# taz.de -- Diplomat Perthes über Militärputsch: „Sudan steht am Abgrund“
       
       > Der deutsche Diplomat Volker Perthes ist UN-Beauftragter für Sudan. Er
       > berichtet, wie schwierig das Militär den Übergang zur Demokratie macht.
       
 (IMG) Bild: Sudanesische Demonstranten bei Protest gegen Militär im Februar 2022
       
       taz: Herr Perthes, wo steht Sudan heute? 
       
       Volker Perthes: Am Abgrund. Wir hatten eine Atmosphäre, in der das Militär
       und die Zivilisten ursprünglich versucht hatten, eine Partnerschaft gegen
       den jeweils eigenen Willen aufrechtzuerhalten. Da mussten zwei
       zusammenarbeiten, die das nicht wollten. Seit Sommer letzten Jahres haben
       die Spannungen zugenommen. [1][Im Oktober hatten wir einen Militärputsch].
       Seitdem haben wir eine militärisch dominierte Regierung. Damit sind alle
       Erfolge der letzten zweieinhalb Jahre entweder gefährdet oder sind schon
       zunichtegemacht. Die Frage der Schuldenerleichterung und der 60 Milliarden
       Dollar Auslandsschulden steht erneut zur Disposition. Die Wirtschaft geht
       den Bach runter. Es kommen keine Investoren ins Land, und die Sicherheit
       ist nicht mehr gewährleistet. Wir haben Teile des Landes, in denen nahezu
       Anarchie herrscht. Wir haben keine echte staatliche Kapazität, die
       Bürokratie arbeitet nicht, und wir haben seit Monaten keine Regierung.
       [2][Dagegen gibt es anhaltende Proteste, bei denen wir immer wieder Tote
       erleben.]
       
       Nun soll die von Ihnen geführte UN-Mission den Übergangsprozess hin zu
       einer Demokratie und einer zivilen Regierung unterstützen. Wie legitimiert
       sich diese Mission jetzt nach dem Militärputsch? Ist sie nicht hinfällig? 
       
       Wir hatten im ersten Jahr tatsächlich einige Erfolge zusammen mit den
       sudanesischen Partnern. Und all dies ist in der Tat gefährdet. Aber meine
       Aufgabe ist es, den politischen Übergang zu unterstützen oder auch ihn
       wieder zurück auf den Weg zu bringen in dem Moment, in dem er mit einer
       Betonwand zusammengestoßen ist. Wir geben keine Lösungen vor. Aber die
       Situation ist schwierig, denn wir haben eine Machtübernahme des Militärs
       gehabt, und wir haben Zivilisten auf der Straße, von denen jede Woche junge
       Leute sterben. Wir haben einen enormen Vertrauensverlust. Und Vertrauen
       kann man sehr viel leichter zerstörten als wiederaufbauen. Aber wir haben
       auch vorsichtige Anzeichen dafür, dass alle Seiten merken, dass der Sudan
       in einer solchen Krise ist, dass sie das Land verlieren könnten, wenn sie
       nicht zurückfinden zu einer Form von Verständigung über den Weg hin zu
       einer zivilen demokratischen Regierung. Das wird nicht übermorgen
       geschehen, aber wir brauchen zumindest wieder eine klare Wegekarte hin zu
       einer demokratischen Zivilregierung.
       
       Einer Ihrer Gesprächspartner ist das Militär, das geputscht hat. Arbeiten
       Sie da nicht mit jemandem zusammen, der keine Legitimität hat? 
       
       Je heftiger der Konflikt ist, umso notwendiger ist es, dass die Vereinten
       Nationen mit allen reden, gerade wenn die Seiten nicht bereit sind,
       miteinander zu reden. Wir können nicht so tun, als gäbe es diejenigen
       nicht, die die Situation kontrollieren, die Waffen und Machtressourcen
       haben.
       
       Gibt es überhaupt noch eine Schnittmenge zwischen Zivilisten und Militär?
       Wo können Sie da ansetzen? 
       
