „directeur de recherche“ wirkte, oder wie er in den
       USA, zum Theoriestar avanciert, von ergriffenen Studentinnen die Hand
       geschüttelt bekommt.
       
       ## Es fehlt der Denker Derrida
       
       Neben den genannten Zeitzeugen kommen weitere Weggefährten wie die
       Schriftstellerin Hélène Cixous und die US-Dekonstruktivistin Avital Ronell
       zur Sprache. Was der Film weniger in den Blick bekommt, ist der Denker
       Derrida. Zugegebenermaßen ist das keine einfache Aufgabe und erst recht
       keine für einen Film von 50 Minuten. Doch erfahren die Zuschauer leider
       wenig über den von Derrida geprägten Begriff der „Dekonstruktion“ –
       abgesehen davon, dass dieser Ansatz internationalen Einfluss auf die
       Geisteswissenschaften hatte. Andere zentrale Begriffe wie den der
       „Différance“ bringen Linhart und Peeters erst gar nicht ins Spiel.
       
       Am nächsten kommt der Film der Philosophie Derridas in Sätzen wie dem von
       Ronell, die an einer Stelle bemerkt: „Dekonstruktion hat die Leute immer
       dazu angetrieben, die Texte wirklich zu lesen, anstatt sie voller Respekt
       anzugehen.“ Man ahnt: Es geht um gründliche Lektüre, genaues Hinschauen.
       Was für philosophische Interpretationsstrategien dabei im Einzelnen zum
       Tragen kommen, bleibt offen. Insofern verspricht der Untertitel „Der Mut
       zum Denken“ mehr, als der Film bieten kann.
       
       8 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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