# taz.de -- Enttäuschung über Claudia Roth: Kultur und Antisemitismuskritik
       
       > Nach dem Eklat bei ihrer Rede in Frankfurt ist Kulturstaatsministerin
       > Roth abgetaucht. Nicht nur junge Jüdinnen und Juden warten auf Antworten.
       
 (IMG) Bild: Kulturstaatsministerin Claudia Roth am 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche
       
       Diese Woche wurde im Jüdischen Museum in Berlin an den Rabbiner Leo Baeck
       erinnert. Eigentlich haben dort aber alle nur auf Kulturstaatsministerin
       Claudia Roth gewartet. Die hatte sich an diesem Abend für ein Grußwort
       angemeldet, das sie letztlich absagte – aus gesundheitlichen Gründen.
       [1][Nach ihrer Rede beim „Jewrovision Song Contest“] in Frankfurt, bei der
       sie von jüdischen Jugendlichen ausgebuht wurde, war das irgendwie auch
       erwartbar. Gespannt warte ich seitdem darauf, dass Claudia Roth wieder
       auftaucht. Was wird sie als nächstes tun? Was sagen? Wird sie so tun als
       sei nichts passiert – oder sich nochmals äußern?
       
       Roths Verteidiger fanden die Buhrufe der Jugendlichen in Frankfurt
       unangebracht, emotional. Grünenpolitiker Jürgen Trittin sah in der Kritik
       gar einen „[2][inszenierten Eklat“ gegen Claudia Roth]. Als wären junge
       Jüdinnen und Juden nicht selbstständig denkende Menschen, die sehr genau
       ihre Umwelt wahrnehmen und auf diese reagieren. Diese Buhrufe haben ihren
       Ursprung. Sie sind [3][Ausdruck einer tiefsitzenden Unzufriedenheit und
       Enttäuschung].
       
       Fast genau ein Jahr ist die [4][documenta fifteen in Kassel] und das große
       Trauerspiel dieser Kunstausstellung her. Es waren Wochen, die mit
       Schutzbehauptungen, haltlosen Erklärungen und Naivität gefüllt wurden,
       gepaart mit dem peinlichen Verhalten der documenta-Verantwortlichen und
       Politiker:innen, die die kritische Öffentlichkeit vorgeführt haben – diese
       Wochen haben Spuren hinterlassen, die noch lange nicht aufgearbeitet sind.
       
       Nur mal zur Erinnerung: Mit welcher Naivität sich bei der documenta
       herausgeredet wurde (bis heute!), zeigt sich wunderbar an dem Argument, man
       nehme den Antisemitismus ja deshalb so ernst, weil Deutschland diese
       besondere Vergangenheit habe. Ich möchte da jedes Mal nur genervt mit den
       Augen rollen. Ja, Auschwitz war eine deutsche Erfindung, aber der
       Antisemitismus nicht. Egal wo er auftritt, ob in Deutschland oder
       Indonesien: Antisemitismus ist immer menschenverachtend.
       
       ## Konsequenzen für wen?
       
       Eine Kulturpolizei wolle sie nicht sein, sagte Roth im letzten Jahr, als
       über Antisemitismus auf der documenta diskutiert wurde. Antisemitische
       Bildsprache wollte sie anfangs nicht sehen, später dann doch und noch viel
       später forderte sie erst Konsequenzen. Schon damals habe ich mich gefragt:
       Für wen eigentlich? Für sich selbst?
       
       Nach den Erfahrungen auf der documenta kam Roth erst Anfang dieses Jahres
       (!!) dazu, Antisemitismus in den ausgestellten Werken als „wirklich
       bedauerlich“ zu bezeichnen. Wirklich bedauerlich ist, dass ich wegen einer
       Mandelentzündung nicht auf ein lange ersehntes Konzert gehen kann.
       Agitprop, die mit Karikaturen von Juden im Stürmer-Stil auskommt, ist
       hingegen hetzend, ekelhaft.
       
       Roth nahm sich für dieses Jahr vor, folgende Fragen zu klären: Was heißt
       eigentlich Kunstfreiheit? Wo sind die Grenzen? Es ist doch ganz einfach:
       Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit stehen unter dem Vorbehalt, die Würde
       des Menschen ist unantastbar. Judenhass ist Menschenhass. Reicht das, Frau
       Roth?
       
       Kunst und Kultur sind längst [5][zum Austragungsort von
       Antisemitismusdebatten geworden]. Wenn sich unter dem Vorwand der
       „Weltoffenheit“ führende deutsche Kulturstätten und ihre Anhänger gegen den
       Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Kampagne wenden und
       suggerieren, es werde ein kritischer Dialog ausgegrenzt, dann führt das
       doch eher umgekehrt dazu, dass antisemitismuskritische und jüdische
       Künstler:innen und Kulturschaffende ausgegrenzt werden.
       
       Nach den Ereignissen der documenta fifteen steht auch der Staat, als
       größter Förderer von Kultur in Deutschland, in der Verantwortung, Vertrauen
       zurückzugewinnen und sich klar zu positionieren. Alle Augen sind auf
       Claudia Roth gerichtet.
       
       27 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Claudia-Roth-bei-Jewrovision/!5933183
 (DIR) [2] https://twitter.com/JTrittin/status/1660652796482400258?s=20
 (DIR) [3] /Antisemitismus-in-Kunst-und-Kultur/!5933567
 (DIR) [4] /documenta-im-Kulturausschuss/!5912363
 (DIR) [5] /Antisemitismus-im-Kulturbetrieb/!5933737
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erica Zingher
       
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