# taz.de -- Autobahn-Abseilaktion vor Gericht: Polizei als „Tatwerkzeug“
       
       > Vier Klimaaktivist*innen hatten sich 2020 über der A7 bei Schleswig
       > abgeseilt. Dafür verurteilt sie das Amtsgericht wegen Nötigung zu
       > Geldstrafen.
       
 (IMG) Bild: In Frankfurt hat ein Gericht solch eine Aktion erlaubt: Aktivistin seilt sich über der A648 ab
       
       SCHLESWIG taz | Ist es ein Gewaltakt, ein Banner über einer Autobahn
       aufzuhängen? Ja, befand das Amtsgericht Schleswig und verurteilte vier
       Aktivist*innen zu Geldstrafen. Sie hatten sich im November 2020 über
       der A 7 [1][nahe Schleswig abgeseilt], um im Rahmen einer bundesweiten
       Protestaktion auf den Klimawandel hinzuweisen und die Verkehrswende zu
       fordern. Die Polizei ließ daraufhin die Autobahn sperren, ein Stau
       entstand, der rund drei Stunden dauerte.
       
       Der Staatsanwalt bewertete das als „gemeinschaftliche Nötigung“: Die Aktion
       habe stattgefunden „im Bewusstsein, dass die Polizei die Autobahn sperren
       würde“. Denn es sei um die „Sperrung der Brücke für einen möglichst langen
       Zeitraum“ gegangen, um zahlreiche Menschen „an ihrem Fortkommen zu
       hindern“.
       
       Von einem „politischen Prozess“ sprach die Aktivistin Irene T. Nach der
       Logik des Staatsanwalts sei die Polizei das „willenlose Werkzeug“ gewesen,
       das für die Demonstrierenden die Straße gesperrt habe – „So ein Bullshit“,
       sagte T. in ihrem Schlusswort.
       
       Tatsächlich führte die Sperrung der Autobahn dazu, dass weniger Menschen
       das Banner mit der Botschaft „Stoppt den Autowahn“ sehen konnten, das T.
       und die anderen Beteiligten über den Fahrbahnen festhielten.
       
       ## Gericht folgt Sicht der Polizei
       
       Sie selbst hingen, darauf wiesen die ehrenamtlichen Wahlverteidiger der
       Angeklagten hin, nicht direkt über der Straße, sondern über dem Mittel- und
       den Randstreifen. Die Demonstration sei zwar nicht angemeldet, aber dennoch
       durch das Grundgesetz geschützt gewesen, sagte Wahlverteidiger Yannik.
       
       [2][Eine Nötigung], die laut Gesetz „Gewalt oder Drohung mit empfindlichem
       Übel“ beinhaltet, sei die Aktion keineswegs gewesen, fügte Wahlverteidiger
       Sam hinzu, der Frauke B. vertrat: „Die Menschen hingen neben einer
       Autobahn, sie taten eher sehr wenig.“ Die Sperrung der Straße sei „entgegen
       den Interessen und kaum vorhersehbar“ gewesen. Das Banner selbst sei keine
       Störung – ähnliche Banner würden oft eingesetzt, etwa um auf Rettungsgassen
       hinzuweisen.
       
       Die Richterin sah es anders. Die Sperrung der Straße sei „alternativlos“
       gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung, die sich damit der Sicht der
       Polizei anschloss. Der Stau habe „kilometerlang“ zurückgereicht, dies sei
       „beabsichtigt“ gewesen. Die Polizei sei „instrumentalisiert“ und „als
       Tatwerkzeug missbraucht“ worden. Das Verhalten der Aktivist*innen sei
       „nicht unerheblich sozialwidrig“.
       
       Zwar sei Klimaschutz ein hohes Gut, aber die Gefährdung der
       Verkehrsteilnehmer*innen auf der vielbefahrenen Straße wiege
       schwerer.
       
       ## 60 Anträge der Angeklagten
       
       60 Tagessätze à 20 Euro verhängte die Richterin jeweils. Zahlen müssen die
       Verurteilten auch die Gerichtskosten. Der Staatsanwalt hatte sogar 75
       Tagessätze gefordert.
       
       Vorangegangen war ein turbulentes Verfahren, bei dem die Richterin
       zunehmend hart durchgriff. So muss ein Mann 500 Euro zahlen, weil er
       Konfetti in den Saal warf. Mehrere Personen wurden mit Gewalt aus dem Raum
       geführt, weil sie nach Stellungnahmen geklatscht hatten.
       
       Obwohl der Tatverlauf schnell aufgeklärt war, brauchte das Gericht drei
       Verhandlungstage, vor allem weil die Beklagten über 60 Anträge gestellt
       hatten, die einzeln behandelt werden mussten. In einer Reihe davon ging es
       um andere Aktionen über Autobahnen, die nicht bestraft worden waren.
       
       Inhaltliche Anträge befassten sich mit der CO2-Belastung durch
       Straßenverkehr und den Klimazielen der Regierung – als Zeugen wünschten
       sich die Aktivist*innen unter anderem die Minister Robert Habeck
       (Grüne) und Volker Wissing (FDP) sowie eine Naturschützerin aus Chile. Das
       Gericht wies alle Anträge zurück, sie seien „zur Erforschung der Wahrheit
       nicht erforderlich“.
       
       Dass kein Mitglied der Bundesregierung nach Schleswig kommen würde, war
       auch den Beteiligten klar.
       
       ## Staatsanwaltschaft zeigt sich zufrieden
       
       Dennoch seien die Anträge weder ein Scherz noch ein Mittel, den Prozess zu
       verlängern, erklärte Wahlverteidiger Sam. Vielmehr gehe es um die
       politische Begründung der Aktion. Es sei bedauerlich, dass sich das Gericht
       offenbar inhaltlich damit nicht befasst habe. Er sah einen „[3][unschönen
       Umgang mit Aktivist*innen], der sich leider allmählich durchsetzt“.
       
       In ihrem Schlusswort zählte Frauke B. Ereignisse auf, die sich parallel
       zum Prozess ereignet hatten: Als sie den Strafbefehl erhielt, gab es
       Überflutungen in Pakistan, am ersten Prozesstag Starkregen und Erdrutsche
       in Kinshasa, am zweiten einen Eissturm in den USA. Es mache sie traurig und
       wütend, dass Wetterextreme das „neue Normal“ seien und trotzdem weiter
       Straßen geplant würden. Irene T. sagte: „Ob es nun auf Knast oder
       Geldstrafe hinausläuft, ich werde darunter leiden. Aber ich weiß, warum ich
       meine Seite gewählt habe.“
       
       Der Staatsanwalt zeigte sich mit dem Urteil zufrieden. Die
       Aktivist*innen könnten innerhalb einer Woche Berufung einlegen. Ob sie
       das tun, steht noch nicht fest.
       
       5 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.abendblatt.de/region/schleswig-holstein/article231016192/Umweltaktivisten-seilen-sich-von-Autobahnbruecke-auf-A7-ab-protest-schuby-jagel-gesperrt-polizei-aktion-autofrei-verkehrswende.html
 (DIR) [2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__240.html
 (DIR) [3] /Razzien-bei-der-Letzten-Generation/!5899043
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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