# taz.de -- Auswandern aus Kuba: Nichts wie weg
       
       > Gerade verlassen so viele Kubaner:innen ihr Land wie lange nicht. Vor
       > allem die Jungen haben die Hoffnung auf Veränderung aufgegeben. Ein
       > Ortsbesuch.
       
 (IMG) Bild: Blick aufs Meer von Havannas Uferpromenade
       
       SANTA CLARA/HAVANNA taz | Im Zentrum von Santa Clara ist nicht viel los an
       diesem Tag Ende Dezember. Santa Clara wird gern die „Hauptstadt der
       Revolution“ genannt. Hier erkämpfte Che Guevara 1958 einen entscheidenden
       Sieg gegen das Batista-Regime, hier werden seine Gebeine in einem Mausoleum
       aufbewahrt. Die Stadt gehört zu den beliebtesten Tourismuszielen Kubas,
       aber das Geschäft mit den Besucher:innen ist nach der Pandemie nicht
       wieder so angelaufen, wie die Kubaner:innen sich das vorgestellt haben.
       Ein paar Taxifahrer rangeln um die wenigen Tourist:innen, die sich in der
       Stadt umschauen.
       
       Neben ein paar alten Mopeds aus der DDR gehören die Taxis zu den wenigen
       motorisierten Fahrzeugen. Benzin ist knapp, seitdem der Weltmarktpreis
       gestiegen ist und die Regierung Kraftstoff abzweigt, um Strom zu
       produzieren. Viele Bauern fahren mit Pferdekutschen.
       
       An einer Ecke des zentralen Platzes sitzen zwei, drei Jugendliche und
       tippen auf Handys herum. Das sei mal der Treffpunkt der jungen Leute
       gewesen, sagt Elier David Molina Cruz, Musiker aus Santa Clara. Voll sei es
       hier früher gewesen, lebhaft. Cruz ist 25, er spielt seit zehn Jahren
       Gitarre. „Wir haben immer da gesessen, haben zusammen gespielt, abgehangen.
       Heute ist kaum noch jemand da, den ich kenne.“
       
       Für das Gespräch schlägt Cruz ein Café vor, direkt neben den Häusern, in
       denen Che Guevara für die Revolution kämpfte. „Ich bin hier allein
       geblieben“, sagt er. „Alle meine Freunde sind weg.“
       
       ## In Richtung Florida
       
       Vor allem junge Menschen haben in den vergangenen Jahren Kuba verlassen, so
       viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die letzten zwei großen
       Migrationswellen fanden 1980 und Mitte der 90er Jahre statt. Während der
       Mariel-Bootskrise 1980 verließen rund 1,3 Prozent der damaligen
       Gesamtbevölkerung über den Hafen von Mariel in Booten das Land in Richtung
       Florida. In den 1990ern hatte der [1][Wegfall der Sowjetunion als
       wichtigste Unterstützerin des sozialistischen Kubas] zu einer der größten
       Krisen auf der Insel geführt.
       
       Die jetzige Krise vergleichen viele Kubaner:innen mit dieser Zeit. Die
       Pandemie, eine Währungsreform und [2][die neuen Sanktionen aus der
       Präsidentschaftszeit von Donald Trump], die unter Joe Biden bislang
       großteils weiterbestehen, haben für die neue Migrationswelle gesorgt: Nur
       die Fluchtrouten haben sich verändert. Viele Kubaner:innen reisen
       zunächst nach Nicaragua, für das sie kein Visum brauchen. Dann machen sie
       sich auf den Landweg nach Mexiko, um von dort illegal über die Grenze in
       die USA zu gelangen, wo viele Familienangehörige haben.
       
       Über 220.000 Kubaner:innen sollen laut US-Grenzkontrolle so 2022 in die
       USA gekommen sein. [3][Vor allem junge Menschen, die sich ein neues Leben
       aufbauen wollen.] Proteste, Widerstand und Veränderungen innerhalb des
       Systems sind für sie keine Option mehr.
       