       Ich glaube, die Schnittmenge ist größer, als man nach außen hin sieht. Aber
       das Vertrauen ist weggebrochen. All diese Kräfte haben vor dem Putsch vom
       25. Oktober zusammengearbeitet, meist mehr schlecht als recht, aber in
       manchen Fällen haben sie auch zusammengefunden. Diese Schnittmenge ist im
       Prinzip weiter da. Aber das Vertrauen, dass die andere Seite die
       Partnerschaft einhält, das ist nicht mehr da. Wir müssen das Land zum
       Übergang zurückbringen. Das Problem ist, dass wir hier mit mehr als nur
       zwei Machtpolen zu tun haben. In Wirklichkeit gibt es mehrere. Das Militär
       ist eines davon. Dann haben wir zivile Parteien unterschiedlicher
       ideologischer Ausrichtung. Wir haben eine Zivilgesellschaft, die sich nicht
       von den Parteien repräsentiert fühlt. Und wir haben die
       Widerstandskomitees, die sich von keinem der politischen Führer
       repräsentiert fühlen. [3][Dazu kommen die bewaffneten Gruppen, die das
       Juba-Friedensabkommen unterschrieben haben.] Für die ist die Frage der
       Demokratie vielleicht nicht die wichtigste, sondern die Frage, wie zum
       Beispiel Darfur in welcher Regierung auch immer repräsentiert ist. Da muss
       man versuchen, die Schnittmenge zu finden.
       
       [4][Militärchef Abdel Fatah al-Burhan sagt immer wieder öffentlich,] dass
       sich das Land trotz des Militärputsches weiter im Übergang zu einer
       Zivilregierung und zu demokratischen Wahlen befinde. Kann man ihm glauben? 
       
       Wenn General Burhan so etwas zu mir sagt, dann widerspreche ich. Ein Teil
       der Partnerschaft hat den anderen Teil von der Macht entfernt und ins
       Gefängnis geworfen, auch wenn der dann wieder nach und nach freigelassen
       wurde. Wenn die sudanesischen Akteure klarkommen wollen, dann müssen sie
       wegkommen von einer militärisch dominierten Regierung hin zu einem Format,
       in dem die Zivilisten die Oberhand haben und wo klar ist, dass das Ende der
       Reise eine zivil geführte demokratische Regierung ist.
       
       Es mischen international viele Köche in der sudanesischen Küche mit: die
       USA, die Europäer, vor allem Ägypten und die Golfstaaten, allen voran die
       Vereinigten Arabischen Emirate. Haben Letztere ein Interesse, dass ein
       demokratisch ziviles Experiment im Sudan startet, oder sehen die das als
       eine Gefahr für ihre eigene Legitimität? 
       
       Sagen wir es so: Das Interesse an Demokratie ist in unterschiedlichen
       Staaten unterschiedlich gelagert. Gleichwohl wissen die meisten guten
       Beobachter hier sehr wohl, dass das letzte Militärregime dem Sudan keine
       Stabilität gebracht hat, dass es zusammengebrochen und vom Widerstand der
       Öffentlichkeit hinweggefegt worden ist. Sie wissen, dass eine zivile
       Regierung, auf die sich alle einigen können, dem Staat eher Stabilität
       bringen kann als eine weitere Serie von Militärcoups.
       
       Für jemanden wie Sie, der am politischen Übergang Sudans arbeitet, muss es
       ja wirklich deprimierend gewesen sein, als das Ganze dann mit einem
       Militärputsch zurückgeworfen wurde. Wie frustrierend ist es, hier die
       Stellung zu halten? 
       
       Das war sicherlich nicht das, was wir uns gewünscht haben. Wenn man den Job
       eines Repräsentanten des UN-Generalsekretärs in einem Land im Übergang wie
       Sudan annimmt, muss die Frustrationstoleranz relativ groß sein.
       
       2 Mar 2022
       
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