# taz.de -- Evaluation des Afghanistan-Engagements: Eine Chronologie des Scheiterns
       
       > Erst nach dem Abzug wird der Afghanistan-Einsatz systematisch
       > ausgewertet. Der Zwischenbericht der Enquetekommission des Bundestags ist
       > vernichtend.
       
 (IMG) Bild: Der Anfang: 2002 beobachtete diese Frau in Kabul die erste gemeinsame Patrouille deutscher Soldaten und afghanischer Polizisten
       
       BERLIN taz | Das Dokument umfasst 338 Seiten, und sonderlich schonend
       fallen sie nicht aus: [1][Die Enquetekommission des Bundestags zum
       deutschen Afghanistan-Engagement] hat ihren Zwischenbericht fertiggestellt;
       am Montag wurde er der Öffentlichkeit präsentiert.
       
       Seit anderthalb Jahren berät das Gremium – bestehend aus Abgeordneten aller
       Fraktionen und externen Sachverständigen – über die Erfahrungen aus 20
       Jahren Bundeswehreinsatz, Polizeiausbildung und Entwicklungszusammenarbeit
       am Hindukusch.
       
       Das Zwischenfazit der Kommission verzeichnet zwar einzelne positive
       Befunde. So sei die „Intention der Staatengemeinschaft“ richtig gewesen,
       Afghanistan wiederaufzubauen und dadurch dem Terror vorzubeugen. Gerade zu
       Beginn habe es auch „partiell Fortschritte in der Infrastruktur und im
       Gesundheits- und Bildungswesen“ gegeben. Überwiegend liefert der Bericht
       aber eine Chronologie des Scheiterns.
       
       So bescheinigt die Enquetekommission dem westlichen Wirken in Afghanistan
       ein grundsätzliches Defizit: „Landeskenntnis, historisch-kulturelles
       Konfliktverständnis oder eine vertiefte Wahrnehmung oder gar Erkundung des
       Gastlandes, seiner Gesellschaft und Partner war nicht vorhanden.“ An
       deutschen Universitäten hätte es dieses Wissen zwar gegeben, von der
       Politik sei es aber nicht abgerufen worden.
       
       ## „Selbstgerechte Hybris“
       
       Damit einhergehend waren die Ziele zu Beginn der nuller Jahre unrealistisch
       hoch gesetzt. Die Kommission zitiert Michael Steiner, den außenpolitischen
       Berater des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder, der sich in einer
       Befragung durch das Gremium selbstkritisch zeigte. „Der Grundfehler war die
       Illusion, und ich würde sogar sagen, die selbstgerechte Hybris, man könne
       von außen in Afghanistan in kurzer Zeit den Grundstein für eine
       demokratische Gesellschaft nach unseren westlichen Vorstellungen legen“,
       sagte er.
       
       Als Beispiel für die Folgen nennt der Bericht das Regierungsmodell, das das
       westliche Bündnis nach der Eroberung Kabuls für Afghanistan vorgesehen
       hatte. Der neue Staat war zentral organisiert, an seiner Spitze stand ein
       mit vielen Rechten ausgestatteter Präsident nach US-amerikanischem Vorbild.
       
       Eine Abweichung von den „tief verwurzelten afghanischen Interessen und
       Herrschaftspraktiken“, so die Enquetekommission. Den großen regionalen
       Unterschieden im Land und der Bedeutung von „Familien, Stämmen, ethnischen
       oder religiösen Gruppen“ hätte man stärker Rechnung tragen müssen.
       
       Rechtzeitig aufgefallen seien diese und andere Fehler fatalerweise nicht.
       [2][Evaluationen wie die durch die Enquetekommission] fanden vor dem Abzug
       aus Kabul im Jahr 2021 nicht statt. Wenn doch Mahnungen der Protagonisten
       vor Ort nach Berlin gelangten, seien diese in der Politik oft nicht gehört
       worden.
       
       ## Nicht mal klare Ziele
       
       Voraussetzung für eine ordentliche Evaluation wären aber klare und
       überprüfbare Ziele gewesen – und die gab es nach Überzeugung der Kommission
       ebenfalls nicht. Zwischen den beteiligten deutschen Ministerien seien die
       Prioritäten auseinandergegangen, eine ordentliche Koordination habe auch
       gefehlt. International sei es nicht besser gewesen, auch mit den
       Bündnispartnern habe man nicht an einem Strang gezogen.
       