       Auch für Elier David Cruz nicht. Die Haare trägt er schulterlang, an den
       Fingern stecken Totenkopfringe. Seine Arme sind voll mit Tätowierungen,
       einige davon aber nur in Umrissen, ihnen fehlt die Füllung, dafür hat das
       Geld nicht gereicht. Die Schriftzüge von Metallica, Nirvana, den Stones und
       seiner ersten eigenen Band „Alkimia“ kann man lesen. Und ein Zitat von John
       Lennon: „You may say I am a dreamer, but I am not the only one.“
       
       ## Der Tag des Protests
       
       Er arbeitet in einer Rock-Coverband in der Touristenstadt Trinidad, etwas
       weiter im Süden Kubas. Aber er überlegt, nach Uruguay zu gehen. Ein Cousin
       von ihm lebt dort und könnte ihm einen Job besorgen. „Das Problem ist das
       Geld. Ich brauche circa 3.000 Dollar. Ich bin bei 100, fehlen noch 2.900“,
       sagt er und lacht kurz auf. Er müsste dafür sein Equipment verkaufen, das
       er in den vergangenen Jahren mühsam zusammengesammelt hat: Bass, Mikros und
       die schwarze E-Gitarre.
       
       Das Gitarrespielen hat er sich selbst beigebracht, seit Jahren lebt er von
       der Musik. „Manchmal muss ich eben hungern“, sagt er. Das sagt er seinen
       Eltern lieber nicht. Sein Vater arbeitet für ein staatliches
       Bauunternehmen. Weil Cruz’ selbstgeschriebene Songtexte früher sehr
       kritisch waren, gab es da auch schon Ärger. „Einmal kamen sie zu meinem
       Vater auf die Arbeit und meinten, wenn ich so weitermache, müssen sie ihm
       kündigen. Wenn sie ihm kündigen, kann meine Familie aber nicht überleben.“
       Mit „sie“ meint er die Militärs. Er ist jetzt vorsichtiger mit seinen
       Texten.
       
       Von den Militärs wurde Cruz auch einmal abgeholt, als er ein Lied von sich
       auf einem Protestforum zum [4][11. Juli 2021 präsentierte. An diesem Tag
       kam es, angefangen in einem kleinen Ort im Zentrum der Insel, zu
       landesweiten Protesten.] In einer Größenordnung, die es zuvor so nicht auf
       Kuba gegeben hatte. Über das Internet verbreiteten sich die Informationen
       zu den Protesten rasant.
       
       Tausende Kubaner:innen demonstrierten in der Hauptstadt Havanna. Das
       Militär löste die Proteste gewaltsam auf, es gab über 1.200 Festnahmen, das
       Internet wurde an diesem Tag abgestellt. Am Abend bezeichnete Präsident
       Miguel Díaz-Canel in seiner Fernsehansprache die Protestierenden als
       „Feinde der Revolution“. Seitdem sitzen hunderte Festgenommene im
       Gefängnis. Genaue Zahlen gibt es nicht.
       
       Bei Cruz standen eines Morgens auch Polizisten vor der Tür: „Ich war noch
       total verkatert, als sie um halb zehn an der Haustür klingelten. ‚Wir
       müssen mit Ihnen reden.‘ Ich dachte schon, es wäre wegen meines
       Militärdiensts.“ Zwei Jahre obligatorischen Militärdienst musste auch er
       machen. „Doch sie nahmen mich einfach mit, bis 20 Uhr war ich auf der
       Wache.“ Ohne etwas zu essen, ohne seine Familie benachrichtigen zu können.
       „Sie haben mich angeschrien, und ich wusste nicht, was sie von mir wollten,
       ich habe sogar angefangen zu weinen.“ Er sei völlig verängstigt gewesen,
       gibt er zu.
       
       „Dueños del engaño“ heißt das Lied, um das es ging – es bedeutet so viel
       wie „Herren der Lüge, der Täuschung, des Irrtums“. Er spielt das Lied von
       seinem Youtube-Kanal ab, rockiger Sound, nicht mehr als einhundert Abrufe.
       Doch das ist schon genug, um vom Regime heimgesucht und eingeschüchtert zu
       werden. „Ich denke nur darüber nach, von diesem verfluchten Ort
       wegzugehen“, singt er in dem Lied. „Wir sind auf der Basis von Kugeln
       aufgewachsen.“
       
       Alle jungen Menschen, mit denen man auf Kuba spricht und die sich schon mal
       politisch geäußert haben, haben ähnliche Einschüchterungen vonseiten der
       kubanischen Polizei erlebt. „Lass uns in ein anderes Café gehen“, sagt Cruz
       plötzlich. „Der Typ da in dem gelben T-Shirt beobachtet uns schon eine
       ganze Weile.“
       
