# taz.de -- Das Klima und der Wahlkampf: Weder Superman noch Peter Pan
       
       > Wohl noch nie auf dem Rad gesessen? Franziska Giffey und die SPD keilen
       > in Berlin gegen die Grünen. Im Bund will Olaf Scholz scheinbar mit ihnen.
       
 (IMG) Bild: Die Polkappen schmelzen, die Berliner SPD giftet gegen Fahrräder
       
       Bicycle bicycle bicycle 
       
       I want to ride my bicycle bicycle bicycle 
       
       I want to ride my bicycle 
       
       I want to ride my bike 
       
       I want to ride my bicycle 
       
       I want to ride it where I like 
       
       Das sang Freddie Mercury 1978. Der Leadsänger von Queen, als Farrokh
       Bulsara in Sansibar geboren, war da bereits weltberühmt. Im Song „Bicycle
       Race“ wünschte sich Mercury nicht „Superman“, „Peter Pan“ oder „Präsident
       der USA“ zu sein, jedoch „Fahrrad zu fahren, wo ich mag“. Es war ein
       symbolisches, anarchisches, assoziativ formuliertes Freiheitsbekenntnis.
       Fahrrad fahren, das taten damals eher Kinder, Arme oder männliche Sportler
       bei der Tour de France.
       
       Queen produzierten für die Promotion des Songs einen kurzen Musikclip. Der
       sorgte (zusammen mit dem Platten-Cover) für eine Debatte, ähnlich der
       [1][um die Lastenfahrräder] dieser Tage. Um Fahrräder allein ging es früher
       wie heute natürlich nicht. In dem Musikclip von „Bicycle Race“ ließ die
       Band kurze Aufnahmen von nur mit Strümpfen und Schuhen bekleideten Frauen
       auf Rennrädern hineinmontieren. Das konnte man als Parodie auf die männlich
       dominierte Welt und ihre Statussymbole lesen, auf die Klischeebilder
       kurviger Pin-ups vor teuren Automobilen.
       
       In Staaten wie China gehen Aufnahmen mit Nackten auf Fahrrädern bis heute
       nicht. Und in der neuen Bundesrepublik? Insgesamt diverser müsste die Szene
       sicherlich ausfallen. Und sonst? 1978, als Queen den Song komponierten, war
       auch in der alten Bundesrepublik alles dem Autoverkehr untergeordnet. Die
       Umweltbewegung und die Partei der Grünen war aber bereits im Entstehen. Die
       negativen Folgen des exzessiven Wirtschaftsbooms in den Industrieländern
       waren unübersehbar.
       
       Die Innenstädte waren versmogt, größere zentrale Flächen dienten
       überwiegend als Parkplätze. In den verrußten Stadtzentren wollten weder
       Mittelstand noch Angestellte oder Kernarbeiterschaft wohnen. Wer es sich
       leisten konnte, zog an die Ränder und pendelte mit dem Auto zum Arbeiten
       oder Einkaufen hinein. In der DDR entstanden große Trabantenstädte, das war
       günstiger und galt als fortschrittlicher als Altbausanierung nach dem
       Krieg.
       
       ## Wohlstand und Fortschritt
       
       Das Auto war das Symbol für Wohlstand und Fortschritt. In Ost wie West
       glaubte man fest daran. In vielen Städten Deutschlands durchschneiden bis
       heute mehrspurige Straßen, manchmal auf Stelzen, ganze Wohn- und
       Stadtgebiete. Ein authentisches Bild vermitteln auch die Faller- oder
       Märklin-Modellbahnen und Miniaturstädte aus jenen Tagen.
       
       Und auch wenn man heute Autobahnen hinter Lärmschutzwänden versteckt,
       Betonwände grün anstreicht, die Mahnmale einer die Menschheit am Ende
       selbst bedrohenden Lebensweise prägen überall den Alltag. Im Unterschied zu
       früher leugnen die Parteien (bis auf die AfD) längst nicht mehr, was nicht
       zu leugnen ist. Der von Menschen verursachte Klimawandel ist überall in
       vollem Gange – mit unabsehbaren Folgen.
       
       Doch wer nach Flutkatastrophen, Dürren und dem Abschmelzen der Polkappen
       vor den unweigerlichen Kosten dieser Entwicklung warnt, gilt weithin immer
       noch als fieser Spielverderber. Die Wut gilt auch im Wahlkampf 2021 eher
       Radfahrern und nicht den immer größer werdenden Automobilen.
       
       Wer sich heute tatsächlich darüber ereifert, dass die Grünen die
       Anschaffung von Lastenrädern fördern wollen, wie zuvor die Bundesregierung
       [2][die E-Autos], der oder die müsste doch eigentlich als rückwärtsgewandt
       gelten. Nach den vielen schweren von Autofahrern verursachten Unfällen mit
       Fußgängern und Radfahrern [3][standen die panzerartigen SUVs schwer in der
       Kritik.]
       
