# taz.de -- Bericht zu Antisemitismus in Deutschland: Dammbruch Documenta
       
       > Mit der Kunstausstellung in Kassel erhielt Antisemitismus eine riesige
       > Bühne. Auch sonst frisst sich Judenhass wieder in die deutsche
       > Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Das Banner „People's Justice“ der Künstlergruppe Taring Padi wurde zuerst abgedeckt und dann entfernt
       
       BERLIN taz | Antisemitische Vorfälle ziehen sich durch die Geschichte der
       Bundesrepublik. Doch dass Judenhass eine so große – und teils
       steuerfinanzierte – Plattform wie die Documenta erhält, ist neu. Die
       Dramatik dessen, [1][was sich dieses Jahr auf der Kunstausstellung in
       Kassel zugetragen hat], zeigt [2][das Lagebild Antisemitismus], das die
       Amadeu-Antonio-Stiftung am Donnerstag vorgestellt hat.
       
       Ein „Dammbruch“ sei es gewesen, Kunstwerke wie das Banner „People's
       Justice“ auszustellen, auf dem Juden mit SS-Runen und als Schweine gezeigt
       werden, sagte Nikolas Lelle von der Stiftung. Auf einem zentralen Platz der
       Ausstellung war das Werk zu sehen, wurde erst nur verhüllt, bevor es wegen
       heftiger Kritik doch ganz abgehängt wurde. Selbst im Angesicht
       offensichtlichen Judenhasses sei so zunächst noch „kleingeredet und
       relativiert worden“, beklagt Lelle.
       
       Diese Nachsicht gegenüber Intoleranz strahle in die ganze Gesellschaft aus.
       „Bisher galt: Offener Antisemitismus und klarer Israelhass darf nicht
       geäußert werden“, so Lelle. Dieser Grundsatz wanke nun.
       Stiftungs-Vorständin Tahera Ameer: „Die Grenzen des Sagbaren haben sich
       verschoben.“
       
       Der Bericht der Stiftung zeigt auch, wie jüdische Stimmen ignoriert wurden,
       die vor Beginn der Documenta auf drohenden Antisemitismus hingewiesen
       hatten. Ganz ähnlich sei es im Fall der [3][sogenannten Judensau in
       Wittenberg] gewesen, einer mittelalterlichen antisemitischen Darstellung an
       der Schlosskirche in der Stadt. Auch hier seien jüdische Stimmen lange Zeit
       nicht gehört worden. Eine Abnahme des Reliefs, wie sie etwa der
       Zentralratspräsident Josef Schuster wünschenswert genannt hatte, plant die
       Kirchengemeinde weiterhin nicht, lediglich eine neue Infotafel soll
       angebracht werden.
       
       ## Angriff auf Synagoge Hannover
       
       Auch die Art und Weise, wie in Deutschland über Antisemitismus diskutiert
       werde, erschwere die Bekämpfung des Judenhasses. Eine Verbindung zwischen
       Antisemitismus und Hass auf Israel werde abgestritten, die Schoah oftmals
       als Grund angeführt, warum die Deutschen einen voreingenommenen Blick auf
       Israel hätten. Hier schwappe Antisemitismus auch in eigentlich progressive
       Milieus.
       
       Gefährlich blieben auch die kruden Vorstellungen, wie sie auf
       Demonstrationen von Verschwörungsanhänger*innen geäußert werden. Der
       Judenhass verbinde die unterschiedlichen Gruppen, egal ob gegen die
       Coronapolitik oder die Energiepolitik der Bundesregierung demonstriert
       werde. Immerhin: Hier habe es in der deutschen Gesellschaft auch
       „Lernerfolge“ gegeben, so Lelle: „Vor drei Jahren wussten viel weniger
       Menschen, was das Problem an Verschwörungserzählungen ist.“
       
       Dass von Antisemitismus weiter eine klare, physische Gefahr für Jüd*innen
       ausgeht, verdeutlicht ein [4][Angriff auf die Synagoge in Hannover] vom
       Mittwoch. Unbekannte warfen ein Fenster des Gebäudes ein, während sich 150
       Gläubige darin aufhielten, um Jom Kippur zu begehen, den höchsten jüdischen
       Feiertag. 2019 hatte ein rechtsextremer Angreifer versucht an Jom Kippur
       ein [5][Blutbad in der Synagoge Halle] anzurichten. Er scheiterte
       allerdings an der Tür des Hauses und erschoss daraufhin auf der Straße und
       in einem nahegelegenen Imbiss zwei Menschen. Die Tat jährt sich am Sonntag
       zum dritten Mal.
       
       6 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /documenta-fifteen--eine-Bilanz/!5883282
 (DIR) [2] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/pressemitteilungen/deutschland-bereitet-antisemitismus-eine-buehne-amadeu-antonio-stiftung-stellt-zivilgesellschaftliches-lagebild-antisemitismus-vor/
 (DIR) [3] /Urteil-ueber-antisemitisches-Schandmal/!5858112
 (DIR) [4] /Angriff-in-Hannover-an-Jom-Kippur/!5886290
 (DIR) [5] /Anschlagsopfer-von-Halle-geben-auf/!5853569
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederik Eikmanns
       
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