       Es finden sich genug halbleere Cafés in Santa Clara. Es läuft Reggaeton und
       es gibt gezuckerten Kaffee ohne Milch. „Diese Musik“, sagt Cruz. Er kann
       mit Reggaeton nichts anfangen. „Diese Musik wird dir jeden Tag eingeimpft.
       Sie lässt die Gesellschaft verdummen.“
       
       Dass es noch mal größere Proteste geben könnte, sieht er nicht. „Die
       Menschen wollen kein weiteres Risiko auf sich nehmen. Sie wollen lieber
       weg, in Ruhe leben und nicht jeden Tag in Schlangen warten, um Lebensmittel
       zu bekommen.“ Er versteht das, aber manchmal, in Momenten äußerster
       Frustration, denkt er auch, die Kubaner:innen hätten es nicht anders
       verdient.
       
       Florida ist nach wie vor das beliebteste Ziel der Auswandernden. Läuft man
       in Havanna am Malecón entlang, der Straße, die entlang der Küste im Norden
       von Kubas Hauptstadt führt, schauen die Einheimischen aufs Meer Richtung
       Norden: Von hier sind es nur etwa 90 Meilen bis nach Florida. Seit
       Jahrzehnten und bis heute verlassen Kubaner:innen immer wieder ihr Land
       auch in Booten in Richtung USA. Immer wieder ertrinken Flüchtende bei der
       Überfahrt.
       
       ## Abstürzende Balkone
       
       Bevor man am Malecón die Promenade weitergeht, warnen einen noch Menschen:
       Man sollte es vermeiden, unter den Balkonen der Villen zu laufen. Die
       meisten seien so marode, dass immer mal wieder einer herunterstürzt.
       
       Leicht erhöht auf einem Hügel steht am Malecón das staatliche „Hotel
       Nacional“. Hier sitzt Maria an der Bar, bestellt einen Fruchtsaft, Papaya.
       Sie ist um die dreißig, trägt ein buntes Sommerkleid mit Blumenmuster und
       will über die Situation ihres Heimatlandes sprechen. Eigentlich heißt sie
       aber anders: „Wenn du meinen richtigen Namen erwähnst, kündigen sie mir auf
       der Arbeit“, sagt sie. Und es sei nicht das Einzige, was passieren könnte.
       Sie kennt einige, denen die Geheimpolizei das Leben zur Hölle gemacht hat:
       Kündigung, soziale Ächtung, Hausarrest, Blut toter Tauben an der Haustür.
       
       In das Hotel Nacional wäre sie nicht reingekommen, wenn sie nicht in
       Begleitung einer Touristin wäre. Kubaner:innen seien nicht gern gesehen
       in den Hotels. Zum einen soll der Kontakt zum kapitalistischen Ausland
       vermieden werden, zum anderen aber auch, weil die Einheimischen kein Geld
       einbringen. Maria hat diesen Ort für das Gespräch vorgeschlagen, weil die
       Tische weit voneinander entfernt stehen, weil die touristische Umgebung ihr
       Sicherheit bietet, weil niemand von der Straße mithören kann.
       
       Sie arbeitet seit einigen Jahren in der Organisation eines staatlichen
       Kulturfestivals, fühlt sich aber vor allem in der kubanischen
       Indie-Filmbranche zu Hause. Die Kinoszene, „das war hier schon immer eine
       der rebellischeren Gruppen.“ Rund 22 Dollar monatlich verdient sie mit
       ihrer Festanstellung, ungefähr das Standardgehalt eines Kubaners. „Das
       reicht lange nicht aus“, sagt Maria. „Immerhin arbeite ich in einem
       Bereich, der mir gefällt. Aber ich muss noch verschiedene Nebenjobs machen,
       um überhaupt über die Runden zu kommen.“
       
       ## Die Pandemie hat das Land schwer getroffen
       
       Maria gehört zur oberen Mittelschicht. Aufgewachsen ist sie in einer der
       besseren Viertel Havannas, wo sie heute immer noch bei ihren Eltern lebt.
       „Die Menschen, die zum Beispiel in Alt-Havanna leben, die haben ein viel
       schwereres Leben als ich“, sagt sie. Alt-Havanna ist der touristische
       Hotspot der Stadt, da stehen die Luxushotels und in den Seitengassen trifft
       man auf Müllberge und größte Armut, der Großteil der Bewohner:innen
       sind Afrokubaner:innen.
       
