# taz.de -- Blödsinn des VAR: Fouls, Lügen und Video
       
       > An jedem Wochenende beweist der Videoassistent, dass er auf einer
       > Illusion beruht: der Vorstellung, Fußball sei objektivierbar.
       
 (IMG) Bild: Im Stadion sieht doch am besten: Schiedsrichter bei der Videoüberprüfung
       
       Wer’s sieht, weiß Bescheid: Ein Verteidiger stößt einen Stürmer im
       Strafraum um. Der Stürmer bekommt gerade den Ball, er ist, was Stürmer ja
       gerne machen, bereit zum Schießen, doch er wird von hinten umgeschubst.
       
       Soweit alles klar, aber wer sieht’s, wer hat’s gesehen? Psychologie hilft
       da weiter, Medienanalyse auch. Die Psychologie lehrt, dass bei großer
       Sympathie für den Verteidiger der Stoß vielleicht nicht als Schubsen,
       sondern als leichte Berührung interpretiert wird. Fans machen so was. Von
       der Medienanalyse wissen wir, dass ein Schubs je nach Standort des
       Betrachters bzw. der Kamera mal so und mal so zu deuten ist: zwischen
       „Foul, Elfer!“ und „Nix, da war gar nix!“ ist jeder Ausruf möglich.
       
       Von der Sportsoziologie wissen wir, dass solche Debatten über solche Szenen
       schlicht zum Sport gehören. Die Wembley-Tor-Debatte 1966 hat den weiteren
       Aufstieg des Fußballs zum Weltsport Nummer eins nicht behindert, sondern
       massiv nach vorne, ja, doch: geschubst.
       
       Aber zum Glück haben wir ja, wenn wir die großen Phänomene der Moderne
       verstehen wollen, nicht nur die Wissenschaft, sondern auch den DFB und
       andere Verbandsfunktionäre. Die wissen, dass es nur eine Wahrheit gibt, und
       das ist die, die [1][auf ihren Videos] aufgezeichnet ist.
       
       ## Fußball und wissenschaftlicher Fortschritt
       
       Sascha Stegemann, der am Samstag als Schiedsrichter die Partie zwischen
       Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund gepfiffen hat und dabei einen
       bestimmten Elfmeter nicht pfiff, sagte später zu der Szene: „Auf dem
       Spielfeld stellte sich die Situation für mich wie folgt dar, dass es zu
       einem normalen Körperkontakt kam.“
       
       Ja. So ist Fußball. Der Schiri stand da, sah etwas und hat dann
       entschieden. [2][Falsch] oder richtig, darüber darf man streiten. Die
       Vorstellung, ein objektiv wahres Urteil sei möglich, ist eine Illusion. Und
       zwar eine, von der die sich für solche Fragen interessierende Welt seit
       etwa hundert Jahren weiß, seit der frühen sowjetischen Filmtheorie. Das
       gehört zum Wissensbestand der Menschheit wie die Entstehung der Arten durch
       Evolution, wie die Existenz von Ich, Es und Über-Ich, wie die Erkenntnis,
       dass menschliche Arbeit Mehrwert produziert oder dass sich keinesfalls die
       Sonne um die Erde dreht.
       
       Das könnte man wissen, das sollte man wissen. Es sei denn, man ist
       Fußballfunktionär und fest davon überzeugt, dass der Sport eine eigene Welt
       ist, der mit nichts Irdischem beizukommen ist. Solche Leute glauben, auf
       dieser Erde sei nichts anderes rund als ihr Ball. Alles andere ist für sie
       so flach wie ihr Denken.
       
       Machen wir es kurz: Schafft den [3][VAR] ab!
       
       30 Oct 2022
       
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 (DIR) Martin Krauss
       
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