# taz.de -- Dreiteiler „Unsere wunderbaren Jahre“: Ihrer Zeit voraus
       
       > Die ARD möchte die Nachkriegszeit aus weiblicher Perspektive erzählen. Es
       > geht auch darum, dass man die eigene Geschichte nicht verdrängen kann.
       
 (IMG) Bild: Ulla Wolf (Elisa Schlott) und Tommy Weidner (David Schutter) auf dem Motorrad
       
       Als Christel Wolf ist die Schauspielerin Katja Riemann verhärmt,
       verschlossen, sie hat ein Bein verloren, hat eine Prothese und Gehstock. So
       hat man sie noch nie gesehen.
       
       Man denke an die Serie, mit der sie vor dreißig Jahren bekannt wurde:
       „Regina auf den Stufen“. Die handelte von einer unbedarften jungen Frau,
       das in die große Stadt kommt, München kurz nach dem Krieg, Model wird und
       die Welt kennenlernt. Solche Serien, die nicht im Krieg spielen, sondern
       von der Nachkriegszeit handeln, gab es immer wieder.
       
       Und wie diese Serien von dieser Zeit erzählen, sagt möglicherweise mehr aus
       über die Zeit, in der sie entstehen, als über die, in der sie spielen.
       Zuletzt [1][kam „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ als doch ziemlich
       selbstgerechtes Lehrstück] über die beginnende Spaltung Deutschlands in
       einen Osten und einen Westen daher.
       
       „Unsere wunderbaren Jahre“ (Regie: Elmar Fischer) nun, die dreiteilige
       Literaturverfilmung, mit der die ARD nachlegt – nachdem das [2][ZDF in der
       vergangenen Woche „Unterleuten“ in drei Episoden gezeigt] hat – deckt den
       Zeitraum der ersten Staffel „Tannbach“, also die Zeit Ende der 1940er,
       Anfang der 1950er Jahre ab, spielt aber überwiegend im tiefen Westen, im
       Sauerland.
       
       ## Kein harmloser Draht
       
       So nichtssagend unverbindlich der Titel klingt, so groß ist die
       Verwechslungsgefahr mit der ab 1990 auf RTL gelaufenen Serie „Wunderbare
       Jahre“. Aber das geht auf die Kappe des Autors der Romanvorlage, Peter
       Prange, der 1955 im sauerländischen Altena geboren wurde.
       
       In eben diesem Altena kämpft also 1948 die Fabrikanten-Familie Wolf um ihre
       Metallwarenfabrik. Der Patriarch Eduard Wolf (Thomas Sarbacher) gibt sich
       als Saubermann, der im Krieg weder Waffen noch Munition produziert hat,
       sondern nur harmlosen Draht. Nicht wie sein örtlicher Antipode (Hans-Jochen
       Wagner), der mit Zwangsarbeitern reich geworden ist und nun als
       archetypischer Bonze das noch bevorstehende Wirtschaftswunder verkörpert.
       
       Dumm nur, wenn dann jemand behauptet, dass der vermeintlich harmlose Draht
       der Stacheldraht gewesen sei, mit der das Konzentrationslager Bergen-Belsen
       eingezäunt wurde.
       
       Sitzt der Papa hinter Gittern, müssen es die Frauen in der Familie richten
       – Christel Wolf (Katja Riemann) und ihre drei Töchter: Margot (Anna Maria
       Mühe), die ihrem Vater nachträgt, dass der ihren geliebten Mann aufgrund
       von dessen Nazi-Vergangenheit (in der Leibstandarte SS Adolf Hitler) lieber
       an der Tuberkulose verrecken ließ, als seine Behandlung zu bezahlen; Ulla
       (Elisa Schlott), Papas liebreizende Lieblingstochter, die viel lieber
       Medizin studieren als dessen Nachfolge antreten würde; Gundel (Vanessa
       Loibl), die nicht tanzen, aber mit Zahlen besser umgehen kann als alle
       Männer, Papa inklusive, und die doch einsehen muss, dass der sie immer
       übersehen wird.
       
       ## Vergangenheit verdrängen funktioniert nicht
       
       Natürlich gibt es amouröse Verwicklungen. Ullas love interest: David
       Schütter gibt den Rebellen mit der Haartolle so unverschämt charmant, dass
       er sich nachdrücklich als deutscher James Dean empfiehlt. Sein
       Menjou-bärtiger Kriegskamerad – Franz Hartwig, der Psychokiller aus „Der
       Pass“ – fordert Gundel zum Tanz auf, noch nicht zum Rock’n’Roll wie in
       „Ku’damm 56/59“, auch so eine dieser Serien.
       
       „Gundel. Wem nützt es denn was, wenn dein Vater verurteilt wird? Lass doch
       die Vergangenheit ruhen und leb dein Leben!“, empfiehlt er ihr, während
       auch der Rebell seiner Ulla eine Notiz hinterlässt: „Vergiss mich, lebe
       Dein Leben“.
       
       Die Lektion, dass Verdrängung nicht funktioniert, lehren alle uns heute
       erzählten Geschichten von der Nachkriegszeit. Jener bleiernen Zeit, in der
       von einer Frau erwartet wurde, dass sie „ihrem Mann den Rücken stärkt“. In
       der ein Mann den Job seiner Frau kündigen konnte. In der Vergewaltigung in
       der Ehe noch das Recht des Ehemannes auf die Geschlechtsgemeinschaft war.
       
       Die Frauen der Familie Wolf sind ihrer Zeit selbstredend um Jahrzehnte
       voraus. Die Dialoge in „Unsere wunderbaren Jahre“ (Buch: Robert Krause,
       Florian Puchert) sind das aber nicht immer. Mitunter sind sie sogar so
       „Sissi“-mäßig schmonzettenhaft, dass der Zuschauer sie mühelos selbst zu
       Ende formulieren kann: „Wenn er nicht so betrunken gewesen wär, dann wär er
       wahrscheinlich weggelaufen. – Glaub mir, er wär weggelaufen! Und weißt du,
       warum?“ Wir wissen, warum: „Weil er dich liebt.“
       
       So löst sich in den letzten Filmminuten doch noch alles in Wohlgefallen
       auf. Und Katja Riemann schreitet durch die Werkshallen der Firma Wolf, mit
       Stock, aber nicht länger verhärmt und verschlossen.
       
       17 Mar 2020
       
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