       Maria fühlt sich hingegen „privilegiert“. Ihre Familie bekomme große
       Unterstützung aus Miami. Dort leben seit einigen Jahren ihre Großmutter
       sowie Onkels, Tanten, Cousins. Etwa ein Drittel der kubanischen Haushalte
       erhält Geldüberweisungen, sogenannte remesas, aus den USA. Rund 3,6
       Milliarden Dollar überweisen die Exilkubaner laut Schätzungen der Havanna
       Consulting Group aus dem Jahr 2019 jährlich in ihr Heimatland, bis 2020 die
       zweitgrößte Devisenquelle Kubas. „Aber nicht jeder hat eine Familie in
       Miami“, sagt Maria. „Ich würde sagen, ein großer Prozentsatz des Landes
       überlebt diese Krise, nein, Superkrise nur dank Familie im Ausland.“
       
       Die einzige andere Möglichkeit, in Kuba an Devisen zu kommen, ist über den
       Tourismus. Und die Dollars sind wichtig: Man braucht sie, um in den
       Devisenläden an Hygieneprodukte, elektronische Geräte oder auch bestimmte
       Lebensmittel zu kommen.
       
       Die Pandemie hat das Land deshalb schwer getroffen. Die Schließung der
       Flughäfen ließ den Schwarzmarkt komplett einbrechen. Von den Lockdowns hat
       sich der Tourismus noch nicht wieder erholt. „Während der Pandemie gab es
       fast nichts“, erzählt Maria. „Selbst wenn du Geld hattest, konntest du
       nichts kaufen. Unsere Familie aus Miami musste uns alles schicken.“
       
       Seit 2020 gibt es Devisenläden, in denen bessere und besondere
       Lebensmittel, Hygieneprodukte und elektronische Geräte gekauft werden
       können. Es gibt oft lange Schlangen vor den Geschäften. Wer keine Devisen
       hat, muss noch länger anstehen. Über staatliche Lebensmittelkarten kann man
       dann sehr günstig – falls vorhanden – an Lebensmittel kommen. Viel ist das
       aber dann nicht. Zum Beispiel gibt es ein halbes Kilo Reis pro Woche pro
       Kopf.
       
       Überlegt Maria auch auszuwandern? „Das ist zurzeit mein größter Traum, so
       wie für alle Menschen, die ich kenne.“ Wohin, sei eigentlich egal.
       Hauptsache, weg. Viele versuchten es mit Uni-Stipendien, erzählt sie. Oder
       sie machten sich auf den Weg über Mexiko in die USA. Dort versuchen die
       meisten Kubaner:innen dann politisches Asyl zu bekommen.
       
       ## Prinzipien kann man nicht frühstücken
       
       Wenn Maria erzählt, wiederholt sie immer wieder einen Satz, den die meisten
       jungen Menschen wie ein Mantra vor sich hertragen: „Es gibt einfach keine
       Zukunft.“
       
       Viele hielten es für realistisch, dass aus dem Land ein zweites Puerto Rico
       werde, sagt Maria. Also ein Außengebiet der Vereinigten Staaten,
       innenpolitisch selbst verwaltet, aber wirtschaftlich und außenpolitisch von
       den USA abhängig und ohne US-Wahlrecht für die Bürger:innen.
       
       „Das wäre bitter“, sagt Maria. „Natürlich wünscht man sich ein
       funktionierendes System und politische Souveränität. Aber wie sagt mein
       Onkel immer: Souveränität und Prinzipien kannst du nicht frühstücken, das
       füllt dir nicht den Magen.“
       
       Sie habe lange Hoffnung gehabt, dass sich etwas ändere. Trotz der dauernden
       Mangelwirtschaft. Trotz der sozialistischen Parolen, die sie seit ihrer
       Kindheit hatte wiederholen müssen und an die die Jüngeren nicht mehr
       glauben. „Meinen Master habe ich in Europa gemacht. Und bin dann doch
       zurückgekehrt.“ Das war 2016. Barack Obama hatte gerade als erster
       US-Präsident seit 88 Jahren Kuba besucht, die Rolling Stones hatten ein
       Gratiskonzert in Havanna gegeben. Raúl Castro versprach Veränderungen, eine
       wirtschaftliche Öffnung, die Möglichkeit, private Geschäfte zu eröffnen.
       