       ## Terrible Driver
       
       Sogar ein Autonarr wie Ulf Poschardt von der Welt zeigte seine Abneigung
       gegen die gefährlichen Spritfresser, wenn auch aus eher ästhetischen
       Gründen. Aber immerhin. Und nun mitten im Wahlkampf der schwer
       nachvollziehbare Schwenk. Die Fahrradfahrer sollen die neuen Spießer sein.
       Nicht der terrible driver eines SUV. Hätten sich Grüne unbekleidet auf ein
       Lastenrad gesetzt, es wäre vielleicht anders gekommen.
       
       Geholfen hätte aber auch das vermutlich wenig. Denn derzeit scheinen das
       Rennen jene Parteien zu machen, die garantieren, dass die alten
       Produktionstechnologien der Schlüsselindustrien so lange wie möglich auch
       die von morgen sein werden. Deutschland droht 2021 der höchste Anstieg der
       Treibhausgasemissionen seit 1990.
       
       Doch aus der Kohle wollen SPD und Union erst 2038 aussteigen (die Grünen
       immerhin 2030). Verkehrs- und Energiewende wurden von der großen Koalition
       aus CDU und SPD verschleppt, auch wenn im Wahlkampf nun so vieles anders
       klingt. Autoverkehr, Steingärten, Plastikzäune, Kurzflugreisen,
       Brutalo-Billigfleisch – die Umweltschäden, die ein unhinterfragter
       Massenkonsum verursacht, werden weiterhin bei den Verursachern nicht
       eingepreist. Stattdessen werden Lasten und Kosten der kommenden Generation
       aufgebürdet.
       
       Der Kampagne von [4][Olaf Scholz gelingt es geschickt als Garant von
       Bescheidenheit und Seriosität daherzukommen,] um so die scheidende
       Kanzlerin Merkel an der Spitze zu beerben. Als Finanzminister durfte Scholz
       Milliarden von Coronahilfen unters Volk bringen. Das kam gut an. In großen
       Gummistiefeln eilte er herbei, als sich die große Flut über das Ahrtal und
       Teile Deutschlands ergoss.
       
       ## Probleme abspalten
       
       Vor allem schaute er ernst, als sein Kontrahent von der CDU im falschen
       Moment lachte. Scholz strahlt bei all den Krisen – Coronapandemie,
       Erderwärmung, Afghanistan-Debakel – Verlässlichkeit aus. Problemfälle wie
       [5][Außenminister Heiko Maas] scheint die SPD einfach abzuspalten. Der
       schwirrt nun durch die Nachbarländer Afghanistans und täuscht von ganz weit
       weg Aktionismus vor.
       
       In Berlin wird zeitgleich zum Bund Ende September ein neues Länderparlament
       gewählt. Es lohnt auch hier ein kurzer Blick auf die SPD. Seit 1989 wird
       die Stadt entweder von CDU oder SPD in wechselnden Konstellationen regiert.
       Und seit 2001 stellen die Sozialdemokraten dort ununterbrochen den ersten
       Bürgermeister, seit 2016 in einer Koalition mit der Linken und erstmals mit
       den Grünen.
       
       Unter der SPD wurde der kommunale Wohnungsbau vernachlässigt und Milliarden
       durch die Fehlplanungen beim Klimagrab des Flughafens Willy Brandt in
       Schönefeld versenkt. Schon beginnt sich nach Corona der
       Billig-Party-Tourismus wieder zu erholen.
       
       Laut Umfragen könnte die SPD auch in Berlin die Wahl gewinnen. Ihre
       Spitzenkandidatin, Franziska Giffey, ist im Bund wegen des erschlichenen
       Doktortitels als Ministerin nicht tragbar. In Berlin schon, wo sie
       lautstark mit populistischen Tönen gegen die Grünen punktet.
       
       ## SPD-Blockade
       
       Aktuell blockiert die SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus auf den
       letzten Metern das bereits ausgehandelte Mobilitätsgesetz. Ebenso die
       Reform der Bauordnung. Diese sollte die Begrünung von Dächern oder Fassaden
       fördern sowie die Planungsverfahren beim Wohnungs(aus)bau beschleunigen.
       
       Erneuerbare Energien, saubere Luft, autoarme Städte? Für Giffey sind das
       offenbar alles Luxusprobleme verwöhnter Innenstädter. Sie betreibt einen
       plumpen Neid- und Vorurteilsdiskurs. Ob der am Ende bei den WählerInnen
       verfängt? Kanzlerkandidat Scholz verfolgt im Bund jedenfalls scheinbar eine
       andere Strategie. Seine Präferenz für Annalena Baerbock und die Grünen war
       im TV-Triell deutlich erkennbar.
       
       Und die Grünen selber? Vielleicht gewinnen sie doch wenigstens in Berlin.
       Es wäre eine historische Chance, den Umbau in der größten Stadt der
       Republik energisch voranzutreiben.
       
       Denn, yes, Frau Giffey:
       
       I want to ride my bicycle 
       
       I want to ride it where I like
       
       5 Sep 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Lastenraeder-als-Alternative-zu-LKW/!5780597
 (DIR) [2] /Ulf-Poschardt-zur-Mobilitaetswende/!5779417
 (DIR) [3] /Ueber-die-Annaeherung-an-den-Gegner/!5765651
 (DIR) [4] /Olaf-Scholz-vor-der-Bundestagswahl/!5794166
 (DIR) [5] /Politisches-Schachern-um-Afghanistan/!5791392
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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