       Relativ einig war sich der Großteil der Abgeordneten in dieser Analyse. Die
       Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen sei sehr gut gewesen,
       heißt es aus dem Gremium. Lediglich die AfD hat durch mehrere sogenannte
       Sondervoten innerhalb des Zwischenberichts grundlegenden Dissens
       hinterlegt.
       
       Zwischen den übrigen Mitgliedern der Kommission gab es Konflikte dagegen
       nur punktuell. So hat sich mehrheitlich die Analyse durchgesetzt, die
       Anti-Terror-Mission Operation Enduring Freedom habe in der Bevölkerung
       teilweise „Hass und Gewalt geschürt“ und so die Ziele der gleichzeitig
       stattfindenden Stabilisierungsmission Isaf sabotiert. Der
       Politikwissenschaftler Carlo Masala und zwei Militärs, alle drei als
       Sachverständige Teil der Kommission, widersprechen in einem Sondervotum:
       Für diese Behauptung fehle die Evidenz.
       
       Bis ins nächste Frühjahr und damit etwa ein halbes Jahr länger als geplant
       will die Kommission nun noch weiterarbeiten. Mit der Fehleranalyse ist das
       Gremium zwar durch, im nächsten Schritt sind aber noch Handlungsanweisungen
       und Lehren für künftige Einsätze zu erarbeiten. Durch die veränderte
       geopolitische Lage steht ein Einsatz wie in Afghanistan zwar wohl nicht
       unmittelbar wieder an. Die Grünen-Abgeordnete Schahina Gambir sagt aber:
       „Wir wissen nicht, wie die geopolitische Lage in 10 oder 15 Jahren
       aussieht.“ Statt Konflikten hinterherzulaufen, müssten für die Zukunft
       Strategien bereitstehen.
       
       20 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Afghanistan-Enquete-Kommission/!5882895
 (DIR) [2] /Michael-Mueller-ueber-Afghanistan/!5949655
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundestag
 (DIR) Schwerpunkt Afghanistan
 (DIR) Enquete-Kommission
 (DIR) Bundeswehr
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Afghanistan
 (DIR) Schwerpunkt Afghanistan
 (DIR) Schwerpunkt Afghanistan
 (DIR) Schwerpunkt Afghanistan
 (DIR) Afghanistaneinsatz
 (DIR) Schwerpunkt Afghanistan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Aufnahme von Afghan*innen: Endstation Islamabad
       
       Tausende gefährdete Afghan*innen warten auf Schutz in Deutschland. Doch
       immer wieder werden Aufnahmezusagen nach Monaten plötzlich zurückgenommen.
       
 (DIR) Enquete-Kommission zu Afghanistan: 300 Seiten voller Misserfolge
       
       Die Enquete-Kommission berichtet von 66 Deutschen, die während des
       Bundeswehreinsatzes zu Tode kamen. Afghanische Opfer finden nicht einmal
       Erwähnung.
       
 (DIR) UNO-Treffen zu Afghanistan: Taliban-Bedingungen abgelehnt
       
       UN-Generalsekretär weist Taliban-Forderungen nach Alleinvertretungsanspruch
       Afghanistans zurück. Moskau, Peking und Teheran sichern sich Vetorecht.
       
 (DIR) Ausschuss zu Afghanistan im Bundestag: Berlin und die unterschätzten Taliban
       
       Der Afghanistan-Untersuchungsausschuss deckt erhebliche Defizite im
       deutschen Engagement auf. An der Loyalität von Ortskräften gibt es keine
       Zweifel.
       
 (DIR) Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes: Lektion nicht gelernt
       
       Die Verantwortlichen beschönigen die Afghanistan-Politik noch immer. Am
       Montag übertraf sich der Ex-Innenminister de Maizière dabei sogar selbst.
       
 (DIR) Kommission zum Afghanistan-Einsatz: Joschka Fischer zeigt kaum Reue
       
       Der Bundestag befragt Ex-Minister*innen zum Afghanistan-Debakel. Der
       Ex-Außenminister verteidigt die Entscheidung für die
       Bundeswehr-Beteiligung.