       „Es gab wirtschaftliches Wachstum, es fing an, alles ein bisschen besser zu
       werden“, sagt Maria. Dann kam Trump, die neuen Sanktionen und die Pandemie.
       Doch Marias Hoffnung auf Besserung blieb. Bis zum 11. Juli 2021. Der Tag
       ist auch für sie eine Zäsur. Mit den gescheiterten Protesten und der harten
       Repression verlor auch sie die Hoffnung auf Veränderung.
       
       ## Gegangen, um zu bleiben?
       
       Juliana Rabelo ist schon gegangen. Sie lebt seit einigen Monaten in Madrid,
       schreibt für diverse Magazine und macht selbst Kunst. An einem Samstag ist
       sie per Zoom aus ihrem Büro zugeschaltet. Sie ist Anfang dreißig. Als
       Tochter kubanischer Kleinbauern kam sie zum Studium aus der westlichen
       Provinz Pinar del Río mit ihren Tabakplantagen in die Hauptstadt Havanna.
       Dort fing sie an, mit einem staatlichen Stipendium Geisteswissenschaften zu
       studieren. Ihre kritische Art, Nachfragen zu stellen, sei nicht gut
       angekommen an der Uni, erzählt sie.
       
       Rabelo ist sich aber auch nicht sicher, ob sie dauerhaft im Exil leben
       will. „Ich habe noch nicht entschieden, dass sich auf Kuba nichts ändern
       wird“, sagt sie fast schon wütend. Sie erzählt von einer der wichtigsten
       Protestaktionen vor dem 11. Juli: „Wir waren über 300 Intellektuelle vor
       dem Kulturministerium. Der Minister war so überfordert, der musste Künstler
       reinlassen, denen das eigentlich verboten war.“ Verbessert habe sich
       dadurch aber auch nichts.
       
       „Ich bin gegangen, weil ich mein eigenes Leben schützen wollte und weil ich
       Wut auf das System hatte. Ich bin nicht stolz drauf. Aber niemand kann mir
       mein Heimatland nehmen“, sagt Rabelo. Der Preis, wegzugehen, sei hoch. Sie
       hat geliebte Menschen zurückgelassen. Und besondere Orte. „Ich liebe das
       Meer.“
       
       In ihrer Heimat wurde sie einmal verhaftet, als sie eine oppositionelle
       Künstlergruppe besuchen wollte. Vier Stunden wurde sie auf der Wache
       festgehalten. Man wachse von Anfang an mit der Unterdrückung auf. „Die
       Geheimpolizei ist überall, schon als Kind lernst du, lieber den Mund zu
       halten.“
       
       Dass es jetzt keine politischen Proteste mehr gebe, habe aber auch mit der
       wirtschaftlichen Not zu tun: „Es ist schon schwer genug, mit nur 20 Dollar
       im Monat zu leben. Du musst schauen, dass du zu essen bekommst. Wäre schön,
       wenn man den täglichen Hunger einfach überwinden könnte, aber der Hunger
       lässt einen nicht denken.“
       
       Rabelos Ehemann hat die spanische Staatsbürgerschaft, deshalb hat sie in
       Madrid keine Probleme mit dem Aufenthaltsstatus. Ihr Freundeskreis in
       Spanien besteht hauptsächlich aus Aktivisten, Künstlern und vor allem
       Dissidenten, die von der kubanischen Regierung ausgewiesen wurden und nicht
       mehr zurückdürfen. „Verbannt“ sagt sie. „Nicht nur das Weggehen aus Kuba
       ist ein Privileg. Auch nach Kuba zurückzureisen.“
       
       Niemand kann sagen, wie es im Land weitergeht: Wird es implodieren,
       ausbluten, aufgekauft werden? Die junge Generation fühlt im Gegensatz zu
       ihren Eltern und Großeltern keine Verbindung mehr zur Regierung und zu den
       längst verblassten Ideen Fidel Castros. Sie sind durch das Internet mit der
       Welt verbunden – und sie wollen das sozialistische „Patria o Muerte“ –
       Heimatland oder Tod – nicht mehr. Sie wollen, wie es im gerade bekanntesten
       oppositionellen Rapsong heißt: Patria y vida. Heimatland und Leben. Im
       Moment bleibt vielen aber nur: Heimatland oder Leben.
       
       Die Recherchereise wurde von der taz Panter Stiftung finanziert.
       
       26 Feb 2023
       
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